Dreyßigste Fabel.

Der Fuchs getraut sich nicht den krancken Löwen heimzusuchen, durch dieses Mißtrauen aber erhaltet er sich beym Leben.

[774] Der Löw stellte sich auf eine Zeit kranck, welches, als es die andere Thier vernommen, glaubende, daß es kein verstellte Kranckheit wäre; kamen sie ihn heimzusuchen, und ihr Mitleiden über seine Unpäßlichkeit zu bezeugen. Allein sie wurden alle von dem Löwen zerrissen und aufgefressen. Endlich kame auch der Fuchs daher; der Löw dieses sehend, ruft ihm: Fuchs komme her, und suche mich auch heim, wie andere Thier gethan haben. Der Fuchs antwortet: es wäre freylich meine Schuldigkeit, Euer Majestät auch meine unterthänigste Aufwartung zu machen. Allein ich weiß nicht wie mir ist; ich getraue mir nicht recht. Warum nicht, fragt der Löw: der Fuchs antwortet: es ist halt, wie es ist? Wie ist es dann? fragt der Löw weiters; des Fuchsen Antwort ware: es erschrecken mich die Fußtritt anderer Thieren; dann ich mercke, daß alle zwar in Euer Majestät Zimmer [774] hinein, aber keines mehr heraus gangen. Æsopus in fabulis.


Also muß man allezeit vorsichtig seyn; man muß die Augen wohl für die Füß setzen, damit man nicht anlauffe. Viele sehen den Anfang einer Sach an, gedencken aber nicht, was sie für ein End nehmen möchte. Der Anfang ist oft gut, das End aber unglücklich.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 774-775.
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