XV.

[25] Ich sage zwar nicht daß diese Affecten allemahl zu loben sind. Den was GOtt dem Menschen zu gute eingepflantzet hat / dasselbe wird hernach zu dem schändlichen Mißbrauche / gar wieder Schöpffers Intention gezogen. Was ist ehrlicher auff der Welt / als der Durst / der Hunger / und das Verlangen nach einem Weibesbilde? doch worinn pflegen auch die Menschen mehr zu sündigen / als eben in diesen hochnöthigen Begierden / welche zu erhaltung des Menschlichen Geschlechtes geordnet sind: Derowegen ist die Curiosität nicht böse: den darum haben wir eine vernünfftige Seele / daß[25] wir viel lernen: die Begierde zu censiren ist auch gut / weil hiedurch viel böses kan verhütet werden. Endlich die Barmhertzigkeit und Zorn sind so notwendig / daß mancher hohe Sünde thut / welcher sich zur unzeit solcher Affecten eussern wil. Und wer dieses bedencket / der entschuldiget die Redenskunst gar wol / wen sie manchen Grieff nach den Affecten einrichtet: den der Mißbrauch wird nicht mit eingeschlossen. Und muß ein Bereiter / ein Jäger / ein Vogelsteller sich nach der Natur und nach dem eingepflantzten Affecten der unvernünftigen Thiere zu richten wissen / wen er in seiner Profession nicht wil betrogen werden: warumb soll nicht ein Mensch / der seinen Nächsten zu etwas gutes abrichten wil / die genaue Beschaffenheit des innerlichen Gemüthes erlernet haben? doch wir müssen eines nach dem andern vornehmen.

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Christian Weise: Kurtzer Bericht vom politischen Näscher, Leipzig 1680, S. 25-26.
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