1. Er tröstet sich wegen seiner Mit-Buhler

[56] 1.

Mein Hertze bist du noch betrübt,

Dieweil das Mädgen das dich liebt,

Auch andern schöne Blicke gibt?

Ach bilde dir durchauß nicht ein,

Als woltest du bey ihr allein

Der Hahn allzeit im Korbe seyn.[56]


2.

Bedencke es besser was du thust,

Und wann du ja die süsse Lust

Mit andern Leuten theilen must,

So habe doch genug daran,

Daß kein Affection-Galan

Dir deinen Spaß verwehren kan.


3.

Du bist der beste Bruder nicht,

Du hast dein geiles Angesicht

Gar offt zu andern hingericht,

Darum mein Hertz, was zürnstu viel,

Wann dich das Mädgen durch ihr Spiel

Mit gleicher Müntze zahlen wil?


4.

Sie nimmt sich warlich noch in acht

Wann sie mit andern freundlich lacht

Daß sie es nicht zu lose macht,

Hergegen du bist so verpicht

Auffs liebe Brod und achtest nicht,

Ob dich ein ander gleich verspricht.


5.

Kein Mensch hat die beliebte Krafft

Der mehr als theuren Jungferschafft

Auß ihrer jungen Schos gerafft,

Du aber frage deinen Sinn

Wo hast du längsten den Gewinn

Der angebrannten Keuschheit hin.


6.

Und endlich kriegst du loser Dieb

Gleich manchen guten Lungen-Hieb,

Hat sie dich doch ein bißgen lieb:

Denn sie vertreibt die lange Zeit

Mit völliger Zufriedenheit

Bey dir und deiner Lustigkeit.


7.

Sie ist dir nicht alleine schön,

Drum laß die andern immer gehn,

Du kanst den Possen doch verstehn:

Es kost viel Zeit eh es gelingt,

Daß dich ein ander überspringt,

Und sich in deine Stelle dringt.


8.

Darum mein Hertze sey getrost,

Wann mancher Kerle sich erboost,

Und mit um deine Liebe lost![57]

Wo sie dir nur gewogen ist,

So dencke, daß du vor der List

Deß Henckers selber sicher bist.

Quelle:
Christian Weise: Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken, Halle a.d.S. 1914, S. 56-58.
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