Vierte Szene

[127] Ein Heuboden. – Melchior liegt auf dem Rücken im frischen Heu. Wendla kommt die Leiter herauf.


WENDLA. Hier hast du dich verkrochen? – Alles sucht dich. Der Wagen ist wieder hinaus. Du mußt helfen. Es ist ein Gewitter im Anzug.

MELCHIOR. Weg von mir! – Weg von mir!

WENDLA. Was ist dir denn? – Was verbirgst du dein Gesicht?

MELCHIOR. Fort, fort! – Ich werfe dich die Tenne hinunter.

WENDLA. Nun geh ich erst recht nicht. – Kniet neben ihm nieder. Warum kommst du nicht mit auf die Matte hinaus, Melchior? – Hier ist es schwül und düster. Werden wir auch naß bis auf die Haut, was macht uns das!

MELCHIOR. Das Heu duftet so herrlich. – Der Himmel draußen muß schwarz wie ein Bahrtuch sein. – Ich sehe nur noch den leuchtenden Mohn an deiner Brust – und dein Herz hör ich schlagen –

WENDLA. – – Nicht küssen, Melchior! – Nicht küssen!

MELCHIOR. – Dein Herz – hör ich schlagen –

WENDLA. – Man liebt sich – wenn man küßt – – – – – Nicht, nicht! – –[127]

MELCHIOR. O glaub mir, es gibt keine Liebe! – Alles Eigennutz, alles Egoismus! – Ich liebe dich so wenig, wie du mich liebst. –

WENDLA. – – Nicht! – – – – – – Nicht, Melchior! – –

MELCHIOR. – – – Wendla!

WENDLA. O Melchior! – – – – – – nicht – – nicht – –


Quelle:
Frank Wedekind: Werke in drei Bänden. Berlin und Weimar 1969, S. 127-128.
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