Vier und sechtzigstes Exempel.

Godoleva eine unschuldige Matron, wird von ihrem Ehe-Herrn über die massen hart gehalten; erlangt aber durch ihre unüberwindliche Gedult endlich die Marter-Cron.

[336] Godoleva (ist so viel gesagt, als Gottlieb) ware eine Tochter Wifridi, und Oginä, adelich an Tugend und Geschlecht; und gebohren in dem Boloniensischen Gebieth, unweit Cales in Franckreich. GOtt hatte sie begabet mit auserlesener Schönheit des Leibs, und solchem Gemüth, welches nicht auserlesener hätte seyn können. Beydes brachte ihr grossen Ruhm bey jedermann: dessen auch ein reich und adelicher Herr in Niderland, Nahmens Bertulphus, benachrichtiget, den Elteren mit Bitten und Schmeichlen so lang in Ohren lage, bis sie ihm die liebe Tochter zur Braut zusagten; den Ehe-Vertrag vollkommentlich einrichteten, und unterzeichneten, und dem Bräutigam das tugendliche Kind unter stattlichem Gepräng der Heimführung in sein Vatterland folgen liessen. Nun sagt man zwar, das weibliche Geschlecht habe lange Haar, und kurtze Sinnen: sey der Unbeständigkeit unterworffen von der Natur: es zeiget sich aber in täglicher Erfahrnuß, daß eben so unbeständig seye die Gunst, und Gewogenheit aller Menschen insgemein: dessen sich zwar nicht zu verwunderen, indeme nach Aussag des Heil. Jobs der Mensch nimmer in einem Stand verbleibt. Solches aber im Beyspiel vor Augen zu legen, wie abscheulich das menschliche Gemüth sich änderen könne; wie unersättlich bey allem Zeitlichen; wie unvergnügt es sich nach allen Wohllüsten des Leibs befinde, gibt Bertulphus den Augenschein, welcher sich aus brennender Liebe der massen gerissen und beworben, gerennet und geloffen, geseuftzet und gebetten, gedienet und aufgewartet, geschencket und versprochen, bis ihm die gottliebende Godoleva zu Theil worden, daß man hätte schwören sollen, Lieb, Fried, und Freud werde dieses Ehe-Volck bis ins Grab begleiten, aber weit gefehlt! Godolepha kame kaum ins Haus, da kehret sich Bertulphi wanckelmüthiges Hertz schon um, und zeiget ohne einige Ursach, gleich den ersten Tag solchen Widerwillen, Haß und Abscheu von ihr, daß er sie nicht einmahl wollen vor Augen sehen. Seine gottlose Mutter schürte das Feur noch mehr an, und gabe einen höllischen Blaßbalg ab, den Brand in völlige Flamm zu bringen; hielte dem Sohn mit bissigem Verweiß vor, daß er sich mit einer Ausländerin behenckt; gleich als wären im Vatterland nicht eben dergleichen wackere, schöne und reiche Jungfrauen zu finden gewesen. [337] Mit einem Wort: das fromme Kind mußte bey erstem Antritt der Thür-Schwell sehen, daß alle Sonnenblick der Freundlichkeit auf einmahl zuruck weichen, und verschwinden, und sie in das Haus, gleich als in ein finsteres, und nichts als Donner und Hagel drohendes Gewölck hinein gehe. Was solte die so übel hinter das Liecht geführte Godoleva anfangen, die Gedult ware das beste Mittel. Um diese bate sie GOtt aus innerstem Hertzen, er wolle ihr schwaches Gemüth stärcken, auf daß sie weder im Hertzen, noch Angesicht einige Ungedult mercken liesse. Es kame entzwischen zum Hochzeit-Fest. Dieses währete drey Täg; aber (O unerhörte Sach!) ohne Hochzeiter. Dann um diese unschuldigste, und mithin ohne Ursach angefeindete Hochzeiterin nicht anzuschauen, machte sich der grobe Bertulphus unsichtbar, und ware keinen Tritt zu seinen Gästen kommen. Also gieng ihre drey tägige Ehren-Zeit ohne einige Freud in lauter Kummer hin; und folgte auch nach selbiger kein bessere Stund. Dann er sönderte sich von ihr gäntzlich ab; nahme die Wohnung bey seinen Elteren, und liesse sie gantz verlassen, und allein in dem Haus schalten und walten, wie sie wolte.


Wohl ein betrübter Anfang der unglückseeligen Ehe! die vergifte Schwiger-Mutter; der unwirsche Ehe-Herr konte aus Haß ihren Namen nicht hören. Keine Freund und Bekannte waren um und um zu finden. GOtt, als der beste Freund und Tröster, bliebe noch alleinig bey ihr; unter dessen Seegen un Beyhülf fienge sie so dann in ihrer Verlassenheit die Haushaltung an, und führete auch dieselbige so rathschlägig, ehrbar, und auferbäulich fort, daß niemand einigen Mangel ausstellen, noch Tadel beybringen könte. Nachdem nun solches eine Zeit gewähret, rauchete entzwischen Bertulpho seine Feindseeligkeit nicht allein nicht aus; sondern (O des Unmenschens) entzündete sich vielmehr also GOttes- und Ehr-vergessen, daß er (ohngeachtet des hohen Geschlechts, ehelicher Pflicht, und grosser Tugend seiner frommen Ehe-Liebsten) ihr einen Knecht ins Haus beorderte, ihm aufs schärffist anbefehlend, er solte Godolevä zum Unterhalt des Tags mehr nicht geben, als ein Stücklein trockenes Brods, und zwar auch dieses nur zu gewissen Stunden; sie solcher Gestalten desto empfindlicher, und bis aufs Marck zu peynigen. Der GOttes vergessene Knecht bey seinem Herrn (wie es solches Heyl Ehr- und Gewissenlose Gesind im Brauch hat) wohl daran zu seyn, kame dem Befehl fleißig nach: legte seiner Heil. Gebieterin, sehr schmahle Bislein Brods vor: samt etlich Körnlein Saltzes, und wenigem Wasser: begegnete ihr beynebens mit rauhesten Worten, gröbsten Gebärden, und unhöflichen Verfahren dermassen unchristlich, gleich als wäre sie nicht seine gebietende [338] Frau, sondern die schlechteste Dienst- Magd, Leibeigene; ja gar ein verwürfflicher Hund. Die gedultige Godoleva stunde all dieses mit unbegreifflicher Sanftmuth aus: sagte GOtt Danck; theilte jederzeit ihr Bislein Brod mit den Armen bis auf den letzten Brosam, und liesse niemahlen das wenigste Zeichen der Ungedult spühren; ja erzeigte sich bey allem Schmähen, Kolleren und Polderen gegen diesem ungeschliffenen Kerl mit Zucker-süssen, und goldenen Worten dermassen liebreich, daß ein steinernes Hertz sich darüber hätte erbarmen; und erweichen lassen sollen. Bertulphus, in Ersehung, daß bey diesen Verfahren die Gedult seiner Ehefrau noch nicht brechen wolle, setzet noch härter an, und befihlt dem Knecht, ihr forthin die Portion zu schmähleren, und nur die Helfte des Brods vorzulegen. Es ware aber bey ihr ein Thun, sie danckte GOtt eben wie zu vor, und legte den Armen von diesen Wenigen dannoch einen Theil allzeit zuruck: vergnügte sich entzwischen mit dem Heil. Gebett, und stillete ihren Hunger mit Betrachtung himmlischer Dingen, welches ihr über alles Wohl-Leben ware.


Es daurete diese Tyranney eine ziemliche Zeit, und vergienge beynebens kein Tag, wo die gottlose Elteren Bertulphi durch ihr teuflisches Anhetzen ihr nicht ein neues Creutz zuschnitzelten: waren dannoch endlich mit dieser Marter nicht vergnügt; sondern kamen so weit, daß sie den Sohn anstifteten, er solle trachten, dieses Haus-Creutz gar vom Hals zu schieben; und weil es ja von selbsten nicht in die Gruben fallen wolle, so solle er ihr einen kräftigen Stoß versetzen, davon sie nimmer aufstehen wurde. Ward demnach der Schluß geschwid gemacht, Godoleva solte sterben; und zwar von der Hand ihres eigenen Ehe-Manns. Allein stunde ihm nur noch eines im Weeg, worauf das Absehen zu haben; nemlich ihre adeliche und mächtige Elteren, und Verwandschaft, welche den Mörder von der grausamen Unthat noch abschröckten. Die unschuldige Dienerin spührete, aus denen täglich anwachsenden Plagen wohl, daß es endlich ihr Leben kosten werde; wird also schlüßig, dasselbe zu retten, und heimlich davon zu gehen. Nimmt derohalben ein eintzige Magd zu sich, entlauffet mit blossen Füssen zu ihren Eltern, und erzählet ihnen wehemüthig nach der Länge: auf was Weiß ihr tyrannischer Ehe-Mann mit ihr verfahren wäre. Diese (wie billig) entsetzten sich höchstens ob solcher Tyranney; wurden wider Bertulphum gewaltig entrüstet, und trugen mit ihrem frommen Kind ein hertzliches Mitleyden; gehen auch alsbald zu Rath, wie der Sach zu helffen; und nehmen Balduinum den Grafen in Flanderen, und den Bischof zu Nimegen, als Godoleva Vetteren zum Beystand, welche durch ihr hohes Ansehen ins Mittel tretten, und den Wütterich dahin zwingen solten, daß [339] er seine Heil. Gemahlin wiederum annehme; und zwar mit theuerem Versprechen, ihr forthin kein Leyd mehr anzufügen; sondern mit ihr (als einer von Tugend und Adel so hoch bewehrten Matron gebühret) in beharrlichen Frieden, Lieb- und Ehrbezeugung aufs beste zu leben. Beyde Herren nehmen sich der Sach eyfrigst an, beruffen Bertulphum, und thun mit scharffen Verweisen, Trohen, und Zusprechen ihr Aeusserstes. Das verstockte Unthier, aus Beysorg, man därfte ihm ein anders weisen, und an ihm selbsten wahr machen, was er wider seine unschuldige Godolevam in Sinn habe, stellte sich überaus reumüthig; nimmt sie unter vielen Zeichen der Reu und Lieb wiederum an, und verspricht goldene Berg; behaltet aber indessen den Schalck im Busen, und die Mord-Gedancken im Hertzen mit bestem Vorsatz, so bald sich nur ein bequeme Gelegenheit hervor thun werde, ihr den Hals zu brechen; es geschehe gleich über kurtz oder lang. Nach gethaner Angelobung, und getreuer Versicherung einer solchen Beywohnung, als einem Ehrliebenden Ehe-Mann gebührt, reissen beyde in getröster Hoffnung der Elteren und Verwandten wiederum nacher Haus. Die gewitzigte Godoleva aber nahme den Abschied mit Angst-vollem Hertzen; gesellete sich ihrem nunmehr zucker-süssen Bertulpho, als ein gedultiges Schäflein bey; aber zwischen Forcht und Hofnung, und setzte ihr Vertrauen auf GOtt. Doch schwindelte ihr beynebens immerdar, er werde den reissenden Wolfs-Balg schwerlich abgelegt, sondern nur hineingekehrt, und mit der Schaafs-Haut so lang sich bedeckt haben, bis er den Kopf aus der Schlingen gezogen: und fande sich in dieser Meynung auch nicht betrogen. Indem sie kaum aus den Augen der Elteren, und in seinem Gewalt, da gienge das vorige Creutz schon wiederum an; und ware zwar dieses letztere ärger, als das erste. Dann der mörderische Unmensch hielte sie für verächtlicher, als ein Fuß-Hader, und liesse täglich und stündlich mehr Anzeig gegen ihr verspühren, wessen Ausgang sie sich endlich werde zu getrösten haben. Weilen dann die englische Godoleva je sehen, und mit Händen greiffen mußte: daß Chrysam und Tauf an ihm verlohren, auch gar keine Hofnung mehr zu machen, daß er seinen unmenschlichen Sinn jemahlen änderen werde, machte sie ihr allgemach die Rechnung, er werde nicht aussetzen, bis er sie mörderisch ins Grab bringe; noch seine Wuth sich stillen lassen, als mit ihrem unschuldigen Tod. Ihre Zäheren seyen zu Auszulöschung seines Hasses bißhero zu wenig gewesen; also werde nun ihr unschuldiges Blut daran müssen, das teuflische Haß-Feur zu löschen; dieses seye einmahl der Weeg, den ihr die Vorsehung GOttes vorgeschrieben, auf welchem sie solle in den Himmel gehen. Gibt sich also gedultig darein: haltet sich vest an ihren lieben GOtt; schliesset, bey ihm getreulich bis auf den[340] letzten Bluts-Tropfen zu verharren, und die herrliche Marter-Cron mit Freuden zu erwarten, an deren Zubereitung ihr mörderischer Bertulphus allbereit arbeite, und von keinen anderen, als von diesem treulosen Ehe-Mann ihr werde aufgesetzt werden. Es gienge dieser betrübte Zustand einigen Frauen zu Hertzen; suchten sie bisweilen heim, sprachen ihr einen Trost zu, und erzeigten ein hertzliches Mitleyden, daß das Kleinod ihres vornehmen Geschlechts einem so wilden Schwein seye vor die Füß geworffen worden; ihr schöne Gestalt von diesem Unthier nicht besser in Ehren gehalten werde; ihr junges Leben so erbärmlich müsse zu Grund gehen, welches alles, ja aller Billigkeit nach verdiene, daß sie solte geliebt, geehrt, und mit dem Edelsten aus dem gantzen menschlichen Geschlecht versorget, und auf Händen gleichsam getragen werden, auch in aller erdencklicher Ergötzung des Ehe-Stands mit lieben Erben begabet leben. Die mannhafte Godoleva aber zeigte dargegen alles dessen den wenigsten Kummer; dieweil sie schon längst alles menschliche Hochachten, Lieb, Freud, Vergnügen und Wohlergehen im Ehe-Stand aus dem Hertzen geschlagen; sich allein mit GOtt tröstete, von diesem weit höher- und heiligere Freuden in ihrer Seel empfunde, und mit solchen Gnaden angefüllet ware, daß sie aller Welt Ergötzlichkeiten leicht vergessen könnte. Dahero auch diesen ihren Zusprecherinnen unverholen, und ohne einige Gemüths-Zerstöhrung vorsagte, es werde nicht mehr lang anstehen, daß Bertulphus ihr werde seine Händ gewaltthätig anlegen, dieselbe in ihrem Blut waschen, das Leben mörderisch nehmen, und ihr mithin in den Himmel helfen.


Indessen setzte der böse Feind dem gottlosen Bertulpho durch seine GOttes-vergessene Mutter täglich heftiger, und mit diesen Worten zu: Wohin solcher Aufschub ziele? was er einmahl beschlossen, solle er bald ins Werck setzen; es koste ja nur eines Topfen Gifts: oder einen Zug, mit einem Strick, oder einen Messer-Stoß, so seye er alles seines Creutzes überhoben: und was des giftigen Einblasens mehr ware. Der treulose Ehe-Mann hätte zwar lieber gesehen, daß Godoleva durch sein immerwährende Peinigung ausgesterbet, und endlich aus Hunger und Kummer dahin gefallen wäre. Weilen aber diese beglückte Sonn gar zu lang nicht scheinē wolte, und ihn jede Stund ein Jahr zu seyn dunckte, lasset er endlich seiner Wuth den völligen Zaum schiessen, und bestellet zwey seiner Bedienten, ihr bey Nacht den Weeg in die Ewigkeit zu zeigen, und den Garaus zu machen. Greift jedoch die Sach mit folgenden Gelimpf an, auf daß sie es nicht wahr nehme, und sich vielleicht wiederum in Sicherheit setze. Nemlich er kommt ohn alles Verhoffen, und giebt ihr goldene Wort, sagend, es erforderen seine Geschäft: daß er eine Reise nacher Brüssel [341] vornehme. Nun erkenne er ihre grosse Tugend; es reue ihm von Hertzen sein strenges Verfahren, und bitte, ihm alles angefügte Leid zu verzeihen; er seye vest entschlossen, forthin mit ihr in Einigkeit zu leben, und wünsche mehrers nicht, als ihr in allem zu dienen, und was sie nur vergnügen könne, zu willfahren. Solches auch im Werck selbsten darzuthun, habe er allbereit seinen zwey Dieneren, die er werde zuruck lassen, anbefohlen, sich alles Fleisses umzuthun, eine emsige, getreue und höfliche Aufwarterin für sie zu erfragen, dero sie sich in allem bedienen könne. Nimmt mithin (O du falsches Hertz) einen höflichen und liebreichen Abschied, mit Versprechen, in wenig Tägen wiederum bey ihr zu seyn; in der Sach selbsten aber die erfreuliche Bottschaft zu erwarten, daß seine Mord-Anschläg vollzogen, und die fromme Godoleva glücklich erdroßlet seye; mithin er sich alsdann vor der Welt mit verstellter Traurigkeit anstellen könne, als wäre er Engel-rein; habe weder Schuld, noch die mindeste Wissenschaft von diesem schweren Verbrechen gehabt. Also ziehet der boßhafte Heuchler mit liebreichen Angesicht; aber Mord-brennenden Hertzen fort. Wenig Täg hernach sehen die zwey hinterlassene; Meuchel-Mörder die Gelegenheit aus, schlichen bey eitler Nacht, da alle im Haus in tiefer Ruhe waren, in der unschuldigen Matron Schlaf-Zimmer; reissen sie im Unterkleid aus dem Beth; werfen ihr einen Strick um den Hals; ziehen denselben vest zusammen, droßlen, und schleppen sie geschwind in den vorbey rinnenden Fluß, das vielleicht noch glimmende Lebens-Liecht völlig auszulöschen. Ziehen alsdann den Leichnam alsbald wiederm heraus; legen selbigen ins Beth, und decken ihn fleissig zu; in Hofnung, solcher Gestalt werde diese grausame That verschwiegen bleiben, und sie als die Thäter nie werden ans Tag-Liecht kommen. Es gienge auch der Anschlag eine Zeit lang von statten; dann jedermann vermeinte, der Kummer habe der betrangten Matron endlich das Hertz abgestossen; und waren so gar eben die ruchlose Bößwicht die erste, welche das gröste Leidweesen wegen ihrer verstorbenen Frauen führten. GOtt aber, dessen allsehendes Aug niemand blenden kan, zeigte bald, wie kostbar der Tod seiner frommen Dienerin vor seinem göttlichem Angesicht seye; und machte mit vielen Wunderthaten kund, daß sie keines natürlichen, sondern eines gewaltsamen Tods, als eine Martyrin, ihr Leben gelassen. Dann die Stein, wormit das Zimmer, in welchem der Mord vorgegangen, gepflastert ware, änderten ihre Farb, und nahmen eine solche Weisse an, als wären sie mit Schnee bedeckt; oder aus dem schönsten weissen Marmel gehauen; und wer von denselben mit sich nacher Haus truge, befande sie verändert in kostbare Edelgestein; oder Schnee-Weisse Perlein. Das Wasser, welches ihr nach der Droßlung den letzten Athem verlegen müssen, empfienge die übernatürliche Kraft, daß, wer von demselben verkostet, [342] von Stund an aller Kranckheit befreyet wurde. Die eigene Tochter ihres mörderischen Bertulphi, welche er von der ersten Ehe-Frau erzeuget, und blind aus Mutter-Leib kommen ware, benetzte ihre Augen mit diesem Wasser, und schwemmete damit ihre Blindheit unverzüglich hinweg.


Mithin meldet ein glaubwürdiger Scribent, der Frauen-Mörder Bertulphus habe nachmahlen (O der unermeßlichen Barmhertzigkeit GOttes) seine Sünden bereuet, und ein seliges End genommen; und seye des gantzen Unheils einige Urheberin sein eigene gottlose Mutter gewesen. Ohne allen Zweifel hat seine heilige Godoleva ihm solches reumüthiges Hertz durch ihre Fürbitt von GOtt erhalten, dessen unergründliche Urtheil bey dieser Trauer-Geschicht anzubetten, und zu bewunderen; nicht aber zu untersuchen, noch in Erwegung zu ziehen seynd: dieweil die Anfänger wissen, daß der allwissende GOtt die unschuldige Godolevam mit diesem unmenschlichen Hencker, u. ungeheuren Thier Bertulpho nur zu diesem End habe ehelich wollen verbinden lassen, auf daß durch ihn ihre Tugend geprüfet; ihre Gedult bewehret; ihre Lieb gegen GOtt geläutert; ihr Hertz von der Welt völlig abgezogen werde; und alsdann durch den gewaltsamen Tod die Marter-Cron in dem Himmel erwerbe, als eine Martyrin auf Erden verehret werde; und alle unschuldige Ehefrauen, die von ihren tyrannischen Männeren dergleichen Trangsaalen erdulten müssen, sie als einen Gedult-Spiegel sich zur Nachfolg vorstellen können; auf daß auch sie gleicher Cronen, und ewigen Lohns im Himmel würdig werden. Bibadeneira S.J. ad diem 5. Julii.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 336-343.
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