Achtes Exempel.

Ein Mörder erlangt durch seine reumüthige Zäher vor dem Tod Verzeihung seiner Sünden.

[160] Zur Zeit des Christlichen Kaysers Moritz, hielte sich in den Gräntzen von Thracien lange Zeit auf ein grausamer Mörder, ja ein Rädelführer der Mörder. Dieser machte alle Weeg und Strassen unsicher, und begienge viel grosse Mordthaten. Letztlich wurde er durch zuthun gedachten Kaysers wunderlich bekehrt, und so zahm als ein Lamm gemacht; also, daß er sich selbst dem Kayser persönlich dargestellt, und um Gnad gebetten; die er auch erlangt hat. Bald aber darauf wurde er von einem tödlichen Fieber überfallen, und in einen Spital überbracht. Wie er nun sahe, daß er von dem Tod übereilt wurde, auch nicht gleich ein Priester vorhanden gewesen, dem er seine Sünden hätte beichten können, ergriffe er dasjenige Mittel, welches in dergleichen Fällen allein einem Sünder noch durchhelfen kan; nemlich die vollkommene Reu und Leid. Er erhebte also sein Gemüth durch den wahren Glauben und Hofnung zu Christo, und sprache (wie es die herumligende Krancke hernach bezeugten) mein HErr! weil ich niemand anderen haben kan, dem ich beichten könte, so beichte ich dir meine Sünden; und begehre nichts anders, als was schon einmahl ein Mörder von dir am Creutz erlangt hat: nemlich Gnad und Verzeihung: und das durch dein unendliche Barmhertzigkeit. Zu Zeugen meiner Reu opfere ich dir auf diese meine Zäher; und begehre nichts anders, als zu sterben in deiner Gnad. O GOtt! seye gnädig mir armen Sünder. Dieses geredt, wendete er sich gegen der Wand des Krancken-Zimmers, weinte mit viel Seufzen und Wehklagen sein Schnupftuch an, und gabe in solcher Reu den Geist auf. Der Artzt des Spitals, ein so wohl gottseliger, als Artzney erfahrner Mann, sahe dieselbige Nacht, eben in der Stund, da der Mörder gestorben, [160] zu des verstorbenen Beth hinzu gehen viel schwartze Mohren, mit langen Zettlen in den Händen, worauf des Mörders begangene Missethaten verzeichnet stunden. Es waren aber auch zugegen zwey andere Männer, in weisser Kleidung; nemlich 2. Engel, deren einer in der Hand eine Waag hielte. Wie man nun die Zettel auf die Waag legte, druckten sie die Waag-Schalen tief unter sich: Worauf die Mohren, nemlich die Teufel, auf den Sententz drangen; daß man der Gerechtigkeit gemäß diese Seel ihnen zuerkennen solte. Da sprach der eine Engel: haben wir dann gar nichts, das wir auf die andere Waag-Schal legen könten? der andere antwortete: was müßten wir haben? es seynd noch nicht 10. Täg verflossen, daß dieser Mensch die Mörder-Grub verlassen. Doch suchten sie in dem Beth herum, und fanden zuletzt das mit Zäher angefeuchte, und nasse Schnupftuch; welches, als sie es auf die Waag gelegt, hat es die Zettel alle überwogen. Darauf die Mohren verschwunden; die Seel aber von den Englen weg geführet worden. Des anderen Tags, so bald der Artzt des Spitals erwacht, eilte er dem Spital zu; fande das von Zähren gantz nasse Schnupftuch: und wie er von denen anderen Krancken vernommen, was sich mit dem sterbenden Mörder begeben, zweifelte er nicht mehr, daß diese Buß-Zäher dem reuenden Mörder wohl müßten zustatten kommen seyn: sagte GOtt Danck wegen des gehabten Gesichts, und machte es ihm auch selbsten fleißig zu Nutz. Mancinus de Passione Domini. l. 2. Dissert. 3.


O was haben die Zäher nicht für ein Kraft, wann sie aus einem reumüthigen Hertzen herfliessen! wie zornig auch GOtt wegen den Sünden geweßt ist, so besänftigen ihn doch die Zäher. Sie fallen ihm gleichsam in die Arm, und verhindern, daß er den Sünder nicht straft nach seinen Verdiensten. Welches aber mehr zu verstehen ist von denen Zäheren des Hertzens, als der Augen. Und dahin deutet der Prophet David, wann er sagt: Ein zerknirschtes, und demüthiges Hertz wirst du, O GOtt nicht verachten. Psalm. 50.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 160-161.
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