35. Auff Marcus den eilfertigen Verfasser

[303] Was Marcus schreibt, das ist geschrieben:

Und was ihm aus der Feder fällt,

Ist wie es fällt, beliegen blieben:1

Und fragst du, was die Ursach sey?

Weil er Nachdencklichkeit vor Beutelschneiderey,

Und ein durchstrichen Wort2 vor Mord und Todschlag hällt.


Fußnoten

1 Und was ihm aus der Feder fällt, ist, wie es fällt, beliegen blieben. Und dieser Eilfertigkeit ist es zuzuschreiben, dass wir noch wenig oder nichts vollkommenes in unsrer Sprache gesehen haben. Wir haben Wiz genug, aber wir lassen uns nicht Zeit genug, etwas daurhafftes zu schreiben. Wir lassen es nicht allein bey dem ersten Einfall, sondern auch bey der ersten Redens-Art bewenden; und wie wir allein zu schreiben scheinen, damit es der Setzer in der Druckerey lesen könne, also verändern wir in unsern Schrifften auch nichts, als was dieser darinnen versehen hat.


Nec virtute foret, clarisve potentius armis

Quam linguâ Latium, si non offenderet unum,

Quemque Poetarum limae labor et mora. Vos ô

Pompilius sanguis carmen reprehendite, quod non

Multa dies et multa litura coercuit: atque

Perfectum, decies non castigavit ad unguem.


Horat. de arte Poet.


Weise und Francisci, vieler andern anjetzo zu geschweigen, hätten sich mit recht einen Nahmen in Deutschland gemachet, wenn sie weniger geschrieben hätten. Es sind zwey Flüsse welche wegen ihres schnellen und ungewissen Laufs so viel' Schlamm und Unflaht mit sich führen, dass man den güldnen Sand derselben nicht erkennen kan. Weise insonderheit hätte wegen seines geschickten Kopfs und seiner artigen Einfälle, viel gutes in der Deutschen Sprache stifften können, wenn er sich auf was gewisses geleget, und dasselbe auszuarbeiten sich Zeit genug genommen hätte. Digna enim fuit illa natura, quae meliora vellet; quae quod voluit, effecit. Quintil. l. 16. Instit. c.I. Und woher kommt es, dass unsre Ubersetzungen so verächtlich, der Frantzosen ihre hergegen in solcher Achte sind; als dass wir so wenig Zeit auf die Unsrigen, diese hergegen fast ihre gantze Lebens-Zeit auf die Ihrige anwenden. Es ist bekant, dass der berühmte Vaugelas über dreyssig Jahr an der Ubersetzung der kleinen Geschichte des Alexanders von Q. Curtius beschrieben, gearbeitet; und dieselbe hiedurch in solche Vollkommenheit gesetzet, dass Balzac von derselben gesaget hat: Que l'Alexandre de Quinte Curce êtoit invincible; et celuy de Vaugelas inimitable. Dass des Q. Curtius sein Alexander nicht konte überwunden; und des Vaugelas seiner nicht könne nachgemacht werden.


2 Und ein durchstrichen Wort. Sed turpem putat in scriptis, metuitque lituram. Hor. Ep. lib. 2.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 303.
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