40. Auf Mutius Scevola

[193] Als Scevola zum Mord verführt1 durch seine Jugend,

So wie das Laster vor die Tugend,

Den Schreiber vor den König nam,[193]

Und nach vollbrachter That erst zur Erkäntnüss kam,

Da wust' er der Gefahr den Vortheil abzuzwingen,

Und durch die Schande nicht verzagt,

Das was das Laster ihm versagt,

Der Tugend selber abzudringen:

Er machte dass der Hass sich in Verwundrung wandt',

Verbrennt', entwaffnete, sein', und des Feindes Hand;

Und weil die edle Wuht man ihm zur Tugend zehlte,

Erreicht' er seinen Zweck, in dem er ihn verfehlte.


Fußnoten

1 Zum Mord verführt. Scevola suchte zwar sein bedrängtes Vaterland durch Porsennas Todt zu befreyen, weil es aber durch einen Meuchelmord geschehen solte, so war er nicht anders als ein Römischer Ravaillac oder Jacob Clement anzusehen. Hätte auch ohne allen Zweifel mit diesen ein gleiches ungeheures Ende genommen, wenn nicht sogleich der Römer dem Missethäter zu Hülffe gekommen wäre, in dem er ohne Verzug die Hand, die zugleich den Frevel und Fehler begangen, verbrante, und durch diese hertzhaffte That den beleidigten König erstaunte. Diese des Helden Wuht hat man, so zu sagen, in einer kleinen Poetischen Raserey, und selbst in einer scheinenden Unordnung der Worte mit Fleiss fürstellen wollen, wie aus diesem Vers zu ersehen:

Verbrendt', entwaffnete, Sein', und des Feindes Hand.


Als welcher uns die edle Verwirrung des Helden, und derer unterschiedliche Wirckungen gleichsam vor Augen stellet. Man wil auch hoffen, dass der Leser aus dieser Uberschrifft und einigen andern von gleicher Art gar leicht ersehen wird, dass die Länge denenselben nicht allezeit nachtheilig ist, sintemahl er darinnen nicht durch weitläufftige und nichts bedeutende Umstände von dem allein klingenden Ende aufgehalten, sondern, weil er fast in jeder Reihe etwas nachzudencken findet, gemeiniglich unvermercket, und unterweilen eh' er es verlanget, zu dem Schluss geführet wird. Sonst wenn der Witz einer Uberschrifft, allein in der Kürtze bestünde, so wäre folgende Uberschrifft, welche in den vorhergehenden Ausgaben dieses Buches zu finden, der obgesetzten weit vorzuziehen:


Du zeigst dass auch ein Feind der Tapfferkeit ist hold,

Und dass ein Irrthum selbst nicht ihren Zweck verkehrt;

Das Eisen wird zwar nicht im Feuer, wie das Gold,

Wol aber deine Hand, die Eisen trägt, bewehrt.


Man hat aber in dieser, wie vorher in einigen andern, aus dem weither geholten Schluss die mehr begierige als bedachtsame Jugend erkänt, und derohalben wegen Musse der Zeit dieselbe in der Uberlesung zu verbessern gesucht. Da man denn gleich Anfangs vielleicht wahr befunden was so offt gesaget worden, nemlich dass zwey Personen gar leicht einerley Einfäll über eine Sache haben können, in dem der erste Einfall den man hierüber hatte, dieser war:


So dass er seinen Feind hier minder überwandt'

Mit der gewaffneten, als der verbranten Hand.


Denn als man den Verstand der zu diesem Schluss führet, in Verse bringen wolte, so besann man sich erst dass dieser Einfall vielleicht nicht von dem Verstande, sondern dem Gedächtniss herrühre, und dem Florus ohngefehr in diesen Worten gehöre: Et qui hostem armatâ manu vincere non potuit, vicit exustâ.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 193-194.
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