Ein und dreyßigste Fabel.

Der Esel wolte gern ein Roß seyn.

[775] Diesen stache einsmahls der Neyd; dann als er seinen armseeligen Stand zu Gemüth führte, wie er täglich mit schwehrer Burde beladen wurde, nicht halb genug zu essen hätte; und noch darzu viel Schmachwort, harte Stöß und Schläg ausstehen müßte: hingegen ein dolles Pferd gantz frey auf einer grünen Wiesen herum springen, und nachdem es genug gegraset, sich hin und her waltzen sahe, seuftzete er darüber und sprach: O wie viel glückseeliger bist du als ich! O daß ich auch also frey wäre; O wann ich auch eine so gute Weyd, schönen vollen Leib, so hüpschen Kopf und langen Schweif hätte; wie er aber kurtz hernach den Reuter sahe in Stiefeln und Sporren hingehen, das Roß bey dem Kopf nehmen, ihm ein eisenes Biß in das Maul, einen schwehren Sattel, Felleisen und Mantel auf den Rucken legen, alsdann den Reuter aufsitzen, mit der Peitschen darein schlagen, und das gute Roß dermassen ansporren, daß ihm zu beyden Seiten das Blut häuffig herab flosse, auch über ein Zeit erfuhre, daß dieses Roß in einem Scharmützel von einer Kugel durchschossen auf dem Platz geblieben, und von den Raben gefressen worden, wünschte er ihm, kein Roß mehr zu seyn, sondern sein Lebenlang ein Esel zu verbleiben, und mit dem wenigen Futter, so schlecht es auch wäre, vor gut zu haben. Æsopus in fabulis.


Solche Esel gibt es noch heut zu Tag viele, welche andere um ihr Glück, Stand und Amt beneyden, worzu sie doch weder Hirn, noch Geschicklichkeit haben; ihnen aber nur selbst hierdurch vergeblich die Ruh des Hertzens, Lust und Freud, deren sie geniessen könten, wann sie mit ihrem Stand vergnügt seyn wollen, thorrechter Weiß zerstören.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 775.
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