4. Auff die unnütze Klagen über die itzige Zeiten

[250] Man klagt, dass alte Lieb' und Treue sey verlohren,

Dass aller Seegen sich verkehrt in einen Fluch;

Allein, wenn ich die Zeit, die vorhergeht, durchsuch',

So danck' ich Gott, dass ich in dieser bin gebohren.1


Fußnoten

1 Dass ich in dieser bin gebohren. Dass es eine gemeine Klage sey, dass die Zeiten sich immer verschlimmern, und sich folgends mancher Laudator temporis acti findet, ist unter andern auch aus diesen artigen Knittel Versen zu ersehen:


s Da man schrieb dem Ehrbarn und Frommen,

Da war noch etwas zu bekommen;

Da man schrieb dem Edlen und Vesten,

Da war auch noch etwas zum besten:

Itzt da man schreibt dem Wohlgebohrnen,

Da ist all' Ehr' und Treu verlohren,


Gesetzt aber, dass diese Klagen so gar nicht ohne Grund wären, so bin ich doch versichert, dass sich kein Leser finden werde, welcher nicht von meiner Meinung seyn, und folgends sich diese Verse des Martialis zueignen sollte:


Miraris veteres, Vacerra, solos,

Ne claudas nisi mortuos (Poetas).

Ignoscas petimus, Vacerra: Tanti

Non est, ut placeam tibi, perire.


Lib. 8.

Sonst hab' ich diese Uberschrift bey der vorigen Ausgabe, da der Bogen schon abgezogen war, stehenden Fusses geschrieben, und auff Ersuchen des Verlegers der damabligen scheinbaren Ursachen halber, statt folgender gesetzet:


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 250.
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