Vierzehentes Exempel.

Christus erscheint einem lasterhaften Jüngling im Schlaf.

[69] Es war ein gewisser Jüngling, der sich der verbottenen Wohllüsten gäntzlich ergeben: ja er führete ein freyes, und liederliches Leben, als wann kein Höll zu förchten wäre. Es sprachen ihm zwar zu die Beicht-Vätter; es ermahnten ihn seine Befreundte; aber alles umsonst. So wußte dann niemand zu helffen, als GOtt allein; welcher sich auch des Jünglings endlich erbarmet, und ihn durch folgendes Gesicht wiederum [69] zu recht gebracht hat, Dann als der Jüngling einstens zu Nachts tief eingeschlaffen hatte, da erschine ihm Christus der HErr, mit vilen Englen umgeben. Er sasse auf einem herrlichen Thron, und sein Angesicht war voller Glantz und Majestät. Als er nun die Augen auf den schlaffenden Jüngling geworffen, wendete er sich zu den Englen, und sagte mit ernsthafter Stimm: was macht dieser freche und lasterhafte Mensch da: wie lang wird er mein Gedult mißbrauchen? also, bald bessere er sein Leben; oder führet mir ihn hieher für Gericht, damit er für seine Lasterthaten den verdienten Lohn empfange. Dises geredt, verschwande Christus samt den Englen; der Jüngling aber, wie er darüber aus dem Schlaf erwachet, war nicht allein voller Angst und Forcht, also daß ihm der kalte Schweiß über den Rucken lieffe; sondern wie er des Morgens in den Spiegel gesehen, hat er gefunden, daß sein Kopf vor Angst und Forcht Eysgrau worden. Woraus er dann handgreifflich abgenommen, daß es kein leerer Traum; sondern eine wahrhafte Erscheinung gewesen. Gieng also in sich selbsten; fiele auf seine Knye nider; batte GOtt um Verzeyhung, und danckte ihm, daß er ihn nicht mit dem gähen Tod (wie er verdient) gestraft; sondern noch Zeit zur Buß und Besserung verlihen hätte. Stellte darauf über sein bishero geführtes liederliches Leben eine genaue Erforschung an; beichtete seine Sünden mit grosser Reu, und lebte forthin gantz Christlich. S. Vincent. Ferrer. serm. in sexag.


O GOtt! wann mancher frecher Jüngling dein Gericht vor Augen hätte, wie bald wurde er sein Leben besseren! und doch wartet selbiges unfehlbar auf ihn. Und wer weißt, ob er nicht ehender darfürgestelt werde, als er ihm einbildet? wie kan dann ein solcher in seinem frechen Leben fortfahren? heißt das nicht, die Langmüthigkeit GOttes mißbrauchen, und ihn gleichsam zwingen, daß er unversehens drein schlage? O entsetzlicher Frevel!

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 69-70.
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