Zweiter Auftritt

[65] Judith, die Vorigen.


JUDITH.

Wer ruft mich – Diakue!

Was seh' ich – Gott! das sind –[65]

DIAKUE.

Zwey Leichen!

Versprochen hab' ich sie der Negerin,

da – kühle an den Todten Deine Wuth.


Legt Marie in ihre Arme.


JUDITH.

Warum verkennst Du heut so ganz mein Herz?

O Diakue – sind das die Kinder, sprich?

DIAKUE.

Ihr Vater hat das Leben mir gerettet.

JUDITH.

O könnt ich sie mit meinem Hauch beleben!

Doch sieh! sie athmen ja – sie sind nicht todt.

Der Busen hebt sich – lass' uns helfen Mann.

DIAKUE.

Ja – Du willst helfen? Willst sie mir erhalten?

Den armen Waisen eine Mutter seyn?

JUDITH.

Ruf' eine Magd

DIAKUE.

O nein –

JUDITH.

So eile doch –

DIAKUE.

Kein Mensch darf sie erblicken

JUDITH.

Ach – sie lebt,

sie schlägt die Augen auf –

MARIE erholt sich, und sagt schwach.

Hortensia[66]

DIAKUE.

Sie ruft die Schwester.

MARIE erblickt Hortensia.

Ach ist sie auch todt?


Sinkt bei ihr auf die Knie.


O kehre Du mir doch in's Leben wieder,

lass' mich in dieser Welt nicht so allein.

Hortensia! –

HORTENSIA kommt zu sich.

Wer ruft?

MARIE.

Ich bin bei Dir.

HORTENSIA.

Und unsre Mutter, unsre gute Mutter

sie ist dahin – und schrecklich, fürchterlich. –

Wo sind wir jezt?


Richtet sich auf.


Es ist so still um uns.


Erblickt Diakue und schreit.


Ha –

MARIE.

Was ist Dir?

HORTENSIA.

Dort – er ist's – wir müssen sterben.

Komm, klammre Dich an mich – lass' mich nicht los.

So lass' uns sterben, so, mit einem Streich,

o martre uns nur nicht –

MARIE.

Tödt' uns zugleich


Zu Hortensia.


O bete Schwester! – Gott erbarme sich.[67]

DIAKUE.

Erhört ist was Ihr fleht; Ihr seid gerettet.

Erkennt in mir den wärmsten, treusten Freund.

HORTENSIA.

Was sagst Du?

MARIE.

Freund?

HORTENSIA.

Wir hätten einen Freund?

DIAKUE.

Der heute erst die große Schuld bezahlt,

die Euer Vater längst zu fordern hatte.

Er rettete mich einst aus Mörder Hand,

und heut erhielt ich seiner Kinder Leben.

Gewuchert hat die menschlich schöne That,

und zwiefach hab' ich ihm zurück gegeben.

Wohl dem, der so wie ich vergelten kann.

Komm – nehmt mich jetzt zu Eurem Vater an.

HORTENSIA.

Ja, Vater bist Du uns, willst Du uns sein?

Wir armen Waisen sind nicht ganz verlassen,

es lebt ein Mensch, der für uns sorgt und wacht?

Marie komm, umfasse seine Knie.

Er meint es gut, er will uns nicht verderben,

Freund ist er uns, und Vater will er seyn.

Gott sei gelobt – er hat uns nicht verlassen.

MARIE.

Erbarme Dich, verberge, schütze uns.

DIAKUE reißt sie auf, und drückt sie an sich.

An diesem Herzen das vor Wonne bebt[68]

an Euch des Vaters Züge zu erblicken.

Um Euch zu retten, scheu' ich keinen Trug.

Todt seid Ihr für die Welt, durch mich ermordet;

doch lebt Ihr mir, in diesem engen Haus,

es birgt ein Kleinod, das ich treu beschütze,

den letzten Tropfen Blut dafür verspritze.

Es ist der Unterschuld heiliges Asyl,

und in die Wolken hebt mich das Gefühl,

daß ich des Herzens heißen Drang gestillt

und froh und muthig Menschenpflicht erfüllt.

JUDITH.

Willst Du den Kindern keine Mutter geben?

DIAKUE.

Da, nimm sie hin, Dir sind sie anvertraut.

Erschreckt nicht ob der Farbe, wir sind Menschen,

wir greifen nach des Bruders warmer Hand;

hat er ein Herz – ist er uns anverwandt.

MARIE.

O uns're Mutter – uns're arme Mutter –

HORTENSIA.

Sie blickt aus lichten Wolken auf uns nieder.

Ach! was das Grab verschlingt, kehrt nie uns wieder.

JUDITH.

Hier weint um sie an meinem treuen Herzen,

ersetzen kann die Fremde sie Euch nicht;

doch kann sie mit Euch leiden, bulden, klagen,

und selbst ihr Leben Euch zu retten wagen.

Die Menschen, die nicht Blutesbande binden,

sie können sich in treuer Liebe finden,

und leise webt die Dankbarkeit ein Band,

so seid der neuen Mutter anverwandt.[69]

Ihr bleibt bei ihr – ich muß in das Getümmel,

sie sorgt im stillen Haus, ich im Gewühl.

Doch diese Nacht, wenn kein Verräther lauscht,

Euch alles todt, durch mich ermordet glaubt,

dann drück' ich Euch an dieses trunkne Herz

und fühle noch das Eure dankbar schlagen.

Das warme Leben blüht auf Eurer Wange;

das Haupt, dem Tod geweiht, es lächelt noch;

die Pulpe schlagen, und die Lippe spricht.

Mein Werk ist das – Gott ließ die That gelingen,

er wird mit Vaterhuld zum Ziel uns bringen.

Doch hört! Musik an diesem Tag des Gräuels!


Man hört kriegerische Musik und Trommeln, er tritt an's Fenster .


Da kommt er selbst, stolz zieht der Würger ein.

BEIDE MÄDCHEN.

Er nah't, er nah't, verbergt, o rettet uns.

JUDITH.

Folgt mir nur schnell.

DIAKUE.

Dort, dort in das Gemach.

An einem Augenblick hängt Euer Leben.

Ich höre Tritte, fort, Gott schütze Euch.

DIE MÄDCHEN.

Und Dich, und Dich, Gott schütze unsern Retter.

JUDITH zieht sie weg, alle drei in's Seitenzimmer.

Fort –

DIAKUE allein.

Betrug, du Höllen – Sohn der Nacht entstiegen,[70]

Auf, folge mir zu dem Tyrannen hin.

O leihe jetzt mir Deine glatte Zunge

und gieb mir Worte, die das Herz nicht kennt.

Zum Schild des Lasters wurdest Du geboren,

zum Schutz der Tugend hab' ich dich erkoren.


Will ab.


Quelle:
Johanna Franul von Weißenthurn: Neueste Schauspiele. Band 9, Berlin 1821, S. 65-71.
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