62. Alexander vor des Diogenes Fass

[322] Der mit der gantzen Welt sich um die Herrschafft schlug,

Der wünschte, nach sich selbst, Diogenes zu sein;

Ein Fass war diesem nicht zu klein,

Der hatt' an einer Welt nicht gnug:

O hätte seinen Wunsch das Schicksal ihm gewehret,

Ich wett' er hätte denn mehr als ein Fass begehret.1


Fußnoten

1 Er hätte denn mehr als ein Fass begehret. Die Thorheit des Alexanders, der an einer Welt nicht gnug hatte, ist von vielen verlachet worden. Iuvenalis in seiner 10. Satyra saget:


Unus Pellaeo Iuveni non sufficit orbis,

Aestuat infelix angusto limite mundi.


Boileau in seiner 8. Satyre giebt ihm den Nahmen eines berühmten Hoffnarren, welchen der Printz von Condé aus Flandern nach Hofe gebracht:


Ce fougueux l'Angely, qui de sang alteré,

Maitre du monde entier, s'y trouvoit trop serré.


Ob nun gleich dieser letzte Vers dem Lateinischen Poeten abgestohlen worden, und den ersten, worin er einen der grössten Helden der Welt einem Trompin, damit ich so dunckel als er selbst rede, vergleichet, ihm so leicht keiner abzustehlen sich gelüsten lassen wird; so hat ihn dennoch Bouhours als etwas sonderliches in seiner Maniere de bien penser angezogen. Allein ich zweiffle nicht, dass die, welche dieses Frantzösischen Poeten Gedancken gegen meinen halten, so gleich darunter einen grossen Unterscheid in Ansehn beydes der Sittsamkeit und der Sinnligkeit finden werden. Mehr will ich nicht sagen, damit man mich nicht unter die Zahl derjenigen rechne, von welchen Horatius saget:


Gaudent scribentes; et se venerantur; et ultro

Si taceas, laudant, quicquid scripsere, beati.


Ep. 2. lib. 2.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 322.
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