3. Auff einen gelehrten aber unerfahrenen Staatsmann

[249] Cratinus ist gelehrt, doch ohn' Erfahrenheit.

Er kennt die Sache zwar, nicht aber seine Leut':[249]

Und dencket nicht so viel, wenn er die Rede schliesst,

Auf das was überredt,1 als was ohn' Antwort ist.


Fußnoten

1 Auf das was überredt. Und hiedurch wird die Beredsamkeit eines Staatsmanns, von der Beredsamkeit eines Schulmanns unterschieden. Dies errichtet seine Rede nach des Aristoteles Regeln, jener nach dem Verstande seiner Hörer ein. Dieser suchet die Warheit, welche die Wenigste begreiffen können; jener das Wahrscheinliche, das allen in die Augen sticht. Dieser spricht viel von der Tugend und dem gemeinen Besten, weil jener zwar auch viel Wesens von diesen schönen Sachen machet, aber dabey allezeit auf die Anständligkeit und die Neigung seiner Hörer sein Absehen hat; und einem jeden, dem daran gelegen, unter der Hand und verblümter Weise zu verstehen giebt, dass es ihm etwas in seine eigne Küche bringen werde. Seine Predigt ist kurz, aber die Zetteln, die er hernach ablisst, wehren desto länger. Facilem adsensum Gallo, sub nominibus honestis confessio vitiorum, et similitudo audientium dedit. Tac. Ann. lib. 2.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 249-250.
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