Das dreyzehende Capitel.

Eine seltsame Geschicht von Pelagio.

[928] Nicht allein die Weibs-Personen werden verführt von der Verschwiegenheit ihrer Sünden in der Beicht, auch die Manns-Personen seynd mehrmahlen also verführt worden. Dahero werden alle und jede vermahnet von der grossen Versammlung der Christlichen Lehrer im Tridentinischen Concilio Sess. 14. cap. 5. Si enim erubescat ægrotus vulnus Medico detegere, quod ignorat, medicina non curat. Wann der Krancke sich schämet die Wunden den Artzten zu entdecken, da ist kein Artzney, welche heylet. Dann gleichwie wann einer mit einem Dolch vier tödtliche Wunden empfangen, und drey zwar dem Wund-Artzt zu heylen eröfnet, aber die vierte aus Schamhaftigkeit verdeckt, nichts darvon meldet; diesem wurde kein Pflaster, kein Balsam und anderes Artzney-Mittel, welches den drey Wunden angewendet wird, zu der Heylung der vierten Wunden helffen, sondern die verdeckte und verschwiegene Wunden, wurd ihne um das Leben bringen. Eben also ergehet es deme, welcher eine tödtliche Sünd schamhaftig in der Beicht verschweiget, wann er schon alle seine Sünd beicht.

In der Aderlaß, wann die Ader mit einer kleinen Wunden geöfnet wird, alsdann dringet heraus allein das zärtere Geblüt, und das grobe und unreine verbleibet darinnen, und sie ist mehr schädlich als nutzlich denen, die also zu Ader gelassen. Beichten allein mit halb offenen Mund, macht daß das gröbere von den Sünden darinnen verbleibet, und also brechen nur heraus die kleine Mängel, und läßliche Sünden, zur höchsten Schädlichkeit der Seelen. Weder das gelassene, [928] weder das verstockte Blut macht eine Ringerung einem Krancken, weder die gebeichte Sünd seynd verzyhen, weder die ingehaltene grobe Sünd loß gesprochen.

Dahero dienet jenes, was in Jahrs-Brieffen der Benedictiner erzählet wird, von einem der genannt war Pelagius. Es war in einem Marckfleck ein ehrlicher Baursmann verehlichet mit einer seinem Stand gemäß frommen Bäurin, diese erzieheten einen Sohn, dene sie Pelagius nenneten. Diese gute Elteren hielten ihn in der Forcht GOttes, und liessen ihn in Christlichem Wandel wohl unterrichten. Pelagius wachset auf in Jahren, und tugendlichem Leben nahm er fast zu; Es wurde ihme auch eine kleine Heerd von Schäflein anvertrauet zu weyden, bevor aber sein selbst eigene Seel zu versorgen. In jener Gegend wohnte ein Priester, und führte ein Einsidlerisch Leben, zu diesem solle er fleißig kommen, der Heil. Meß beywohnen, und den Gottesdienst nie nicht unterlassen, sondern sich dem göttlichen Schutz andächtig befehlen. Diese Lehr gaben ihme die Seinige, und er folgte allen diesen nach, er unterliesse keine heilige Meß, er gieng mehrmahlen in jene Einsidlerey, und verharrte alldorten in dem Gebett. Pelagius war in allen umliegenden Orten wohl bekannt, unter allen Hirten ein lebendiges Bild der Christlichen Tugend, für einen Heiligen von allen angesehen, und gehalten. Etliche Jahr lang hat er dieses Leben rühmlich geführt, unterdessen seynd ihme seine liebe Elteren abgestorben; darauf verkauft er seines Vatters Haus, und die darzu gehörige Gründ, samt der kleinen Heerde der Schäflein, die er geweydet. Es lustet ihne in der Einsidlerey allein GOtt zu dienen, in diese ergab er sich gantz und gar; Er richtet ihm auf, und ziehret bestermassen eine Capellen samt einem Altar, da verbliebe er ein Einsidler, und der Ruf seiner Heiligkeit gieng aus, und nahm zu im gantzen Land. Der höllische Feind beneydet diese so scheinbare Tugend, welche Pelagins in jungen, ja so wenig Jahren überkommen, dahero setzet er sich diesen zu bestreiten und anzufechten. Er mahlet ihm in seinen Einbildung vor, unreine Wollust, erwecket in ihme fleischliche Begierden, Pelagius nahme seine Zuflucht bey GOtt, verlanget in seinem Gebett himmlischen Beystand und Stärcke, den unreinen Gedancken genugsamen Widerstand zu thun. Der unreine Geist liesse doch nicht nach anzufechten, wiewohl er zwey, drey und mehrmahlen abgetrieben worden: Er kommt bald wiederum mit geilen und fleischlichen Lüsten, bildet ihm aber und abermahlen vor unzüchtige Wollüst des Fleisches. Pelagius wird nach und nach verdrossen, diesen bösen Gedancken immerdar zu widerstehen; Einsmahls verwilligte er in seinem Hertzen, in eine unzüchtige Begierlichkeit, die ihne überwunden. Gar bald darauf überfiele ihn eine schwehrmüthige Traurigkeit, die ihne stets beunruhigte, und ängstige Gedancken [929] in seinem Gemüth erweckte. Er redet mit ihme selbsten: Mein Pelagi, was hast du gethan? wie bald bist du verführt worden? kurtz zuvor warest du ein Kind GOttes, jetzund bist du ein Gefangener des Teufels; eine rechtschaffene Beicht und Buß ist vonnöthen, so du wilst von deiner Sünd entbunden werden. Aber wie kan ich meine Sünd beichten? soll es bekannt werden, daß ich mich in also unzüchtige Begierlichkeit hab eingelassen, wie werde ich meinen guten Namen und Ruf verliehren? Diese Gedancken gleich als bittere Meer-Wellen trieben sein Gemüth hin und her, er gehet zu dem Ausgang seiner Einsidlischen Wohnung, und es wanderet zur selbigen Stund allda vorbey einer, mit Pilgrams-Kleydern bekleydet, dieser redete ihn an, und sprach: Pelagi warum laßt du dich von so tieffer Traurigkeit einnehmen? Es geziemet sich nicht, daß einer, der einem so gütigen GOtt dienet, solte von einer bestürtzenden Traurigkeit bekümmert werden; hast du GOtt beleydiget, so thue Buß, beichte alle deine Sünden, und GOtt wird dir es verzeyhen. Lieber Freund fraget Pelagius, woher bin ich dir bekannt. Ich kenne dich gar wohl, antwortet der Pilgram, du bist Pelagius, welcher im gantzen Land als ein Heiliger wird gepriesen: hast du ein Verlangen dieser Traurigkeit zu entgehen, beichte rechtschaffen, der Fried und das heitere Gemüth wird wiederum bey dir wohnen, und die Frölichkeit deiner Seelen wird dir abermahlen scheinen. Da verwunderte sich Pelagius über diese Ansprach, und über alles, was der Pilgram geredet, er sahe bald da bald dorthin rings herum, und kein Pilgram liesse sich mehr sehen, dann er war verschwunden. Dieses erkennet er alsobalden eine treuliche Ermahnung zu seyn, welche vom Himmel gesendet worden, sein Schluß macht er darauf, scharffe und zwar so würdige Buß zu thun, welche den barmhertzigen GOtt versöhnet; damit er aber dieses bestermassen konnte werckstellig machen, begibt er sich in ein nicht weit davon gelegenes Closter, in welchem eine heilige Ordnung gehalten, und ein strenges geistliches Leben geführt wurde. Da ruffet er den Obern des Closters, eröfnet ihme seine gute Meynung. Pelagius, sprach er: bin ich, mein höchstes Verlangen ist, aufgenommen zu werden in dieses Closter, dahero ist meine demüthige Bitt um die geistliche Einkleydung. Der Abbt erfreuet sich samt allen seinen Mönchen, daß Pelagius, dene die gantze Gegend für einen heiligen Mann geschätzet und ausgeruffen, sich in diese geistliche Versammlung begeben wolte; Er nahm ihne an, und bekleydet ihn bald mit gewöhnlicher Mönchs-Kleydung. Pelagius schickte sich vortreflich wohl in alle Ordnung, der erste war er im Chor, die schlechteste und verachteste Arbeit war ihm die liebste, solche befleißte er sich mit geneigter Demuth zu verrichten, mit Geißlen und Buß-Kleydern, auch mit öfteren Fasten casteyet er seinen Leib. Ueber eine Zeit da fallet er [930] in eine schwehre Kranckheit, und vermerckt in seinen Gliedern, daß die Täg und Stunden seines Lebens erfüllet werden, der Tod schwebet ihm vor Augen, in dem Gewissen aber, welches ihm GOtt, der gütige HErr durch innerliche Vermahnung gerühret, tobet immerdar die verschwiegne Sünd, es war in ihme stets der heilige Antrieb, diese mit zerknirschtem Hertzen zu beichten. Dannoch von blinder Forcht und Schamhaftigkeit gantz und gar eingenommen, hat er sich diß zu thun nicht überwunden. Die letzte Beicht hat er zwar von allen seinen andern Sünden dem Schein nach mit grosser Bußfertigkeit verrichtet, darauf das hochwürdige Sacrament des Altars, als die Wegzehrung in die Ewigkeit empfangen, und ist also gestorben. Die Geistliche des Closters vermeynten, sie hätten ein heiliges Pfand an dem Leichnam Pelagii; eine herrliche Leich-Begängnus stelleten sie an diesen zu begraben, sehr viel Volck aus dem gantzen Land lauffet zu, dieser Bestättigung beyzuwohnen, und dem verstorbenen Pelagio, als einem H. Freund GOttes sich zu befehlen. In folgender Nacht, da nun der Sacristan aufgestanden, seinem Amt nachzukommen in die Metten zu läuten, gieng er durch die Kirch, wendet die Augen gegen dem Grab Pelagii und sihet, daß der todte Leichnam ausser der Erden gelegen; vielleicht sprach er bey sich selbsten, ist Pelagii Leichnam nicht wohl in die Erden eingescharret und begraben worden; nimmt den todten Leib und begrabet ihn auf ein neues, sagt doch weiter nichts von allem diesem. In nachfolgender anderen Nacht begab sich eben dieses, darauf der Sacristan gemerckt, daß die Erden den Cörper von sich geworffen; verwundert sich über diese seltsame Begebenheit, zeiget es dem Abbten an, erzählet ihm den gantzen Verlauf, was gestrige und heutige Nacht geschehen.

Der Abbt befihlt alsobald, man solle alle Mönchen des Closters zusammen in die Kirch beruffen, abermahlen den Leichnam Pelagii zu bestättigen, und GOtt zu bitten, er wolle seinen göttlichen Willen zu verstehen geben, ob etwann Pelagii Cörper herrlicher aufzubehalten, oder zu erheben seye. Alle verrichten einhellig ein demüthiges Gebett, nach diesem wendet sich der Abbt gegen dem Verstorbenen, und sprach mit heller Stimm: Pelagi, weilen du allweg in deinen Lebszeiten gehorsam gewesen, ich befehle dir, zeige mir gehorsamlich an, was da seye dein Begehren? Will villeicht GOtt der HErr, daß dein Cörper zu grösserer Ehr erhoben und aufbehalten werde? gib Antwort, und erkläre den Willen GOttes.

Der Todte mit tief und traurigen Seuftzen gantz erschröcklich, fanget an zu reden und spricht: Ach wehe mir Elenden, wegen einer Sünd, die ich in meinen Beichten verschwiegen, bin ich zur höllischen Peyn verdammet, so lang als GOtt wird GOtt seyn werde ich leyden; nahe dich zu mir, siehe an meinen Cörper, der Abbt gehet hinzu und sihet, wie der Cörper [931] gleich einem glüenden Eisen angezündt gewesen: kaum weichet er wiederum ein wenig darvon, da sprach der Verstorbene, entferne dich nicht hinweg, sondern nimme zuvor aus meinem Mund, was darinnen ligt. Der Abbt nahet abermahlen zum Cörper, und findet im Mund das Hochwürdige Sacrament des Altars, welches Pelagio zur Weeg-Zehrung in die Ewigkeit, kurtz vor dem Tod, geben worden. Der Abbt nimmet es heraus gantz unversehrt, hebt solches auf zu einer Gedächtnuß dieser kläglichen Geschicht, und verwahret es absonderlich in einem Heil. Ort. Da sprach endlich der Verstorbene, GOtt will nicht zulassen, daß mein Leib in ein geweyhtes Erdreich soll gelegt, sondern unter ein Mist-Hauffen begraben werden. Dahero hat der Abbt ihne aus der Kirch an ein wüst und wildes Ort tragen, und alldort einscharren lassen. Ohne Ehr soll der Leib begraben werden, wann die Seel aus gerechtem Urtheil GOttes, in den höllischen Flammen ist begraben worden. Ach! wie leicht hätte dieser elende Mensch seine Sünd beichten und abbüssen, dem unwiderruflichen strengen Urtheil der Verdammnuß entgehen, und annoch das ewige Heyl erwerben können! weilen ers aber verschwiegen hat, ist sein Verderben sein eigene Schuld.

Hier fraget der gelehrte Tertullianus de pœnit. An melius est damnatum latere, an palam absolvi? Was ist besser gehandlet, ein verborgener Bößwicht seyn, und verbleiben? oder ein vor dem Beicht-Vatter bekannten Bößwicht, und von aller Boßheit loßgesprochen werden; weigerest du dich aber, spricht er weiter, dein Sünd zu beichten, so fasse zu Hertzen die höllische Peyn, welcher du nicht wirst entgehen, es sey dann daß du das nothwendige Mittel der Beicht und Buß ergreiffest, diese erschröckliche Peyn, wann du die betrachtest, wird ohne Zweifel dich darzu vermögen. Dann es ist kein anderes Mittel nicht zu finden, der höllischen Peyn befreyet zu werden, als die wahre Reu, und aufrichtige Beicht, und Bekanntnuß aller Tod-Sünden. Das unvernünftige Vieh erkennet aus natürlichen Antrieb, die heylsame Mittel wider ihre Kranckheiten, suchet und braucht diese alsobald, und wird darvon frisch und gesund. Der mit einem Pfeil verwundte Hirsch, sucht eylfertig das Diptum-Kraut Dictamnus, genannt, geniesset solches, und der Pfeil fallet aus seiner Wunde. Die Schwalben suchen das Schell-Kraut, Chelidonia genannt wider die Blindheit ihren Jungen damit werden sie sehen: und der Sünder, der da weißt, daß das einige heylsame Mittel sey die aufrichtige Beicht, wolte der nicht nachtrachten, sondern von der entfliehen.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 928-932.
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