Siebendes Exempel.

Ein verstorbener Student erscheint seinem Lehrmeister nach dem Tod in einem peinlichen Mantel, von Pergament.

[157] Auf der hohen Schul zu Paris lehrte vor Zeiten ein berühmter Doctor, mit Namen Silo. Seine Spitzfindigkeit bestunde meistentheils in der Disputir-Kunst: In welcher er also erfahren, daß er diejenige, so mit ihm disputirten, durch verschraufte Beweisthum dergestalten verwicklete, daß sie weder aus, noch an wußten: mithin (wie man zu reden pflegt) in Sack geschoben wurden und sich überwunden zu seyn bekennen müßten. Unter andern Lehr-Jüngern hatte er auch einen Studenten von spitzfindigem Verstand. Dieser fassete die Kunstgrif seines Lehrmeisters dergestalten, daß er in der Disputir-Kunst fast so geschickt, als der Lehrmeister selbst, erfunden wurde. Auf diese Kunst studirte er Tag und Nacht: und war seine gröste Freud, wann er mit spitzfindig ausgesonnenen Beweisthumen einen seiner Mitschuler im Disputiren fangen, und überwinden konte: unterdessen [157] wenig sorgend, seine unordentliche Anmuthungen des Gemüths zu überwinden, und in der Tugend einen Fortgang zu machen. Diese seine Geschicklichkeit nun machte ihn bey dem Lehrmeister sehr beliebt und angenehm; also daß der Lehrmeister mit ihm prangete, und ihn öfters die Zierd seiner Schul zu nennen pflegte. Allein der Lehrmeister mußte diese Zierd bald verliehren. Dann siehe! indem der Student dem Studiren gar zu starck oblage, zoge er sich dardurch eine auszehrende Kranckheit zu, welche in kurtzer Zeit also zunahme, daß der Tod vor der Thür stunde. Wen betrübte dieser Zustand mehr, als eben den Lehrmeister? er suchte demnach den Lehrjung heim, und bezeugte gegen ihm grosses Mitleiden. Ach! sagte er: mein lieber Lehrjung! wie bedaurest du mich, daß ich dich in diesem Stand sehen muß! dann du weißt, wie ich dich wegen deiner Geschicklichkeit vor anderen Studenten geliebt, und geschätzt hab. Du warest die Zierd meiner Schul: du warest mein Freud. Ach! könte ich dir helfen! wie gern wollt ichs thun! dieses geredt, schossen ihm die Zäher in die Augen: kehrte sich damit auf die Seiten, und fienge wider den Tod an also zu klagen: giengest hin, du allgemeiner Menschen-Fresser in ein Haus, wo arme Eltern seynd, die viel Kinder haben, und wissen selbige kaum zu erhalten: oder wo Kinder gefunden werden, die sich von den Elteren nicht ziehen lassen: nehmest da eines nach dem anderen weg: O wie wurden dir solche Elteren darum dancken! aber mir ein so geschickten Lehrjung in der Blühe der Jugend weg nehmen, mithin die gröste Zierd meiner Schul entziehen: was für ein Unbarmhertzigkeit ist dieses: allein weil er sahe, daß alles Klagen umsonst wäre, schickte er sich endlich in die göttliche Verordnung: kehrte sich wieder zu dem Lehrjung, und tröstete ihn mit diesen Worten: mein lieber Lehrjung! schicke dich in den Willen GOttes; und gedencke, wir seyen darum auf die Welt kommen, das wir einstens sterben müssen. Mache also aus der Noth ein Tugend, so wird dich alles ringer ankommen; und wird dein Tod nur desto verdienstlicher seyn. Allein, eines begehre ich von dir: wann es doch muß gestorben seyn, und es GOtt zulaßt, so komme nach dem Tod zu mir, und zeige mir an, wie es dir auch in der andern Welt gehe. Der Lehrjung sagt es dem Lehrmeister zu: womit beyde von einander den Abschied genommen. Was geschihet? die Kranckheit nimmt von Stund zu Stund zu, und der Krancke stirbt dahin. Es steht nicht lang an, da erscheint des Lehr-Jungen Geist dem Lehrmeister. Die Gestalt des Angesichts war bleich; die Augen eingefallen: über die Achsel aber truge er einen langen Mantel, von Pergament; auf welchem alle spitzfindig-ausgesonnene Beweisthum, denen er sich bey Lebzeiten, andere Studenten damit [158] zu fangen, und im Disputiren zu überwinden bedient hatte, geschrieben stunden. Der Lehrmeister erkennte ihn gleich aus dem Angesicht, und fragte ihn: mein lieber Lehrjung! wie geht dir auch in der anderen Welt? sehr übel, antwortete der Geist: dann dieser Mantel beschweret mich über die Massen. Wie kan das seyn, sagte der Lehrmeister? ist er doch nur von Pergament? was ist leichters zu tragen? der Geist antwortete: O Silo! Silo! du solt wissen, daß dieser Mantel von Pergament, mir grössere Beschwernuß macht, als wann ich den grösten Thurn in Paris tragen müßte. Der Lehrmeister verwunderte sich sehr darüber. Allein, was bedeuten die auf dem Mantel geschriebene Beweisthum? fragte der Lehrmeister weiters. Da antwortete der Geist: weilen ich bey Lebs-Zeiten mehr Sorg getragen, wie ich andere Studenten im Disputiren mit verschrauften Beweisthumen überwinden, als das Heil meiner Seel beförderen möchte, so muß ich diesen Mantel zur Straf meiner Eitelkeit, und schnöden Freud, die ich im Disputiren gehabt, antragen: der mir aber einen solchen Schweiß austreibt, dessen brennende Hitz ich mit Worten nicht aussprechen kan. Wie aber der Lehrmeister sich verlauten liesse, er könne ihm dieses nicht einbilden; sagte der Geist zu ihm: so reiche dann deine Hand her; und ich will einen eintzigen Tropfen von diesem brennenden Schweiß darein fallen lassen: was gilts? du wirst mir Glauben zustellen. Der Lehrmeister wollte es doch nicht glauben: reichte also die Hand her: und siehe! ein eintziger Tropf, den er in die Hand empfienge, durchdrunge in einem Augenblick das Fleisch, Bein, und aderechtige Theil der Hand mit so unerträglichem Schmertzen, daß er überlaut aufschrye: ach wehe! ach wehe! ich muß vor Schmertzen sterben. Hab ichs dir nicht vorgesagt? waren die Wort des Geists: ein andermahl seye nicht so unglaubig. Hüte dich auch vor der Eitelkeit, die du bishero in der Disputir-Kunst gesucht, damit du nicht einstens gleiche Straf, wie ich, im Fegfeuer ausstehen müssest. Dieses geredt, verschwande der Geist: der Lehrmeister aber bekame einen solchen Eckel ab der Eitelkeit seiner Disputir-Kunst, daß er sich selbiger gantz und gar entschluge; der Welt Urlaub gabe, und in ein Closter gienge: in welchem er GOtt diente, und seiner Seelen Heil sorgfältig oblage; damit er nach dem Tod nicht erfahren müßte, was seinem Lehrjung begegnet ist. Gazæus in Piis Hilar. Tom. 2.


O hätte dieser Lehrjung zu Gemüth geführt jene nutzliche, und Hertzdurchdringende Reimen, so in dem Lied von den armen Seelen des Fegfeuers enthalten seynd! wie wurde er seine allzu grosse eitle Freud im Studiren gemäßiget haben! höre, Christliche Jugend! wie sie lauten: behertzige sie; und drucke selbige tief [159] in deine Gedächtnuß: dann du wirst daraus keinen geringen Nutzen ziehen.


1.

O wehe der Eitelkeit,

O wehe der kurtzen Zeit,

O wehe der schnöden Freuden!

Ach wie so grosse Pein

Nimm ich darfür jetzt ein!

Ach wie viel muß ich leiden!


2.

Ach hätt ich jetzt die Zeit,

Die ich in Eitelkeit,

So unnütz thät verzehren!

Ach hätt ich nur ein Stund!

Leicht wolt ich mich jetzund

All dieser Pein erwehren.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 157-160.
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