Das vierzehende Capitel.

Je mehr die Sünd verborgen wird, je mehr wird sie geoffenbaret.

[932] Es ist allhier wohl zu mercken, daß die gebeichte Sünden, wie wohlen sie am jüngsten Tag werden geoffenbaret werden, werden sie doch zu keiner Schand seyn denen, die solche begangen haben. Freylich ist es gar zu wahr, daß unsere Sünden werden bekannt werden in dem Tag des allgemeinen Gerichts. Omnes nos manifestari oportet ante tribunal Christi, spricht der Heilige Paulus. Und von der Erb-Sünd wird gelesen, pellucidos fieri, das heißt so viel, wir werden durchsichtig werden, gleich einem lauteren Wasser in einem crystallinen Geschirr, an den hellen Sonnen-Schein vorgesetzt, darinn auch das kleiniste Sand-Körnlein gesehen wird. Ja wann gleich diesem nicht also wäre, so ist es ihm doch also, daß die Gerechten sich nicht werden schämen, wegen der begangenen, und gebeichten Sünden.


Mit einer Gleichnuß kan dieses schön erkläret, und verständlich vorgebracht werden. Ein edle Fräule zerreisset unversehens auf einen Nagel ihren Handschuh, leget ihn doch an, und siehe darunter scheint bey diesem Riß herfür ein goldener Ring mit einem klaren Diamant, oder andern Edelgestein, da wird der Riß, welcher ein Unzifer war des Handschuhs, ein Zier der gantzen Hand, fast also wird es zugehen am jüngsten Tag, nicht allein die begangene Sünden der Büssenden, sondern die Sünden mit der gefolgten Bußfertigkeit, werden kundbar werden, und klar erscheinen. Alsdann wird zwar von Maria Magdalena der Ruf ergehen, das ist die frech und eytle Magdalena, gleich einem aufgerissenen Handschuh, aber in die dreyßig Jahr lang hat sie keines Menschen Angesicht gesehen, und hat durch die langwürige Zeit, in einer Stein-Ritzen: bußfertig ihr Leben zugebracht: da sehet den herausscheinenden Diamant. Von dem Apostel Petrus wird die That ergehen, dieser hat am Antlaß-Pfingst-Tag den HErrn Christum, seinen Meister, dreymahl verlaugnet, das ist ein Riß: doch vier und zwantzig Jahr die Sünd einer Nacht, mit vielen Weinen und Seuftzen abgebüsset, auch hieraus wird das glantzende Edelgestein zierlich gesehen. Von Zachäo wird am jüngsten Tag gesprochen werden, der ist, der fremdes Gut an sich gezogen, sehet das ist ein Riß im Handschuh, dannoch hat er alles vierfach erstattet, und den halben Theil seines Reichthums unter die Armen ausgespendet, da ist der durch den Riß heraus scheinende Diamant, oder Schmaragd, Carfunckel [933] oder Saphir annehmlich anzusehen.


Hingegen die verschwiegene Sünd, diese wird nicht schweigen, sondern die Stimm erheben, mit eigenem Geschrey dem Sünder zu immerwährender Schand offenbaren. Der Heil. Ambrosius vermerckt, was massen das Blut des Abels wider den Cain habe geschryen: Sanguis Abel, sprach GOtt, clamat ad me de terra das Blut Abels ruffet zu mir von der Erden: wiewohlen das Blut Urias nicht geschryen hat wider den David, der doch ein Urheber geweßt seines Todschlags: des Urias Blut als das Blut eines tapferen Kriegs-Mann, hätte vielmehr schreyen sollen, als das Blut des Abels, welcher also sanft gewesen, daß er auch kein Mucken möchte beleydigen. So man die Ursach gründlich erkennen wolte, und wissen, warum das Blut Abels zu GOtt um Rach wider den Cain, entgegen aber nicht das Blut Urias wider den David geschryen? so ist diese, welche angezogener Heil. Kirchen-Lehrer mit folgenden Worten vorbringt: quia Cain non confitebatur, David autem confessus est: dixi, confitebor, adversum me injustitiam meam Domino. Der König David bekennet sein Sünd, und sprach: ich werde wider mich selbsten bekennen mein Ungerechtigkeit meinem HErrn: Cain aber, in dem er sein Sünd nicht wolte bekennen, schreyet das Blut des unschuldigen Abels, und machet der gantzen Welt bekannt: diese Stimm erschallet in den Himmel, alle Engel GOttes sollen darvon wissen, und so lang nicht ruhen, bis daß diese Sünd des Cains dem allwissenden GOtt angeklagt werde. Viel anderst ist es mit der Sünd des Davids ergangen, die schrye nicht gegen Himmel durch das Blut Uriä, sondern sie wird von den Englen, weilen sie demüthig mit grosser Reu bekennet worden, gleichsam in einer tieffen Vergessenheit, begraben.


Und wann alles dieses kein genugsame Anleitung ist, euer Gemüth zu rechtschaffener Beicht zu bewegen, und anzutreiben, so will ich euch mit euerem selbst eigenen Ausspruch überweisen. Gesetzt ein grosser Ubelthäter wäre in Verhaft genommen, dem Richter und Rath vorgestellet, auch in vielfältigen Lasteren überwiesen worden. Dannoch wann von diesem begehret wurde, er soll alle seine Missethaten bekennen, und er wird versicheret, daß er darauf wird loß gesprochen werden: will er aber dieses nicht thun, so wird das scharffe Urtheil wider ihn ergehen, vor allem Volck wird er an dem Richt-Platz hinausgeführet, lebendig und bloß mit Ketten auf ein Scheitter-Hauffen angebunden, mit glüenden Zangen an seiner Brust gebrennet, und zerrissen werden: und zu seiner selbst eigenen, und seiner edlen Freundschaft unaufhörlicher Schand eines also grausamen Tods im Feuer sterben müssen. Gebet allhier euer Gutachten, was einem so ärgerlichen Sünder zu [934] thun wäre, und urtheilet recht, dann wie viel rechter wäre es, allein vor dem Richter und Rath bey sicherer Verschwiegen-Bleibung, die verübte Ubelthaten bekennen, und darvon losgesprochen, als allem Volck zu höchstem Spott und Schand vorgestellet, und also grausamlich hingerichtet werden.


Mich gedunckt, ich höre euch auch allhier sagen, freylich wohl, weilen es um etlich Wort zu thun, soll ein solcher Sünder alle seine Sünd rund heraus bekennen, wohl-wissend, daß mit sicherer Verschwiegenheit alles begraben, und mit barmhertziger Verzeyhung alles losgesprochen kan werden. Er wurde ja so grossem Spott und Schand zu entgehen, sich dieses zu thun nicht weigeren. Da habt ihr das Urtheil wider euch selbsten ausgesprochen: zu entgehen das allerstrengste Gericht, und Urtheil GOttes, wie dann auch alle erschröckliche Peyn der Höllen, solt ihr euch nicht weigeren, euere Sünden der Verschwiegenheit und Barmhertzigkeit eines Beicht-Vatters mit Reu und Leyd zu bekennen, und beichten: dann gleich also wird es GOtt mit euch machen. Wann ihr euere Sünd einem Beicht-Vatter beichtet, so werden diese mit dem Sigill der stäten Verschwiegenheit versieglet, also, daß niemand etwas darvon wissen kan, und ihr werdet in Kraft der Schlüßlen loß gelassen, und in die Freyheit der Kinder GOttes gesetzet: thut ihr aber dieses nicht, so wird zu euer ewigen Schand, euch das schwereste Unglück ergreiffen, und unaufhörlich in der Verdammnuß peynigen.


Noch mit einer anderen Gleichnuß, kan dieses, und zwar besser bewiesen werden. Es geschiehet, daß ein hoher Fürst, oder Herr mit einer künstlichen Uhr beschencket wird, welche alle Stund richtig ausweiset, und an einem inhabenden hellen Glöcklein schlaget, diese ist ihme sehr angenehm, weilen sie mit zierlicher Arbeit kunstreich gemacht, und in sehr kleiner Verfassung ordentlich durch alle Stunden ablauft. Dieser Fürst oder Herr hat einsmals dieses Uhr-Werck etwann auf seinem Schatz-Kästlein in der Schlaf-Cammer ligen lassen: da wird es heimlich von einem Edel-Knaben aufgeraumet, und in den Busen geschoben und vertuschet. Bald erinneret sich der Fürst seiner Uhr, suchet diese, aber befindet, daß sie entfremdt worden: holla spricht er, wo ist unser Uhr? hier ist sie gelegen, wer hat sie vertragen? alle Edel-Knaben antworten, sie wissen nichts darvon. Der Fürst erzürnet darüber, was ist doch dieses, spricht er, kommen auch Dieb in unser Schlaf-Cammer? diese Red machet alle Edel-Knaben schamroth, weilen sie alle, nicht allein von ehrlichen, sondern auch von gut alt-edlen Eltern gebohren, durch diese Red werden sie, als durch ein schwäre Bezüchtigung, sehr mortificiret: und siehe, gähling schlagt das Uehrlein die Stund, und also wird der Dieb, durch den Diebstahl[935] verrathen, da stehet der Dieb vor Schand halb tod, alle andere Edel-Knaben erzörnen wider ihne, das verstohlene Uehrlein muß wiederum an das Tag-Liecht kommen. Wer kan nach Genügen aussprechen den grossen Spott dieses Edel-Knabens, welcher ihme disfalls zugestanden: ein so edel gebohrner junger Herr vor dem Fürsten, und vor der gantzen Hofstaat wird anhören und sehen müssen, wie alle mit Finger auf ihne deuten, und ihne verspotten, sprechend: das ist der verlogene Dieb, welcher unserem Fürsten aus seiner Schlaf-Cammer, ein kunstreiches Uehrlein gestohlen.

Hier ist einem jedwederen zu bedencken, wie gleichermassen eines jeden eigene Sünden ihn selbsten verrathen und anklagen werden: und gleichsam sprechen, dieser ist der jenige, der uns hat begangen, von diesem seynd wir boßhaftig verübt worden. In der heimlichen Offenbarung reden die sieben Donner-Stimmen mit eigener Stimm, Septem tonitrua locuta sunt voces suas, spricht der geliebte Jünger Christ: nemlich die sieben Haupt-Sünd, als sieben Donner-Stimm werden ihre Stimm erheben, und mit greulichen Donner-Worten alle Ubelthäter der gantzen Welt anklagen, überweisen, und zu Schanden machen.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 932-936.
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