Zweyter Auftritt

[88] Madame Wölbing. Albertine.


MADAME WÖLBING tritt freudig ein. Albertine!

ALBERTINE sucht sich zu fassen, und sagt mit scheinbarer Ruhe. Nun, meine Mutter, bringen Sie das unnütze Papier zurück?

MADAME WÖLBING. Nein, mein Kind!

ALBERTINE hastig. Nicht? War Niemand zu Hause? Man hätte es Ihnen ja wohl gerne gegeben.

MADAME WÖLBING. Man gab es mir nicht.

ALBERTINE. Nicht?[88]

MADAME WÖLBING. Man hat es gelesen.

ALBERTINE sehr ergriffen. Ge – lesen.

MADAME WÖLBING. Und findet es gut.

ALBERTINE lebhaft. Gut? Auf einmahl fürchtend. O meine Mutter, Sie täuschen mich.

MADAME WÖLBING. Ich täusche nie.

ALBERTINE. Ihre erste Nachricht schlug mich nieder, nahm mir den Muth zu arbeiten, zu leben, Sie bemerkten diesen Eindruck – und wollen jetzt –

MADAME WÖLBING. Nein, mein Kind! man hat es gelesen, gelobt, gepriesen; und um dich zu überzeugen, daß es kein leeres Lob war – es ist schon unter der Presse.

ALBERTINE zitternd. Schon?

MADAME WÖLBING sie in ihre Arme schließend. Es ergreift dich?

ALBERTINE sehr bewegt. Ja – ja, meine Mutter! dieser schnelle Wechsel! herabgewürdigt, darniedergedrückt, war mein Wirken fast zu Ende – und jetzt! jetzt eröffnen Sie mir durch diese Nachricht eine neue Bahn. Hastig betheuernd. Es ist nicht Ruhmsucht, es ist die reine Freude, nur noch wirken zu können, nur noch nützlich zu seyn.[89]

MADAME WÖLBING drückt sie an ihr Herz. Für mich.

ALBERTINE. Wen habe ich denn sonst auf der weiten Welt? Bin ich nicht eine Ranke, die sich ohne ihren Stab nicht aufrecht hält? Ja, meine Mutter! für Sie, wie Sie für mich. Athmet tief. Welche Last haben Sie mit dieser Nachricht von meinem Herzen genommen! Ich werde arbeiten! Der Thätige kann nicht unglücklich seyn. Was meine rege Phantasie mir vorgaukelt – ich werde es erhaschen, festhalten. Als ob sie sähe. Jene Wiese – nie fand ich ihren Blumenschmelz in meiner Kindheit so schön! das Azurblau des Himmels! – seine Sterne glänzen mir noch! Der Wellenschlag jenes Baches! das gemischte Grün jenes Waldes! Horch! seine Bewohner singen. Voll Entzücken. Ich singe mit! O Mutter! drücke dein Kind an dein Herz; es darf seinen Gefühlen Sprache geben, es darf wieder glücklich seyn.

MADAME WÖLBING gerührt. Glücklich?

ALBERTINE heiter. Bin ich es nicht? Schafft das Vermögen, aus der Tiefe meiner Seele zu schöpfen, Gestalten in das Leben zu rufen, sie mit meinem Schmuck, mit meinen Farben zu bekleiden, mir nicht täglich neue Freuden? Jede gelungene Wendung, jeder erleuchtete Augenblick, er ist ein Sonnenstrahl, der mir die Flecken, doch auch die reinen Stellen meiner Arbeit zeigt; und wenn sie die Flecken überstrahlen, die alles Menschliche[90] hienieden trägt, wenn man unser Streben, das Beste zu leisten, erkennt, und unser Zurückbleiben nicht zu strenge tadelt, das begeistert zu neuem Fluge – und das Bessere ersteht.

MADAME WÖLBING. Siehst du nur Blumen? erblickst du nicht die Dornen auf der Bahn?

ALBERTINE. Doch, meine Mutter! was mich diesen Morgen verletzte, waren ja ihre Dornen. Natur gab diese Waffe nur der Rose, der Mensch schlingt sie um alle Geistesblüthen; der bleibt zurück, der ihre Wunden scheut.

MADAME WÖLBING. So fühlst du neuen Muth?

ALBERTINE vertraut. Schon seit einigen Tagen umschweben mich Gestalten, sie verlangen mit Ungestüm, daß ich sie ordne. Einige zog ich mir nahe herbey, und erlaubte ihnen schon ein leises Geflüster. Doch sie sind wie Kinder, denen an der kleinen Gabe nicht genügt; sie wollen reden, handeln, ihr ganzes Menschenrecht behaupten. Diesen Morgen wies ich sie streng in ihr Nichts zurück, sie gehorchten; doch mit der Freude kehren sie mir wieder, und in der Freude, ach – gewährt man leicht. Mutter! wenn Sie mir, wie immer, Ihre Feder leihen, so beginnen wir gleich.

MADAME WÖLBING. Wie, jetzt, mein Kind?

ALBERTINE. Jetzt! Nicht jeder Augenblick ist dem Dichter[91] hold, er muß ihn erkennen, erhaschen. Jetzt ist ohnehin die Stunde, wo ihre häuslichen Geschäfte ruhen – lassen Sie mich die benützen.

MADAME WÖLBING. Wohl, mein Kind – willst du einen Stuhl?

ALBERTINE. Nein, nein, ich gehe wie gewöhnlich herum. Der Körper kann nicht ruhen, wenn der Geist seine Wanderung beginnt.

MADAME WÖLBING hat sich den Tisch in die Mitte gerückt, setzt sich zum Schreiben. So laß deinen Genius walten.

ALBERTINE hat einige Schritte gemacht, bleibt dann stehen, und beginnt langsam. »Dort, wo die Abendsonne den Gipfel des Berges scheidend grüßt – stand eine Burg, deren funkelnde Scheiben dem Wanderer entgegen riefen: erreiche mich, ruhe dann, denn du bist willkommen!«


Quelle:
Johanna Franul von Weißenthurn: Neue Schauspiele. Band 13, Wien 1834, S. 88-92.
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