17. Unterscheid der Schönheit

[140] Dass Doris schön sey, findt mein Aug' im ersten Blick,

Ich fühle die Gefahr, und weich' umsonst zurück;

Hergegen wenn ich viel mit Chloris umgegangen,1

So nimmt sie erst, und eh' ich's mercke, mich gefangen:

Dort raubt man mir mein Hertz, hier wird es mir gestohlen,

Weil Doris schneller zwar, doch Chloris sichrer siegt;

Die Schönheit zeigt sich dort im freyen Feld', und liegt

In Chloris Angesicht, als hinterm Busch verholen.


Fußnoten

1 Mit Chloris umgegangen. Man unterscheidet hier die Liebe die eine ungemeine Schönheit im ersten Anblick entzündet, von derjenigen welche nach langem Umgang mit einer Tugendhafften Person von derselben angenehmen Sitten herrühret, und gemeiniglich solche Wirckung hat, dass wir allmählig auch etwas in ihrem Gesichte, dass uns gefällig ist, entdecken. Und diese letzte ist ohne Zweifel die beständigste Liebe.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 140.
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