Sieben und dreyßigstes Exempel.

Ein alter Greiß, so vor vielen Jahren einen Todschlag begangen, wird auf ein wunderliche Weiß verrathen.

[249] Zu Lucern im Schweitzerland, ware ein alter Greiß, und (wie man darfür hielte) fromme Einfalt. Der sasse einstens, nach Spitaler Brauch, vor der Haus-Thür an der Sonnen; die ihn vielleicht so bald nicht mehr anscheinen wurde, erinnerte sich aber nicht des teutschen Sprüch-Worts;


Nichts ist so klein gesponnen,

Es kommt einmahl an die Sonnen.


Dieser alte Bößwicht aber hatte einen gar groben Faden gesponnen, den zuletzt der Hencker müste abhasplen. Weilen er also auf dem Bäncklein sasse, und entweders schlummerte, und mit dem Kopf gnappete, oder die Zeit mit Schwätzen vertriebe, begabe es sich, daß ein grosser Hund mit eines Menschen Todten-Kopf zwischen den Zähnen, über den Platz, die lange Gassen herab geloffen kame. Männiglich erschracke ab diesem Spectacul, der Hund aber liesse ihm weder mit Schrecken, noch Trohen die erhaschte Beuth abjagen, sondern trange durch den herumstehenden Haufen Volcks; nahme den geraden Weeg zu gedachtem Spitaler, einem 70. oder 80. jährigen Greisen, legte ihm den kahlen Todten-Kopf in den Schooß, und machte sich ohne einiges Bellen wieder davon. Man verwunderte sich über eine so seltsame Sach, und sahe den Alten starck an. Er aber gantz ertattert und von seinem bösen Gewissen getrieben, stunde auf, und bekennte offentlich: Wie daß er beyläuffig vor 30. Jahren in dem nächst gelegenen Wald einen Studenten habe umgebracht, aus Hofnung, ein Stuck Geld bey ihme zu erhaschen; hätte aber mehr nicht als 3. Kreutzer gefunden, und darauf den Leichnam in ein Gruben geworffen, und eingescharret. Jetzt erkenne er die gerechte Urtheil GOttes, und verstehe von diesem Botten, den ihm GOtt zugeschickt, zu genügen, daß er von dem so unschuldig ermordten Studenten für Gericht beruffen werde. Die Sach kame bald für die Obrigkeit, der boßhafte Thäter wurde eingezogen, gerichtlich befragt, und auf eigene Bekanntnus zu dem Schwerdt verdammt. Stengelius Tom. 4. de Judiciis divinis cap. 52. num. 3.


Gerechter GOtt! wie weist du einen Todtschläger so wunderlich zu finden, und beym Kopf zu nehmen, wann er sich geduncken laßt, als gedencktest du seiner nicht mehr! O nein! du verschiebest zwar unter weilen die Straf, aber du schenckest sie darum nicht. Und was Wunder? Unschuldig-vergossenes Blut schreyt ohne Unterlaß [250] Rach zu dir. Und da muß erfüllet werden, was du gedrohet hast Gen. 9. Wer Menschen Blut vergießt, dessen Blut soll auch vergossen werden.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 249-251.
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