Zweyter Auftritt

[112] Gehrmann. Die Vorigen.


GEHRMANN legt Hut und Stock ab. Noch immer allein? Ist der Junge noch nicht zum Vorschein gekommen?

EMERIKE seufzt. Ach nein – der ist gewiß fort.

GEHRMANN. Wer ist fort?

EMERIKE. Der gute Herr Flint.

GEHRMANN für sich. Der ist nicht fort, den hab ich eingesperrt. Laut. Es macht mich wirklich unruhig.

EMERIKE. Mich auch.

GEHRMANN. Sich so versteckt zu halten.

EMERIKE. Sie geben ihm zu viel Arbeit.[112]

GEHRMANN. Wem?

EMERIKE. Dem Herrn Flint.

GEHRMANN. Ich rede ja nicht von dem, sondern – der Mensch ist mir nie so ungehorsam gewesen. Geht herum.

EMERIKE. Ja – wie Sie ihm heute in dem Buchladen sagten, daß er mich unterhalten sollte, so hat er es auch nicht gethan – sondern in einem weg geschrieben, und auf das Papier gesehen.

GEHRMANN. Aber Kind, von wem reden Sie denn?

EMERIKE. Ey – von Herrn Flint!

GEHRMANN. Immer von Herrn Flint! Für sich. Hätte ich auch da einen Fehlschuß gethan? Laut. Hören Sie, mein Kind, der Herr Flint ist ein recht guter Mensch!

EMERIKE einfallend. Ein recht lieber Mensch!

GEHRMANN. So? Hm! ja – er kann auch für Andere ein lieber Mensch seyn; aber Sie sollten nur meinen Neffen vor Augen haben.

KUNIGUNDE. Das hab' ich ihr auch gesagt.

EMERIKE weinend. Wie kann ich ihn denn vor Augen haben, wenn er sich nicht bey mir sehen läßt.[113]

GEHRMANN für sich. Sie hat recht.

EMERIKE. Er hat mir selbst gesagt, daß ich nur aus dem Umgange mit Menschen klug werden kann, und kein Mensch geht mit mir um.

KUNIGUNDE. Es ist als ob wir aller menschlichen Liebe aus dem Wege gereist wären.

GEHRMANN für sich. Jetzt fängt die Alte auch an.

KUNIGUNDE. Ich, die in unserm Städtchen bey Lust und Schmerz, bey Kindtaufen und Sterbefällen zu Gast und Rathe gezogen wurde – ich sitze hier wie Hagar in der Wüste! kein Mensch fragt, kein Mensch antwortet mir.

GEHRMANN. So warte Sie doch nur, bis es etwas zu taufen oder zu begraben gibt.

EMERIKE. Laß die Kutsche anspannen, Kundel; wir wollen fort!

GEHRMANN. Auch fort? Alles fort?

KUNIGUNDE. Das ist gegen meinen Auftrag. Er lautet ausdrücklich, Sie Ihrem Eheherrn zu überliefern.

EMERIKE. Wenn sich aber kein Eheherr finden will?

GEHRMANN. Wird sich finden, muß sich finden. Nur Geduld,[114] und wenn der Bursche Sie nicht nehmen will – habe zwar schon viele Leipziger-Messen mitgemacht – thut nichts! hier steht auch noch ein Mann! Stellt sich vor Emeriken hin.

EMERIKE erschrickt. Ach du lieber Gott!

GEHRMANN lacht. Makulatur? Nicht wahr, Kind? Erschrecken Sie nicht; das alte Buch, im Pergament-Einbande, ist nur ein wenig von seiner Stelle gerückt – aber ich weiß, in der Ehestands-Bibliothek müssen die alten Klassiker noch mehr als in der übrigen Welt dem Franzband und dem Goldschnitte weichen. Ich trete zurück, liebes Kind, ich trete zurück. Leise zu Kunigunden. Liebe Jungfer Kunigunde, da Sie sich auf Ihre Redekunst doch etwas einzubilden scheint, rede Sie ihr zu, es soll Ihr Schade nicht seyn. Gibt ihr einen Beutel. Das in die Sparkasse – auf den Heimweg die ganze Kutsche voll Erbauungsbücher, und – kommt es endlich zur Hochzeit, ich sehe, daß Sie eine Person ist, die auf Ehre hält, Sie sitzt oben an.

KUNIGUNDE freundlich. Ach, euer Gestreng –

GEHRMANN. Oben an – an meiner Seite – ein Mann, ein Wort. Ich hole meinen Neffen. Kundel – rede Sie ihr zu, rede Sie ihr zu. Schnell ab.[115]


Quelle:
Johanna Franul von Weißenthurn: Neue Schauspiele. Band 13, Wien 1834, S. 112-116.
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