11. Auff eine Nächtliche Garten Musick

[170] 1.

Du schöne Lust! was soll man dir vergleichen?

Die Sonne wünscht der Erden gute Nacht,

Und läst die Glut der strengen Stralen weichen,

In dem der West diß Ufer lieblich macht,

Wie spielen die Lüffte, wie saussen die Bäume,

Wie rauschen die Wellen, und kützeln die Träume.


2.

Der heisse Tag ist allbereit betrogen,

Die kühle Nacht erfüllt den edlen Rest,

Weil sie der Glut ihr Antheil hat entzogen,

Und uns die Zeit also geniessen läst.

So müssen die Lüste der irrdischen Schatten[170]

Den Mangel des Himmlischen Liechtes erstatten.


3.

Die Erde ruht und wartet schon auff Morgen,

Wir sehn die Zier der stillen Nachtzeit an,

Da wollen wir ein halbes Stündgen borgen,

Wo nur der Tag die Nacht bezahlen kan,

So schlaffet ihr Wiesen, und lasset uns wachen,

Der Himmel befördert die lustigen Sachen.


4.

Doch dürffen wir uns dieses Glücke nehmen,

Daß wir den Klang der süssen Seiten ziehn,

Die Tugend will sich in den Schlaff bequemen,

Und unser Thon will ihren Sinn bemühn:

Die niedlichen Winde befehlen im kühlen

Den hurtigen Seiten was sachter zu spielen.


5.

Wir wollens thun, verstummt ihr eitlen Lieder,

Verstört die Ruh der edlen Tugend nicht,

Legt eure Lust bey andern Wiesen nieder,

Weil Venus hier schon durch die Wolcken bricht.

Und fordert, bei allen vermeidlichen Straffen,

Man lasse die Nachbarn in Sicherheit schlaffen.

Quelle:
Christian Weise: Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken, Halle a.d.S. 1914, S. 170-171.
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