24. Tugend und Laster

[345] Die Laster machen sich der Tugend stets verhasster

Durch ihre Schand' und Schmach, und sind dabey zu blind

Der Tugend Liebligkeit zu sehn; der Tugend sind

Die Laster nützlicher, als Tugende dem Laster:

Der Tugend Laster ist's, dass sie nichts lehrt der Jugend;[345]

Dass es das Alter mehr abschreckt, des Lasters Tugend.1


Fußnoten

1 Des Lasters Tugend. In dieser Uberschrifft ist so viel krauser Witz, dass ich nunmehro fast selbst nicht weiss, wo ich denselben lassen soll.

Insanire putas solemnia me neque rides?

Horat. Ep. I. lib. I.


Die Tugenden und Laster hüpfen in der That in derselben so lang herum, bis sie zuletzt gar an einander behencken bleiben. Dass heisst


... Pugnantia secum

Frontibus adversis componere.


Sat. I. lib. I.


Zwar hätte ich diese Anmerckung wol sparen, und den Beyfall vieler Leser, die an dergleichen eitlen Witz ein sonderliches Belieben tragen, mir zu Nutz machen können. Mich düncket aber, es sey besser die Fehler seiner Jugend zu erkennen, und am ersten darüber zu lachen; als dieselbe andern zur Verführung zu verdecken.


Praetulerim scriptor delirus inersque videri,

Dum mea delectent mala me, vel denique fallant;

Quam sapere et ringi.


Ep. 2. lib. 2.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 345-346.
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