Der Deutsche in der Landschaft

[171] Es hat – aus einem Bund mit den reinsten Vorkämpfern für Würde und Geltung des Dichterischen – sich dem Verlag der Bremer Presse eine große und sehr kenntlich gegen die Zeit begrenzte Aufgabe ergeben. Eine Aufgabe, in Leistung mittlerweile umgewandelt, die aus dieser Zeit emporsteigt als ein Berg Ararat: Beweis und sichere Verheißung ewiger Fundamente.

Hugo von Hofmannsthal hat mit dem »Deutschen Lesebuch« die Reihe der Anthologien eingeleitet, die an das »literarische Gewissen der Nation«, und nicht das literarische allein, sich wenden. Rudolf Borchardt ist dieser »Auswahl deutscher Prosastücke aus dem Jahrhundert 1750–1850« mit seinem »Ewigen Vorrat deutscher Poesie« gefolgt, der unbestechlichen und wohl endgültigen Auslese des Unvergänglichsten in deutscher Lyrik. Rudolf Alexander Schröder hat mit einem gleich empfindsamen Ohr Schillers Gedichte durchgehört und das Unsterbliche zu einem Band versammelt. Und unlängst ist als jüngstes Stück der Reihe und wiederum besorgt von Rudolf Borchardt eine Sammlung »Der Deutsche in der Landschaft« erschienen; Stücke einer, wie Borchardt zu Beginn seines Nachwortes sagt, »durch mehr als hundert Jahr von Deutschen angeschauten und anschaulich gemachten und in Darstellungen aufgebauten Erd- und Länderwelt.«

Man kann die Auswahl von den verschiedensten Blickpunkten aus betrachten: so etwa der historischen Linie folgend,[171] die an der Grenze der klassischen Literatur des neunzehnten Jahrhunderts endet; oder auch jenen fünf Möglichkeiten nachspürend, die Borchardt als die für das menschliche Verhalten zur toten und lebenden Erde wesentlichen zeigt. Einigend über solche Gebundenheiten hinaus, wie schon in der Auswahl des »Vorrats«, ist die Beziehung der einzelnen Stücke zu einem Unsagbaren, »dem Geheimnis der Natur und des Menschen bis zum ewig Verhüllten der Gottheit selbst.« Es tritt, dieses Göttliche, den Leser an in einer immer neuen Form und neuen Verwandlung: ganz groß und beinahe nackt in Goethes »Granit«, diesem Stück Prosa, hart und aus Höchstem und Tiefstem stammend wie das Gestein. Es schwillt aus Herders glühendem Meeres-Gesang, dem so überschwänglichen Versuch aus nichts als aus sich selbst, aus dem verwandten Menschlichen allein, das Weltall zu begreifen. Es hebt sich langsam doch unentrinnlich auf aus jenen minutiösen Betrachtungen des Carl von Martius über die Physiognomie der Pflanzen und der Urwälder Brasiliens, die durch nichts überwältigen als durch ihre völlige Demut. Es rührt uns an, das Unsagbare, noch aus der Nüchternheit jener Berichte über die Wirtschaftlichkeit der Krim, die Peter Simon Pallas der Kaiserin Katharina abstattet und die erfüllt sind von der Fürsorglichkeit eines Urvaters Noah. Tieck sucht Gott im verschwebenden Gewölk seiner »Landschaftsvision«; für Alexander von Humboldt wird der Kampf um den Chimborasso zu einem Kampf mit dem Engel. Heinrich von Kleist beschwört in einer Darstellung Würzburg: Fluß und Mond noch in den dämonischen Kreis seiner Gestalten reißend. Von ihm fortblätternd zu[172] jenen anderen, gelehrten und klassisch sprechenden Offizieren Preußens, Moltke und Roon: – es sei genug, das Unerschöpfliche auch dieses »Vorrats« dargetan zu haben. Die Ausstattung der Bücher der Bremer Presse ist bekannt. Es sei ihr auch an dieser Stelle dankbar bestätigt, daß sie die Erfahrungen aus ihren Handpressendrucken diesen wohlfeilen Büchern zu gute kommen ließ und auf diesem Weg zu einer Form gelangte, die uns nach Reinheit und Notwendigkeit dem Inhalt zu entsprechen scheint.[173]

Quelle:
Maria Luise Weissmann: Gesammelte Dichtungen, Pasing 1932, S. 171-174.
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