28. Auff den einfältigen Balbus

[299] Der gute Balbus sagt: Er hätt' es nie gedacht,

Dass auch ein hesslich Weib den Mann zum Hahnrey macht;

Er hätt' es nie gedacht, dass mancher wird verjaget

Von Hauss und Hoff, weil er dem Herrn die Wahrheit saget;

Er hätt' es nie gedacht, dass mancher Bücher schreibt

Von Gott und seinem Wort', und doch an Gott nicht gläubt;

Er hätt' es nie gedacht, daß mancher schwert und fluchet[299]

Dass dessen Freund er sey, den er zu fällen suchet;

Er hätt' es nie gedacht, dass man kein Schwefel-Licht

Vor hundert Thaler kaufft, die mancher Graf verspricht;

Er hätt' es nie gedacht, dass er sein Ehweib schläget,

Der vor den Leuten sie fast auf den Händen träget;

Er hätt' es nie gedacht, dass mancher der ein Kleid

Mit Gold gesticket trägt, offt Durst und Hunger leidt;

Dass mancher Findling wird vor rechten Erb erkennet,

Und manche Missgebuhrt wird Wollgebohrn genennet;

Dass tugendsam der Hur', und hoch- und wollgeacht

Der Wuchrer Titel ist, das hätt' er nie gedacht.

Und ich gläub' itzund kaum, misstrauend meinen Ohren,

Dass einer reden kan, der taub und blind gebohren.1


Fußnoten

1 Der taub und blind gebohren. Man will sagen, dass der Jenige der nicht weiss, dass dergleichen Händel so wie sie hier erzehlet werden, täglich in der Welt vorgehen, nohtwendig keine Augen noch Ohren haben müsse; und man folgends Ursach habe sich zu verwundern, woher er die Sprache genommen, weil taub gebohrne Leute auch allezeit dabei stumm sind.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 299-300.
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