Neunzehende Begebenheit.

Ein junger Türck, nachdem er sich tauffen lassen, und mit einer Christin verheurathet hatte, fallt meineydig vom Christlichen Glauben ab, kommt aber darüber elendiglich ums Leben.

[555] Ein junger von Damascus (so eine der grösten, reichsten und prächtigsten Städten im Heiligen Land ist) gebürtiger Türck, etwann 13. Jahr alt, da er in einem Kaufmanns-Schif auf dem Meer fuhre, ist er von den Maltheseren gefangen, und einem spannischen Ritter geschenckt worden, welcher denselben mit sich nach Spannien geführt, und nachdem er ihne in dem Christlichen Glauben so weit hat unterweisen lassen, daß er endlich den Heil. Tauf hat angenommen, wie seinen Sohn geliebt hat.

Als nach etlichen Jahren gedachter Spannier bey dem Kriegs-Heer in Flandern (so eine Niederländische Provintz ist) zu dienen beordert worden, nahme er den neu-getauften Jüngling mit sich, welcher wegen seinen vortreflichen Eigenschaften, zuforderst in Ansehung seines Heldenmuths zu End des ersten Feldzugs, auf Vorbitt seines so günstigē Herrns die Stell eines Rittmeisters bey der Spannischen Armee erlangt hat. Sein erstes Quartier ware ihm zu Brüssel (so eine der grösten, schönsten, und Volck-reichisten Städten[555] in Niederlanden ist) angewiesen. Die gute Meinung, so man von ihm geschöpft hatte, daß er ein tapferer Soldat seye, hat ihm den Eintritt in die vornehmste Häuser und Gesellschaften zu gemeldtem Brüssel eröffnet. Er ware damahls beyläufig 25. Jahr seines Alters: nirgends ware er angenehmer, als in einer Behausung einer reichen Frauen von Amsterdam (einer der vornehmsten Städten in Holland) welche auf eine Zeit lang samt ihrer Tochter nacher Brüssel kommen ware.


Sowohl die Mutter, als die Tochter waren gut Catholisch, und sahen den Türckischen Hauptmann, welcher sich für einen Spanier ausgabe, so gern bey sich, daß, als er zu Ende des Winter-Quartiers die Tochter zur Ehe begehrte, die Mutter leichtlich eingewilliget hat. Die Hochzeit ware zu Brüssel mit Gutheissung der gantzen Stadt gehalten: Die neue Eheleut haben lang ohne Kind vergnügt beysamen gelebt; nach zehen Jahren aber ward ihnen ein Söhnlein gebohren.

Nach einiger Zeit kame den neuen Vatter, den jedermann für einen Spannischen Edelmann hielte, eine Lust an sein Vatterland in Syrien zu sehen doch nicht anderst als mit Weib und Kind, die er alle hertzlich lieb hatte. Darum beredete er seine Gemahlin, als empfinde er innerlich einen starcken Antrieb aus blosser Andacht samt ihr und dem Söhnlein nach Jerusalem zu reisen, damit er allda die Fußstapfen, und das H. Grab Christi verehrte, von dannen aber in Spanien auf seine Güter, und in sein vorgeschutztes Vatterland zuruck reisete. Sie ware bald zu einer so beschwerlichen Reis beredet; ja sie hat ihm zu Gefallen auch eingewilliget, gantz heimlich ohne Vorwissen der Frau Mutter aufzubrechen, damit sie ihrem Vorhaben von keinem einigen Menschen möchte verhindert werden.


Sie setzten sich demnach samt ihrem Söhnlein gantz unvermerckt auf ein holländisches Schif, und kamen über die Atlantische Meer-Enge zwischen Africa und Spanien glücklich an, allwo ihnen drey barbarische Raub-Schif begegnet seynd, von welchen sie zweifels ohne wurden zu Sclaven gemacht worden seyn, wann nicht der vermeinte Spanier nach erhaltener Losung die feindliche Schif besteigen, sich dem barbarischen Capitain in arabischer Sprach mit Offenbahrung seines wahren Vatterlands zu erkennen gegeben, und nicht allein seine Freyheit, sondern auch die Erlaubnus sich samt Weib und Kind auf gedachtes Schif hinüber zu ziehen erlangt hätte mit fernerer Versicherung, ihne mit den seinigen in kurtzer Zeit entweder nacher Syrien (so ein grosses Land in Asien ist, und Palästina, oder das Heil. Land in sich begreift) oder wenigstens bis nacher Alexandria in Egypten zu liefern, allwo die Gelegenheit nacher Spanien zu schiffen niemahls abgienge. [556] Er kame mithin auf das holländische Jagd-Schif zuruck, damit er seine Ehe-Frau samt dem Söhnlein abholete. Sie wolte sich zwar Anfangs einem barbarischen See-Rauber auf keine Weis anvertrauen, bis er ihr erwisen hätte, daß sich auf dergleichen Raub-Schif viel geschwinder als auf einem Christlichen Schif in das gelobte Land kommen wurden. Doch gedachte sie endlich, sie könte nicht gescheider thun, als wann sie sich ihrem Mann völlig überliesse, welcher den Handel besser, als sie verstehen müßte.


Allein sie hatte einem meineydigen Schelmen getrauet, welchem die Barbaren nimmer wurden verschont haben, wann er nicht vorher in gedachtem Gespräch den barbarischen Hauptmann versichert hätte, daß er den Christlichen Glauben im Hertzen verlaugnet habe, und hinführo den türckischen Glauben offentlich bekennen wolte; ja nur deswegen nacher Syrien reisete, damit er daselbst die übrige Zeit seines Lebens als ein Türck zubringen möchte. Doch batte er gemeldeten barbarischen Hauptmann, die Sach bey sich zu behalten, damit sein Weib den Betrug nicht mercken könte; welche dann ohne was Böses zu gedencken aus dem holländischen in das barbarische Schif mit ihrem Söhnlein hinüber gestiegen, und bald hernach zu Algier in Africa angelangt ist. In dieser Stadt giengen ihr nunmehr die Augen auf, als sie sehen mußte, daß ihr Ehe-Herr nicht allein beständig bey denen Türcken stecke, sondern auch ihre Sprach hurtig rede, und sich mit denenselben zum Gebett in die Moscheèn (so der Mahometaner Kirchen seynd) begebe. Doch könte ihr nicht einmahl traumen, daß er ein gebohrner Türck wäre, sondern sie besorgte sich nur, die Mahometaner möchten ihn, wann er länger zu Algier bleiben solte, verführen. Deswegen drange sie starck darauf, daß er ihr eine Gelegenheit nach Jerusalem fortzufahren eilends bestellen möchte in gäntzlicher Hofnung, die Besuchung Heil. Oerter wurde seinen Catholischen Glaub in Sicherheit stellen.


Er gabe ihr nach; sie giengen miteinander unter Segel, und kommen in kurtzer Zeit zu Alexandria an, allwo er heimlich abermahl die Moscheén besucht, und mit denen Türcken Gemeinschaft gepflogen hat. Weilen er aber die Sach nicht so genau verbergen könte, daß seine Gemahlin nicht wäre darhinter kommen, ist diese in solche Betrübnus gefallen, daß sie Tag und Nacht bitterlich weinete, aus Sorg, ihr Mann der vermeinte Spanier möchte an statt der vorgenommenen Wallfahrt den Glauben verliehren. Darum hat er seiner betrübten Gemahlin sich aufrichtig eröfnet, daß er nemlich ein zu Damascus gebohrner, nachmahls von denen Maltheseren Gefangener, und nach Spanien verschenckter reicher Türck seye. Er erzählte ihr alle seltsame Umständ seines Lebens, wie [557] auch sein Vorhaben bey dem Mahometanischen Glauben in seinem Vatterland bis in den Tod zu verharren. Was sie aber und das Söhnlein belangte, wurden zwar beyde mit ihm nach Damascus auf seine Güter kommen, doch in ihren Catholischen Glauben, und dessen freyer Ubung nicht gekränckt, sondern vielmehr darbey beschützt, auch sonst mit allen Gemächlichkeiten überflüßig versehen werden.


Dieses ware nun ein harter Donnerstreich, welcher das Hertz der guten Holländerin dergestalt geschmettert hat, daß sie vor Erstaunung nicht mehr reden könte; ihre schwermüthige Gedancken tobeten unter einander wie das ungestümme Meer, also daß sie ihr selbst weder zu rathen, noch zu helfen wußte. Doch als endlich ein Strahl des göttlichen Liechts durch das dicke Gewölck sie bestrahlet hatte, befahle sie sich GOtt, und übergabe sich seinem Heil. Willen. Ihr Ehegemahl, der abgefallene, welcher sie zärtiglich liebte, bemühete sich auf alle Weis ihren Schmertzen zu lindern, und sie mit allerhand Ergötzlichkeiten zu trösten. Er gienge mit ihr und dem Söhnlein wieder zu Schif, und langte in Syrien zu Aleppo an, um allda seine Bekannte heimzusuchen.


Die wunderbarliche Begebenheit dieser 2. Eheleuten ware von Alexandria aus nacher Aleppo so fruhezeitig überschrieben worden, daß nach ihrer Ankunft jedermann den verstellten Spanischen Türcken, und seine tugendhafte Holländerin sehen wollte, mit welcher nicht allein die Christen sondern auch die Türcken ein ehrerbietiges Mitleiden hatten, vornemlich da bald hernach ein weit grössere Trangsal über sie kommen ist.


Kaum ware in der Stad Aleppo der Ruf ergangen, daß der neu-angelangte Spanische Türck einen grossen Schatz in Gold und Geld mitgebracht hätte, als gewisse Beutelschneider ihm nach dem Leben zu streben anfiengen, damit sie solchen Reichthum mit einander sicher theilen möchten. Dem seye, wie ihm wolle: Gewiß ist, daß man ihn auf einen gewissen Tag voll der Wunden gefunden habe, ohne erfahren zu können, wer ihn so jämmerlich ermordet hätte.

Ach! wie muß bey Vernehmung dieses Todschlags der ohne dem betrübten Holländerin um das Hertz gewesen seyn? sie befande sich in einem fremden Land mitten unter einem unglaubigen Volck, dessen Sprach sie nicht verstunde, ohne Schutz, ohne Hilf, ohne Trost, ohne Mittel. Nichts bliebe ihr überig als ihr Söhnlein, welches samt der Mutter vor Hunger und Nothdurft wurde verschmachtet seyn, wann nicht die göttliche Vorsichtigkeit sich ihrer angenommen hätte.


Etliche Maronitische Weiber, welche von dem Berg Libanus nacher Aleppo kommen waren, und nach verrichteten Geschäften dahin wollten zuruckkehren, haben die Wittib beredt mit [558] ihnen in dero Vatterland zu reisen, welches fast gantz Catholisch wäre, mit der Versicherung, daß sie bey den Maroniten samt ihrem Söhnlein an Leib und Seel wohl wurde versorget seyn. Sie nahme solches Erbieten für bekannt an, und kame mit diesen Maronitischen Weiberen nacher Antura, allwo ein sehr fromme und wohl bemittlete Catholische Wittib ihr um GOttes willen nicht allein die Herberg in ihrem Haus, sondern auch alle Nothdurft verschaft hat.


In erwehntem Antura ist sie mit denen Mißionarien S.J. zum ersten mahl bekannt worden. Sie hatte daselbsten ein sehr auferbauliches Leben geführt, von ihren Trangsalen aber mit einer solchen Ergebung in den göttlichen Willen geredt, daß die Zuhörer sich der Zäheren nicht enthalten könten. Eine dermassen bewährte Tugend hat ihr die Hochachtung aller Maroniten zuweg gebracht, welche sich in die Wette bemüheten, ihr Gutes zu thun, damit sie ihre Müheseligkeiten leichter vergessen möchte. Sie hat ihr Gewissen einem aus gedachten Mißionarien vertraut, welcher der Mutter so wohl als des Söhnleins Sorg getragen, und dieses letztere auferzogen hat.


Demnach sie sich etliche Jahr zu Antura aufgehalten hatte, ereignete sich ein schöne Gelegenheit mit einer ehrlichen Gesellschaft nacher Holland zuruck in ihr Vatterland zu reisen, mit welcher sie auch mit ihrem Söhnlein nacher Europa fortgefahren ist. Wie es ihnen weiters ergangen seye, hat man bis dato nicht erfahren können; doch ist zu glauben, daß GOtt, der die Seinige niemahls verlaßt, sie glücklich zu ihrem verlangten Ziel werde befördert haben. Stöcklein S.J. neuer Welt-Bott. Tom. 2. Part. XII. n. 276.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 555-559.
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