Achter Auftritt

[75] Madame Wölbing. Die Vorigen.


ERSTER DIENER. Was beliebt, Madame?

MADAME WÖLBING. Ich wünschte Herrn Gehrmann zu sprechen.

ERSTER DIENER. Dort steht sein Neffe.

AUGUST war in Gedanken, blickt auf. Womit kann ich – Erkennt sie und sagt freudig. O Madame, sind Sie es? Führt sie vor. Ich habe –

MADAME WÖLBING. Das Manuscript noch nicht gelesen? um so besser, ich komme, es zurück zu fordern.

AUGUST. Wie, Madame?

MADAME WÖLBING. Die Art, wie sich Herr Gehrmann über weibliche Talente äußerte, hat das zartfühlende Herz der Verfasserinn verwundet, sie erbittet es sich zurück.

AUGUST. Das ist unmöglich, Madame.[75]

MADAME WÖLBING. Ich habe es ihr versprechen müssen.

AUGUST. Sie sind außer Stand, es zu halten, die Presse ist bereits damit beschäftigt.

MADAME WÖLBING überrascht. So schnell?

AUGUST. Möge das Herrn Gehrmanns Aeußerung widerlegen, und Ihnen für die Anerkennung des Verdienstes bürgen.

MADAME WÖLBING gerührt. O mein Herr!

AUGUST. Madame, Sie sind bewegt, ist die Verfasserinn Ihnen werth?

MADAME WÖLBING. Sie ist mir alles.

AUGUST. Eine Verwandte? Schwester?

MADAME WÖLBING. Eine Tochter, mein Herr.

AUGUST. O dann, glückliche Mutter! ein Mädchen, das so denkt, so schreibt –

MADAME WÖLBING. Und so fühlt!

AUGUST. Eine solche Feder darf die Nadel und den Rocken verdrängen.[76]

MADAME WÖLBING. Sie gestehen ihr einiges Verdienst zu?

AUGUST. Nur einiges? ich gehörte unter die Widersacher der Schriftstellerinnen, aber diese – wirklich, ich wünsche die Bekanntschaft dieses interessanten Mädchens zu machen.

MADAME WÖLBING. Mein Herr –

AUGUST. Halten Sie es nicht für Zudringlichkeit –

MADAME WÖLBING. Ich muß dennoch –

AUGUST. Es ist reiner Zoll der Bewunderung.

MADAME WÖLBING. Unsere Lage –

AUGUST. Erlauben Sie mir, Sie nach Ihrer Wohnung zu begleiten.

MADAME WÖLBING. Ich muß diese Ehre verbitten.

AUGUST erstaunt. Madame –

MADAME WÖLBING. Wir leben sehr abgeschieden.

AUGUST. Ich verlange nicht Ihre Einsamkeit zu stören, nur kennen möchte ich das Mädchen, das so zu meinem Herzen spricht.[77]

MADAME WÖLBING. Ich kann Ihren Wunsch nicht erfüllen.

AUGUST. Was verbiethet mir den Zutritt?

MADAME WÖLBING. Unser Unglück!

AUGUST immer dringender. Lassen Sie mich es theilen.

MADAME WÖLBING. Es ruht auf mir und meinem Kinde allein.

AUGUST. Haben Sie Mißtrauen?

MADAME WÖLBING. Nein, mein Herr!

AUGUST. O so verweigern Sie mir nicht länger –

MADAME WÖLBING. Genug – Sie haben durch die Nachsicht, mit der Sie den ersten Versuch meiner Tochter beurtheilen, beruhigenden Balsam in mein Gemüth geschüttet, das mit sich selbst uneins geworden ist. Diese veränderte Lage der Sache wird meinem Kinde Trost und neuen Muth zur Arbeit gewähren. Meine erste Nachricht hat sie erschreckt, sie leidet – die Mutter darf nicht zögern, sie wieder aufzurichten. Will gehen.

AUGUST dringend. Ich muß Sie begleiten.

MADAME WÖLBING bestimmt. Durchaus nicht.[78]

AUGUST. Ich soll nicht ein Auge schauen, aus dem die Freude eines erfüllten Wunsches strahlen wird?

MADAME WÖLBING wendet sich bewegt ab. O Gott!

AUGUST. Sie sind erschüttert.

MADAME WÖLBING wendet sich zu ihm und sagt sehr bewegt. Dieß Auge kann Ihren Blick nicht erwiedern.

AUGUST. Madame!

MADAME WÖLBING mit Thränen. Es sieht Gottes Schöpfung nicht mehr.

AUGUST tritt zurück und sagt nach einer Pause. Arme Mutter!

MADAME WÖLBING. Armes Kind!

AUGUST. Des Lichts beraubt, und diese Klarheit in ihrem Innern! Gott! mein Gott! doch nicht seit ihrer Geburt?

MADAME WÖLBING. O nein – ihr Auge sah so heiter in das Leben! Unglück, Kummer, überhäufte Handarbeit, durchwachte Nächte um mich – Ihre Stimme bricht, erst nach einer Pause fährt sie fort. Verzeihen Sie – ich hatte alles darnieder gekämpft, aber diese Prüfung war[79] zu schwer – verzeihen Sie, daß ich meinem Schmerz nicht gebiethen konnte. Trocknet sich die Augen.

AUGUST. Ist keine Hilfe möglich?

MADAME WÖLBING. Welche Mutter gibt ihr Kind verloren? Der Arzt gibt Hoffnung, und dieser schwache Funke ist mein Lebenslicht. Wenn es mir durch ihre Geistesarbeiten gelingt, ihre Lage zu erleichtern, ihre Sorge um meine Erhaltung zu verringern, so hofft er –

AUGUST. Erwarten Sie alles, Madame – morgen – ja – vielleicht schon heute – wo wohnen Sie?

MADAME WÖLBING. Ich werde mich anfragen.

AUGUST. Nein! nein – ich beschwöre Sie jetzt um so mehr, mir zu gestatten –

MADAME WÖLBING. Indem ich Ihren Besuch verbitte, erfülle ich einen Wunsch meiner Tochter.

AUGUST. Aber in diesem Zustande, wie schreibt sie?

MADAME WÖLBING. Sie denkt, und ich schreibe. Freilich verdunkeln Thränen auch oft meinen Blick, wenn sie mit lebhaften Farben einen Gegenstand schildert, den sie nicht mehr sieht.

AUGUST lebhaft. Ich muß Ihre Tochter sehen.[80]

MADAME WÖLBING. Nein, mein Herr! der Wille – ja, sollte es auch nur eine Laune dieses guten Kindes seyn, ihr Unglück nicht zur Schau zu tragen, ist mir heilig. Sollte es einst meinem Gebeth und der Kunst gelingen, dieses umflorte Auge wieder für das Licht des Tages empfänglich zu machen, dann will ich ihr mit Freuden in Ihnen einen Mann vorstellen, der so warmen Antheil an ihrem Schicksal nahm.

AUGUST. Heute, Dringend. heute, Madame! jetzt gleich!

MADAME WÖLBING. Jetzt gehört ihr Unglück nur mir, und ich traue Ihrem Benehmen den Zartsinn zu, daß Sie den Wunsch des Unglücks ehren. Macht ihm eine Verbeugung und geht ab.

AUGUST bleibt wie gelähmt stehen, und sagt nach einer Pause. Sie ist fort! und ich, mit dieser Sehnsucht, mit dem Wunsche, nach Möglichkeit zu helfen, bleibe zurück! Er ruft. Heinrich! Heinrich!

ERSTER DIENER kommt durch die Glasthüre.

AUGUST. Gehen Sie der Frau nach, geschwinde; beobachten Sie, welchen Weg sie nimmt –

ERSTER DIENER. Ich will nur –

AUGUST dringend. Ohne Hut! Ich wünsche ihre Wohnung zu wissen,[81] es liegt mir viel, alles daran! Nur fort! nur fort! Er schiebt ihn zur Thüre hinaus, kommt zurück, und sagt. Man soll das Unglück ehren, aber es mildern, es ganz heben, wenn man kann, ist besser. Mag der immer die Schicklichkeit verletzen, der seine Menschenpflicht erfüllt.


Ende des zweyten Aufzuges.
[82]

Quelle:
Johanna Franul von Weißenthurn: Neue Schauspiele. Band 13, Wien 1834, S. 75-83.
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