39. Auf Scrifax

[465] Wenn Scrifax ohne Scham ein garstig Wort hersagt,

Und über Dunckelheit1 in meinen Versen klagt,

So dünckt mich dass er nichts, als dieses Tugend nennet,

Was in dem Socrates davor Xantipp' erkennet;

Und dass in seinem Kopf vor Witz sonst nichtes geht,

Als was im Mollier desselben Magd versteht.2


Fußnoten

1 Und über Dunckelheit etc. Dass die Klarheit der Rede die erste Tugend eines Verfassers sey, ist ohne allen Streit: So dass man insgemein befindet; dass die geschicksten Leute allezeit am deutlichsten sprechen. Plerumque accidit, sagt Quintilianus, ut faciliora sint ad intelligendum et lucidiora multo, quae a doctissimo quoque dicuntur. Lib. 2. c. 3. Es fragt sich aber, ob nicht unterweilen eine vorgewandte Dunckelheit, nicht dem wenigen Verstande des Verfassers, sondern vielmehr der unbegreifflichen Dummheit seines Lesers zuzuschreiben sey? Man hätte derohalben wollgethan, wenn man einen oder den andern Vers den man dieses Fehlers beschuldiget, angeführet; und hiebey geschickten Leuten Gelegenheit gegeben hätte, entweder über mich oder den Anmercker zu lachen. Ich habe Epigrammata, oder Deutsch zu reden, Uberschriffte geschrieben, welche vor allen anderen Poetischen Sachen sinnreich seyn müssen; so gar dass auch einige Deutsche dieselbe lieber Sinn-Gedichte nennen: gleich als ob alle andere von einem Klotz ohne Sinn und Verstand könten geschrieben werden. Nun stimmen hierinnen alle, so wol alte als neue, die uns eine Anweisung sinnreich zu schreiben gegeben haben, überein; dass es eine der grösten Sinnligkeiten sey also zu schreiben, dass man allezeit einem geschickten Leser etwas nachzudencken lasse. Nam qui omnia exponit Auditori ut nulla mente praedito, similis ei est, qui auditorem improbat atque contemnit. Demetr. Phaler. de Elocut.


2 Als was im Mollier desselben Magd versteht. Boileau in seinen Reflexions Critiques über den Longinus saget: Dass ihm Molliere mehr als einmahl eine alte Magd in seinen Diensten gewiesen, der er unterweilen seine Possenspiele vorgelesen; und wenn er befunden, dass sie nicht einige lustige Fratzen sogleich begriffen, er auch dieselbe nachgehends verändert habe: indem er gemercket, dass dergleichen Oerter auch nachmals auf der Schaubühne niemand zum Lachen gereitzet hätten. Boileau setzet aber hinzu, dass er nicht jederman rahten wolte diesem kurtzweiligen Exempel zu folgen. Wie ich mich denn erinnere in Paris gehöret zu haben, dass als Molliere zum erstenmahl seinen Malade Imaginaire auf die Schaubühne geführet; und zwar in einer Scene einen Verwandten dieses eingebildeten Krancken, welcher den Apothecker verhindern wolte jenem ein Klystir zu setzen, also vorgestellet habe; dass als der Apothecker ihm einige grobe Worte gegeben, der Verwante endlich in diese Worte ausgebrocben: Allez, allez, Monsieur, je vois bien que vous n'êtes accoutumé à parler qu'à des cus; so hätten alle Zuhörer über dieser garstigen Redens-Ahrt sich so sehr erzürnet, dass des Pfeiffens kein Ende gewesen wäre. Als aber Molliere den folgenden Tag in der andern Vorstellung die vorigen Worte also verändert: Allez, allez, Monsieur, je vois bien que vous n'êtes pas accoutumé à parler à des visages; so hätten hergegen alle Zuhörer weidlich in die Hände geklopfet, weil sie befunden, dass diese Worte die Sache eben so völlig, aber dabey auf eine höffliche und witzige Art ausdrücketen. Wie nun kein Zweiffel ist, dass die vorige garstige Worte nicht des Molliere Magd am besten solten gefallen haben: Also dürffte ich fast wetten, dass ohne derer Hülffe, die letzte Worte unserm frey heraussprechenden Scrifax gar zu dunckel würden vorgekommen sein.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 465.
Lizenz:
Kategorien: