Zehntes Buch

[413] Das Feuer war bald gedämpft, und die beiden Unterredenden kehrten beruhigt zu ihrem Gespräche wieder zurück. Belphegor nannte kein Gebrechen in dieser Welt, wofür sein Gesellschafter nicht ein Recept wußte: er wußte eins für die Unordnung der Finanzen in Deutschland, Frankreich und andern Ländern; er konnte habsüchtige Minister kuriren, er wollte müßige Regenten von ihrer Liebe zum Vergnügen heilen, er wollte ihnen Kraft und Willen zur Ausübung ihrer Pflichten einpfropfen – ach, was weiß ich, was für trefliche medicinische Geheimnisse er weiter noch in seiner Gewalt hatte? Doch ließ sich seine Kur niemals unter einen Fürsten, einen Minister oder einen ganzen Staatskörper herab und war so ziemlich den Verfassern politischer Systeme gleich, die Fürsten und Königen vorschreiben, was sie thun sollen, um uns zu lehren, was sie nicht thun.23 Demungeachtet mußte sich ein Mann, wie Belphegor, ungemein über so künstliche Spinneweben freuen und brachte manche Nacht schlaflos hin, um ähnliche Gespinste aus seinem Gehirne zu[413] erzeugen. Er erzählte sie seinem neuen Freunde und ließ sich die seinigen erzählen, wodurch ihre gegenseitige Zuneigung täglich fester wurde, wiewohl auch der Fremde noch eine andre Absicht hatte, warum er Belphegors Haus so oft besuchte, und mit welcher er gleich anfangs hineingekommen war.

Auch dieses war nichts geringers als ein Projekt, das aber nicht die weitläuftige Besserung eines Fürsten oder Staats, sondern die Kur eines Anverwandten betraf, der sich allen Ausschweifungen überließ, ihm, um sie desto freyer zu geniessen, entlaufen war, und den er darum Schritt vor Schritt betrachten wollte. – Wir hatten, erzählte er eines Tags Belphegorn, ansehnliche Besitzungen in NEW WIGHT: mein Verwandter und ich sollten eine Erbschaft heben, auf die wir längst gewartet hatten; allein der Befehlshaber des Gebiets, der ungerechte FROMAL –

Fromal? rief Belphegor erstaunt. –

Ja, er selbst, dieser gewissenlose Mann, verwickelte uns in feingewebte Schwierigkeiten, die uns den Besitz der Erbschaft lange Zeit aufhielten. –

Fromal! ER that das? –

Ja, und zwar aus einem Grolle wider den Erblasser und aus Habsucht, ein Stück Landes zu besitzen, welches an einem seiner Gärten stieß, den er dadurch zu erweitern wünschte. Der Verwandte, den wir beerbten, schlug ihm sein Ansuchen darum etliche Mal ab, aus welchen Ursachen weiß ich nicht; und hätte der ruchlose[414] Fromal ihn nicht gefürchtet, so würde er ohne Bedenken Gewalt gebraucht haben, zu seinem Zwecke zu gelangen; allein da ihm seine eigne Sicherheit dieses widerrieth, so versteckte er sich hinter tausend Kunstgriffe, die ihm aber unser Verwandter glücklich zu vereiteln wußte; doch ließ die Vereitelung einen Groll in ihm zurück, den nichts als unser Verlust versöhnen konnte –

Alles dieß that Fromal? –

Ja, alles that er, der Ungerechte! Er legte uns mannichfaltige Fallstricke, als unser Verwandte starb, wovon jeder eine rechtmäßige Foderung zu seyn schien; die Schwierigkeiten waren unendlich, und wir würden unsre Erbschaft noch nicht gehoben haben, wenn wir uns nicht entschlossen hätten, ihm das Stück Landes zu überlassen, das die Ursache seiner Verfolgung war. Wir mußten unsern Bedrücker liebkosen, ihm ein Geschenk damit machen und noch oben drein allen Schein der Bestechung sorgfältig vermeiden, und in kurzer Zeit waren wir die ruhigen Besitzer unsrer Erbschaft. –

Alles dieß that Fromal? –

Er that noch mehr als alles dieß; wir sind nicht die einzigen, zu deren Unterdrückung er seine Gewalt mißbrauchte. –

Komm! wir müssen ihn bessern oder strafen! – Er war mein Freund, sein Herz war gut, ich will ihn sprechen, er wird mich hören; schon einen meiner Freunde habe ich von dem Wege der Unterdrückung zurückgebracht,[415] warum nicht auch diesen? – So bald Du in sein Gebiet wieder gehst, so nimm mich mit Dir! Er muß ein gerechter oder kein Befehlshaber seyn. –

Wenn dieß möglich zu machen wäre, Freund! Ich habe schon über manchem Entwurfe gebrütet, wie man ihn bessern könnte, aber wer will sie ausführen? –

ICH! unterbrach ihn Belphegor hitzig. –

Einen schlafenden Löwen mag ich nicht wecken. Die Schuld einer Ungerechtigkeit, die er an uns begangen, liegt auf ihm. Ich werde, so bald ich meinen Anverwandten gewonnen habe, in sein Gebiet zurückkehren und dem Götzen opfern müssen, damit er mich nicht verschlingt: siehe! das ist das Grundgesez des Schwächern. Alles, was man thun kann, ist – Plane entwerfen; aber sie ausführen zu wollen, dafür bewahre der Himmel! –

ICH will meinen ausführen, sagte Belphegor, und seitdem war er unaufhörlich mit seiner Reise zu Fromaln und mit seiner Besserung beschäftigt, deren Anfang er so sehnlich wünschte, und wovon er so gewiß einen glücklichen Erfolg hofte, daß er mit Ungeduld und oft mit Härte seinen Freund ermahnte, die Abreise zu beschleunigen.

Nachdem dieser seine Geschäfte abgethan, seinen Neffen, dem er ungekannt in alle lüderliche Häuser nachfolgte, wieder gewonnen und von seinen Ausschweifungen abgezogen hatte, so wurde die Fahrt angetreten, und Belphegor erhielt unter der Bedingung die Erlaubniß,[416] der Reisegefährte seines Freundes und sein Hausgenosse zu werden, wenn er sein Projekt, den ungerechten Fromal zu bessern, aufgeben wollte, wenigstens sich es nicht befremden ließ, wenn er, so bald Ungelegenheit von seinem Verfahren zu besorgen stünde, sein Haus und seine Freundschaft meiden müßte. Belphegor versprach alles, vergaß Akanten, seinen Freund Medardus, sein Haus, und folgte allein dem Triebe seines warmen Gerechtigkeit liebenden Herzens.

Sie erreichten die Insel NEW WIGHT glücklich; und Belphegors erste Bemühung war, seinen alten Freund zu besuchen. Er glaubte, daß seine Person seinem Vortrage ein großes Gewicht geben werde, und suchte sich darum so gleich zu entdecken, als er sich um den Zutritt zu ihm bewarb. Fromal empfieng ihn mit der lauen Höflichkeit eines Vornehmen, begegnete ihm freundlich, aber nicht freundschaftlich. Belphegor vermißte die ehemalige Wärme der Vertraulichkeit bald und gab sich alle Mühe, ihn zu befeuern: Er lenkte das Gespräch auf die Vorfallenheiten seines Befehlshaberamtes, und sein Freund wurde noch zurückhaltender: er kam auf die Begebenheit des Mannes, der ihn mit sich gebracht hatte, ließ etliche hingeworfne Worte verrathen, daß er von der Sache wohl unterrichtet war und sie als eine Ungerechtigkeit verabscheute. Er erzählte ihm die Geschichte davon unter veränderten Namen und mit starken lebhaften Ausdrücken der Mißbilligung. Fromal schien dabey zu empfinden: er machte die gewöhnlichen[417] Geberden eines Menschen, der sich getroffen fühlt, und eben als Belphegor die Moral zu seiner Erzählung hinzusetzen wollte, brach er ab und entschuldigte sich mit dringenden Geschäften, daß er sich von ihm beurlaubte. Sein Gesezprediger war zwar mit dieser Entwickelung des Gesprächs nicht sonderlich zufrieden, doch hoffte er einen glücklichen Ausgang seines Vorhabens, weil sein Freund noch Gefühl hatte.

Er wiederholte seinen Besuch' zum zweyten, zum dritten und mehrmalen: allemal wurde es mit der größten Höflichkeit beklagt, daß unaussezbare Geschäfte die Annehmung seines Zuspruchs nicht verstatteten, und wenn der gute Mann von der Vortreflichkeit seines Unternehmens nicht zu sehr geblendet gewesen wäre, so hätte er leicht darauf verfallen können, daß man jemanden oft abweist, um ihn nicht wieder zu sehn: allein eine so ruhige Bemerkung verstattete ihm die Hitze, womit er seinen Zweck verfolgte, nicht zu machen: er ließ sich getrost abweisen und setzte getrost seine Anfragen fort. Endlich merkte er wohl, daß er mehr Schwierigkeiten bey Fromals Bekehrung fand, als bey dem ehrlichen treuherzigen Medardus, und begriff den Bewegungsgrund, der den Befehlshaber gegen eine Unterredung mit ihm abgeneigt machte: seinen Plan aufzugeben, war für ihn der Tod; er entschloß sich kurz und nahm seine Zuflucht zur Feder. Er schrieb ihm die lebhafteste angreifendste Vorhaltung seiner Ungerechtigkeiten, bat, beschwor, drohte in schauernden Ausdrücken,[418] und verlangte nichts als eine Wiedererstattung aller begangnen Bedrückungen. – Gieb, schloß er, gieb den Bedrückten, die Du vor Räubereyen schützen solltest und selbst beraubt hast, gieb ihnen alles wieder, sey künftig gerecht, billig, menschenfreundlich! – und Du bist wieder mein Freund; wo nicht, so soll Dich meine Nachkommenschaft bis in Ewigkeit verfluchen, und jeder Tropfen meines Blutes, so lange er noch in einer Ader fließt, um Rache wider Dich schreyen. –

Der Brief that seine Wirkung. Belphegor hatte sehr sorgfältig verhelt, daß er der Urheber von ihm war, und Fromal, der dieß nicht vermuthete, hatte bereits zu viel gelesen, um wieder aufhören zu können, als er den Verfasser desselben errieth. Er las ihn unruhig und zitternd durch, mußte es noch einmal thun und wurde in ein tiefes Nachdenken versenkt, las ihn wieder und sann, konnte nicht essen und nicht schlafen. Die schauerhaften Beschwörungen seines Freundes schlichen unaufhörlich, wie Gespenster, vor seiner Seele vorüber: er wünschte, sich bey dem Manne rechtfertigen zu können, der einen solchen Aufruhr in ihm gemacht hatte, und doch schämte er sich, ihm in die Augen zu sehn. In dieser unruhigen Unentschlossenheit ließ er zween Tage verstreichen, und Belphegor seufzte und trauerte schon, daß ihm sein Zweck so ganz fehl gegangen, und sein Freund so verhärtet sey. Mitten in seiner Unzufriedenheit darüber bekam er die Nachricht, daß der Befehlshaber ihn zu sprechen verlange: er gieng nicht, er flog.[419] Ob sich gleich eben so leicht vermuthen ließ, daß seine Vorstellung beleidigt habe, und daß man ihn nur rufen laße, um ihn den Unwillen über seine Besserungssucht zu empfinden zu geben, so war doch bey allen schmähenden Deklamationen, die ihm eine gegenwärtige Mishandlung wider den Menschen auspreßte, noch zu viel Rest guter Meynung von der menschlichen Natur aus den ersten Jahren der Einbildungskraft bey ihm übrig, als daß er insbesondre seinen ehmaligen Freund einer gänzlichen Verhärtung fähig halten sollte.

Seine gute Erwartung wurde zum Theil erfüllt: Fromal dankte ihm für die wohlmeynende Absicht seines Briefs und verbarg ihm keine von den Regungen, die er in ihm erweckt hatte; er erkannte sich aller Vorwürfe werth, die ihm darinne gemacht wurden, hatte aber auch für jede eine schöne Entschuldigung in Bereitschaft, und bat Belphegorn, sein Freund wieder wie vormals zu seyn, welches gewissermaßen ein stillschweigender Vertrag seyn sollte, ihn ins künftige mit solchen Unruhen zu verschonen. – So legte es auch Belphegor aus und sprach daher mit dem ganzen Ernste eines Bekehrers: Nicht Eine Minute kann ich Dein Freund seyn, so lange Deine Reue nicht wirksamer ist: nicht bloß vergessen, sondern wieder gut machen mußt Du Deine Ungerechtigkeiten, nicht bloß unterlaßen, sondern besser handeln. – Fromal wiederholte die Versichrung seiner Reue nochmals und glaubte damit wegzukommen, allein Belphegor wich auch nicht Einen Punkt von[420] seinen Foderungen ab und gieng in dem Feuer der Unternehmung so weit, daß er von ihm, wie ehmals vom Medardus, verlangte, seine Befehlshaberstelle aufzugeben, um sich vor neuen Mißbräuchen zu hüten. Die Anfoderung war übertrieben, und verdarb darum die Hälfte der gemachten guten Wirkung: Fromals Eigenliebe fühlte etwas zu widriges dabey, um ihm nicht ein Vorurtheil wider den Mann einzuflößen, der sie thun konnte. Aus dieser Ursache brach er kurz darauf abermals das Gespräch ab, ohne weiter einen Anspruch auf Belphegors Freundschaft zu machen, der ihn ungern verließ, weil er von dieser Unterredung den entscheidenden Ausschlag gehoft hatte.

Indessen blieb doch Fromaln, so schwer es ihm fiel, sich mit seiner Eigenliebe ganz zu entzweyen, ein Stachel zurück, der ihn von Zeit zu Zeit an Belphegors Vorhaltungen erinnerte: er liebte ihn wegen seines Eifers für seine Besserung, er wollte ihn gern oft sehen, und gleichwohl fürchtete er eben diesen Eifer zu sehr, um ihn oft sehen zu können. Endlich schlug seine Eigenliebe einen Mittelweg ein: er bemühte sich, ihn durch Liebkosungen, Geschenke und Ehrenbezeugungen zu gewinnen, oder seine ernste Beredsamkeit einzuschläfern: er zerstreute ihn durch verschiedene Vergnügungen; er kützelte ihn durch Wohlleben und dachte seine ernste Tugend im Weine zu ersäufen. Zur Hälfte gelangs ihm; aber mitten unter Ergötzlichkeiten mußte er sichs oft gefallen lassen, einen verwundenden Stich zu empfangen:[421] doch muß man es zu Fromals Ehre rühmen, daß er oft selbst den Faden zu ernsten Betrachtungen anspann und mit seiner vorigen Stärke und Lebhaftigkeit über Welt und Menschen philosophirte: er berührte so gar oft seine eignen Vergehungen, tadelte und entschuldigte sie. Belphegor ließ keine Gelegenheit vorübergehn, die Wiedererstattung für alle zu verlangen, die Fromals Unterdrückung gefühlt hatten: um sich auch diese beschwerliche Anfoderung zu ersparen, bot er Belphegorn das Stück Land zum Geschenke an, das er seinem Hausherrn durch Bedrückungen abgenöthigt hatte. Belphegor weigerte sich, und seine Gerechtigkeitsliebe stellte ihm den Besitz dieses Geschenkes als einen zweyten Diebstahl an: doch Fromal, der den Menschen kannte, machte ihn durch häufige Zunöthigungen, durch die Vortheile und Annehmlichkeiten, die er ihm dabey versprach, mit der Idee davon so vertraut, daß er wirklich nach langem Weigern das Geschenk annahm, ohne es weiter für einen Diebstahl zu halten. Der Genuß mannichfaltiger Vergnügungen bey dieser Besitzung und die Erkenntlichkeit dafür minderten allmählich den Unwillen wider Fromals begangne Ungerechtigkeiten, und bald wurde nur davon gesprochen, um darüber zu spekuliren. So war nach vielfältigen, meistens selbsterregten Leiden Belphegor in Ruhe, besaß ein kleines Landgütchen mit einer für ihn bequemen Wohnung, mit schattichten Bäumen, um darunter philosophisch zu träumen, über sein Leben nachzudenken,[422] die Welt nach Maaßgebung seiner Laune zu schimpfen oder zu bewundern – mit einem Gärtchen, um darinne, wie die Patriarchen, zu graben, zu säen, zu pflanzen – mit einem Felde, um darauf seinen Unterhalt von etlichen Negern erbauen zu lassen, die ihm Fromal dazu geschenkt hatte. Itzt, da er selbst die Nützlichkeit dieser Schwarzen genoß, verschwand das Düstre in der Vorstellung von ihrem Zustande ganz: ob er sie gleich als Menschenfreund beklagte und behandelte, so schienen sie ihm doch nicht mehr so unglücklich wie ehmals, und die Idee von einem Sklaven, von dem Verkaufe desselben, diese sonst für ihn so aufbringende Idee, familiarisirte sich so sehr mit ihm, daß sie ihm gleichgültig wurde. Er lebte in der glücklichsten Einsamkeit, in der beneidenswürdigsten Ruhe; was ihm mangelte, ersetzte ihm sein Freund, und beide waren itzt wieder mit ganzer Seele einig und vertraut.

Belphegors Glückseligkeit weckte bald in Fromaln ein Verlangen nach einer ähnlichen Ruhe auf, welches die Ermüdung von Geschäften verstärkte, besonders da er von Natur eine starke Neigung zur Spekulation hatte, die itzt durch Belphegors Beispiel wieder aufgelebt war.

Lange blieb sein Verlangen ein bloßer Wunsch, und Belphegors Auffoderung vermochten nicht, ihn zu einem Entschlusse zu bringen, zu welchem ihm eine widrige Begebenheit zwang. Schon lange hatte einer von seinen Unterbedienten, vermuthlich von Neid und Eifersucht angetrieben, heimlich eine Partie wider ihn[423] gemacht, die itzt zu seinem Schaden ausbrach. Man wollte ihn durch Verdrießlichkeiten abmatten und nöthigen, die Befehlshaberstelle niederzulegen, zu deren Erlangung sein Nebenbuhler schon die nöthigen Veranstaltungen getroffen hatte. Er sah ein, worauf es angefangen war, und um einem gewaltsamen Sturze zu entgehen, stieg er selbst von seiner Würde herunter und vergrub sich mit seinem Freunde Belphegor in der Einsamkeit: da er aber die Schikane und Beunruhigung des neuen Befehlshabers fürchtete, so verließ er mit Belphegorn die Insel und kaufte sich eine mäßige Besitzung in Virginien, die er auf den Rath seines Freundes in drey gleiche Theile zerschnitt, um sie so mit seinen zween Freunden zu besitzen: denn man hatte sich schon Mühe gegeben, Akanten und den guten Medardus gleichfalls zu der Gesellschaft zu ziehn. Die Nachfragen blieben lange fruchtlos; man schrieb und schrieb, und erfuhr nichts, bis endlich, da sie bereits verzweifelten, sie wiederzufinden, Fromal die Nachricht erhielt, daß sie einer seiner Bekannten auf seinem Schiffe zu ihnen führe. Die Nachricht wurde bald durch ihre Ankunft bestätigt, und die glücklichste Stunde vereinigte drey Freunde wieder, die Schicksal und Leidenschaften oft von einander getrennt hatte, um hier in stiller Ruhe dem Tode langsam entgegenzuwandeln.

Akante erschien nicht; sie hatte kurz vor der Abreise eine verliebte Kuppeley unternommen, und da der Mann, dessen Frau sie durch ihre Bemühungen zur[424] Untreue verleiten wollte, die Sache sehr übel nahm, so rächte er sich mit einem guten Schlage an ihr, der so übel abgepaßt war, daß sie nach langen Schmerzen verschied. Aus alter Liebe, und weil er ihre schlimme Seite nicht genug kannte, betrauerte sie Belphegor und beklagte ihren Tod als einen Verlust für sich: allein Medardus unterbrach sein Klagelied und rieth ihn, nicht Einen Seufzer an ein schändliches Weib zu verschwenden, das nicht verdient hätte, Athem zu holen. – Brüderchen, sprach er, sie hätte die Minute nach ihrer Geburt einen so gesunden Schlag auf den Hirnschädel bekommen sollen: so wären viele Menschen weniger unglücklich, und Du nicht betrogen worden. Sie war eine Falsche, die listig die Grundsätze und Neigungen desienigen annahm, dessen Hülfe sie eben brauchte: in einer Minute war sie zärtlich, feurig verliebt und bis zur Uebertreibung einschmeichelnd, die folgende Minute, wenn es ihr Vortheil verlangte, kalt, verachtend stolz, und warf vielleicht einen Liebhaber zum Hause hinaus, in dessen Umarmung sie kurz vorher den Himmel zu fühlen vorgab. –

Belphegor seufzte. –

Sie trieb, fuhr Medardus in seiner Parentation fort, zuletzt die schändlichste Kuppeley, und war so geschickt, Dir ihr abscheuliches Gewerbe zu verbergen. In Einem Hause unter Einem Dache mit ihr wußtest Du am wenigsten davon, und oft, wenn Du in Deiner Stube spekulirtest, wurden vielleicht unter oder neben[425] Dir der Wohllust die schändlichsten Opfer gebracht. Sie hat mich, sie hat Dich hintergangen, durch Lügen und durch That: wie führte Dich nur das liebe Schicksal wieder zu ihr?

Belphegor ertheilte ihm darüber die gehörige Nachricht, und am Ende seiner Erzählung rief Medardus aus: Da sieht man doch, daß die Vorsicht noch lebt! Betrügerey und Laster finden am Ende allezeit solchen Lohn.

Aber, unterbrach ihn Belphegor, ist das Vorsehung, ein Geschöpf, das tausend andre unglücklich gemacht hat, mit einer Keule vor den Kopf schlagen zu lassen? Wenn heute, wenn morgen einen unter uns ein herabfallender Stein quetscht, oder die Keule eines Räubers verwundet, daß wir unter langen Schmerzen sterben müssen, so sind wir Akanten gleich: was ist aber bey uns die Absicht der Vorsehung? – Ist es Strafe? – warum soll ICH oder DU, die wir nicht zur Hälfte so viel Böses begangen haben, warum sollen WIR mit jener ungleich größern Verbrecherinn gleich gestraft seyn? und das ist eine üble Gerechtigkeit, wo alle Vergehungen auf gleichen Fuß behandelt werden: wenn wenig oder viel mit Einem Grade von Bestrafung wegkömmt, so hätte ich Lust, lieber viel zu begehen. – Ist es in unserm Falle keine Strafe? – desto schlimmer! warum trift den Unstrafbaren mit dem Strafbaren ein Gleiches? Woher weiß ICH das, daß Einerley Begebenheit in einem Falle es ist, im andern nicht? und wie kann ich aus Akantens[426] Vorfalle schließen, daß eine Vorsicht mit Absicht ihr dieses Schicksal wiederfahren ließ? –

Brüderchen, Du disputirst mir nichts aus dem Kopfe. Vielleicht würden wir von einem Steine erschlagen, um großen Lastern und Unglückseligkeiten zu entgehen. Wer weiß! wozu es gut ist? –

Elende Ausflucht! Warum wurde denn Akante, die dadurch von ungeheuren Lastern und vielem Unglücke hätte bewahrt werden können, wie man nun deutlich sieht, nicht im sechsten oder siebenten Jahre erschlagen? und warum geschah dieß so vielen, deren wohlgeführtes Leben es nicht vermuthen ließ, daß ihnen durch ihren Tod große Laster erspart wurden? Sollten WIR Akantens Geschick erfahren, um großem Unglücke zu entgehn? – Wahrscheinlich keinem größern als wir schon erduldet haben! – Nach Deiner Philosophie, Freund, wäre es der höchste Grad der Vorsehung, alle Kinder unmittelbar nach der Geburt vor den Kopf schlagen zu lassen. –

Aber, Brüderchen, wenn viele, die es nicht verdienten, eben so gestorben sind, so ist ja das nichts sonderbares: es braucht nicht Strafe zu seyn: sie mußten einmal sterben, so galt es ja gleich, ob ihnen eine Krankheit die Kehle zudrückte, oder ein Stein den Kopf zerquetschte.

Alles gut, Freund! Aber woher weißt Du, daß dieß bey Akanten nicht eben derselbe Fall war? Woher weißt Du, daß Eine Begebenheit in zween Fällen zwo[427] verschiedene Absichten hatte? – Das kannst Du nicht beweisen; Du kannst gar nicht beweisen, daß eine Absicht dabey war, Du kannst –

Freund, unterbrach ihn Fromal, darf ich auch meine Meynung sagen? – Ich erblicke in den Begebenheiten der Erde und jedes einzelnen Menschen einen Zusammenhang, der sie so zusammenkettet, daß eine wirkt, und die andre gewirkt wird, um wieder zu wirken. Dieß ist das einzige, was ich mit Gewisheit sehe, und wenn ich daran zweifeln wollte, so würde ein Stein, der auf meinen Kopf fällt, mich lebhaft davon überzeugen: es ist eine Bemerkung, die eine leichte Aufmerksamkeit macht, und sie hat, deucht mich, die nämliche Evidenz, die das Zeugniß unsrer Sinnen giebt. Dieser bemerkte Zusammenhang soll einen Namen bekommen: richte ich meinen Blick bloß auf die Nothwendigkeit und Unwiderstehlichkeit dieses Zusammenhangs, daß ein Glied in der langen Kette der Begebenheiten genau an das andre schließt, daß ich keins herausnehmen kann, ohne die Ordnung und Folge des Ganzen zu ändern und also eine andre Kette zu machen, daß durch lange Vorbereitungen eine günstige und widrige Begebenheit, der Sturz vom Pferde und der Gewinnst eines großen Looses seit dem Anbeginne der Dinge schon gewiß war und izt, wenn sie geschieht, unvermeidlich ist: so nennen wir den Zusammenhang der Dinge, von dieser Seite betrachtet – Schicksal, Falum. Betrachten wir ihn aber auf einer andern, in so fern eine jede Wirkung die abgezielte[428] Absicht von dem Urheber der Dinge bey der Anordnung aller vorhergehenden Ursachen seyn konnte: so nennen wir es Vorsehung. In beiden Fällen bleibt der Zusammenhang derselbe, gleich nothwendig und unausweichbar, nur der Name und die Vorstellungsart wird geändert. In dem ersten Gesichtspunkte ist die Welt ein von dem Urheber der Welt veranstaltetes Spiel der natürlichen Kräfte: er warf Schwerkraft, Centralkraft, elektrische, magnetische und andre Kräfte der Körperwelt zusammen, er warf denkende und wollende Vermögen, Neigungen und Leidenschaften in die Geister, und gab einer jeden Kraft eine bestimmte Regel für ihr Wirkungen. Das Spiel begann: Ideen, Neigungen, Leidenschaften kämpften unter einander, Körper stritten mit Körpern: die Maschine der Welt ist ein perpetuum mobile, wo Stoß auf Stoß, Wirkung auf Wirkung unausbleiblich folgen, der Gerechte und Ungerechte von einem Steine zerquetscht wird, wenn er gerade vorübergeht, indem ihn seine Schwerkraft zur Erde herabzieht, wo der Böse und Gute von der Kanonenkugel weggerissen wird, wenn sie ihn auf ihrem Wege antrift – kurz, wo aus dem verwirrten streitenden Haufen der Weltkräfte eine Wirkung nach der andern hervorsteigt, und jede der ihr angewiesnen Regel allein folgt. – Im zweyten Gesichtspunkte ist die Welt eine künstlich ausgesonnene Maschine, wo Rad in Rad greift, der Gang und die Wirkung eines jeden nach einem Risse ausgerechnet und bestimmt ist, es sey nun, daß der[429] Künstler durch unsichtbare Federn unaufhörlich bey jedem Rädchen mitwirkt, oder daß er nur einige dieses Einflusses würdigt, oder daß sein Werk nach seiner ersten bestimmten Anlage ohne fernere Beyhülfe seinen angewiesnen Gang vor sich fortgeht. Da nun jede Wirkung auf die vorhergehende Ursache so gut paßt, daß diese um jener willen dazuseyn scheint, so stellen wir uns vor, daß der Stein darum einem Menschen auf den Kopf fällt, weil er getödtet werden soll: die Einbildungskraft hat hierbey Raum die Menge zu ihrem Spiel; wenn der Stein einen Menschen trift, den wir nach unserm Urtheile für böse halten, so nennen wir es Strafe: trift er einen guten, so nennen wir es Schickung, oder wie es uns sonst beliebt. Aber allzeit ist es blos unsre Erfindung, unsre Vorstellung, die wir nie zu einiger Evidenz erheben können. – Jeder Mensch wird durch Erziehung, Unterricht, natürliche Anlagen und Neigungen zu einer von diesen Vorstellungsarten hingerissen und gleichsam so gestellt, daß er den Zusammenhang der Welt in einem von jenen Gesichtspunkten sieht. Dich, Freund Medardus, leiteten die Umstände auf das System der Vorsehung, mich auf das andre. Wir wollen nicht über Namen und Vorstellungsarten streiten: darinne kommen wir alle überein, und dieß sehen wir alle so evident, als unsre Augen uns von dem Daseyn einer Sonne überzeugen, daß ein festgeketteter, nothwendiger, unwidertreiblicher Zusammenhang in den Begebenheiten der Erde und jedes Bewohners derselben vorhanden[430] ist: wer dieß läugnet, spielt mit Worten. Wer sich eine von den beiden Vorstellungsarten dieses Zusammenhangs wählt, wähle diejenige, die ihm nach seiner Lage Thätigkeit zur Handlung und Beruhigung in der Widerwärtigkeit mittheilt; und er hat wohl gewühlt: aber wessen Gewalt ist es überlassen, eine solche Wahl zu treffen? Allmählich erzeugt sich aus seinen Kenntnissen, Schicksalen und Beobachtungen darüber ein gewisser lichter Schimmer der größern Wahrscheinlichkeit, der eine von jenen Meinungen in seinem Kopfe hervorstechender macht; und ich kann mir vorstellen, daß dieser Mann bey dem Fatum eben so viele Beruhigung findet, als ein andrer bey der Vorsehung. –

MEDARD. Unmöglich, Brüderchen! Das trockne, leere, geistlose Fatum verglichen mit einer lebenden, thätigen, wirksamen Vorsehung – welch ein Unterschied!

FROM. Ja, Freund, für die Einbildungskraft! die freylich ein freyeres Feld für sich findet, wenn sie den Zusammenhang der Dinge personificiren und ihn mit allen Eigenschaften eines sorgsamen Vaters ausputzen kann. Ich tadle dieß nicht: da die meisten Menschen blos durch Einbildungskraft und Empfindung geleitet werden, so muß das System der Vorsehung für sie ein unendlich wohlthätiges und vorzügliches System, und die Menschen desto glücklicher seyn, je ausgebreiteter es wird: und doch besizt es nur der kleinste Theil der Menschheit.[431]

MEDARD. Ganz Europa besitzt es ja.

FROM. Dem Namen nach! Der größte Haufen, Gelehrte und Ungelehrte, möchte ich behaupten, hat im Munde und in der Imagination die Vorsehung und im Verstande das Fatum: prüfe sie, und du wirst finden, daß die Vorsehung der meisten ein personificirtes, mit etlichen glänzenden Eigenschaften der Vorsehung ausgeschmücktes Fatum ist. Von Europa fällt also ein großer Theil wahre Anhänger dieses Systems hinweg; und welche Menge in den übrigen Welttheilen, die insgesammt bey der ersten einzig gewissen evidenten Beobachtung stehen geblieben sind, dem Grunde, von welchem alle unsre Erklärungen und Vorstellungsarten entstanden sind, und in welchen sie sich alle auflösen lassen, nämlich: daß ein festgeketteter unwidertreiblicher Zusammenhang in den Begebenheiten der Welt ist. Frage den Neger, den Indianer, den Kalmucken! und wenn er seine dunkle Empfindung hiervon auszudrücken weis, so wird er dir diese Idee geben; und doch, obgleich das Fatum der herrschende Glaube von mehr als der halben Menschheit ist, streitet der Türke mit der Kühnheit eines Löwen, und jedermann glaubt, er habe seinen Muth seinem Glauben an das unausweichbare Schicksal zu verdanken. Das System der Vorsehung scheint mehr die Stärke zum Dulden als zum Handeln zu geben; und, Freund, du wirst herrlichen Trost von ihm empfangen haben?

MEDARD. Herrlichen Trost? Wer weis wozu mir das[432] gut ist? – so dachte ich bey dem fürchterlichsten Sturme des Unglücks, und ich konnte getrost hindurch gehn.

BELPH. Glückliche Illusion! Wie wohl wäre mir gewesen, wenn sie mein Unmuth nicht aus meiner Seele getrieben hätte: aber mein Unglück war zu ungestüm;

eine eiserne Seele hätte es kaum tragen können: und wenn ich gleich alle Fittige meiner Einbildungskraft ausgespannt hätte, um mich zu überreden, daß alles zu etwas gut sey, wie hätte ichs vermocht? – Wozu konnte es gut seyn, daß die Natur die Menschen so anlegte, daß sie in dem allgemeinen Handgemenge auch meinen Scheitel so oft verwundeten? Wozu konnte das gut seyn? –

FROMAL fiel ihm ins Wort: Du hast erfahren, Belphegor, daß die Menschen nicht das sind, wofür wir sie uns in dem ersten Rausche der Jugend ausgaben: keine friedlichen Geschöpfe, die vom Verlangen wohl zu thun glühn, die in Ruhe und Eintracht neben einander leben, sich über ihr wechselseitiges Glück freuen, und heiter, froh, zufrieden den muntern Tanz des Lebens dahinhüpfen: Du hast sie gefunden, wie ich dir verkündigte – eine Heerde Raubthiere, die Eigennutz, Herrschsucht, Neid ewig zusammenhetzet, die sich in Truppe versammelten, um einander desto wirksamer befeinden zu können, durch ihre natürlichen Anlagen, durch die Oekonomie ihres Wesens zum immerwährenden Kriege bestimmt, den sie beständig in roher grausamer, oder[433] minder grausamer, oder verkleideter Gestalt fortsetzen, blutig oder unblutig, so wie Gesetze, Sitten und Verhältnisse es ihnen erlauben; eine Heerde Raubthiere, wo eins über das andre will, eins das andre zu unterdrücken sucht, und wo die meisten auch in einer beständigen verjährten Unterdrückung gehalten werden: – denn übersiehe die ganze Fläche der Erde, ob nicht blos kleine Flecken von der Sonne der Freiheit mit schwächerm oder stärkerm Schimmer erhellt werden, indessen daß große weite Ebnen von der tiefsten Finsterniß der Sklaverey überdeckt sind, wo jedes muthige Wort auf der Zunge stirbt, wo der Geist der Freundschaft nie athmet, und jeder mit rückhaltender Kälte den andern in langer Entfernung von sich hält, wo der Elende nicht einmal das Eigenthum seines Lebens besitzt: übersieh alle Zeiten, und sie werden Dir das nämliche Trauerspiel der Unterdrückung vorstellen: übersiehe Dein eignes Leben, Freund, und hast Du nicht allenthalben, wenige gute, edlere Seelen ausgenommen, die Menschen im einzelnen und im Ganzen mit meiner Schilderung passend gefunden?

BELPH. Ja, leider! sind mir Lähmungen, Narben, Beulen unverwerfliche Zeugen davon!

FROM. Wovon Du Dir aber den größten Theil erspart hättest, wenn Du der Partie jenes londner Jungen gefolgt wärest, dessen Beispiel für mich die goldne Regel meines Verhaltens jederzeit gewesen ist. Ein Haufen größerer Buben, in deren Mitte er stund, geriethen in[434] Zank: das Handgemenge wurde allgemein, man schlug sich blutrünstig, man riß sich Haare aus, nur mein Knabe bückte sich und kroch mit besondrer Geschicklichkeit durch die erhabnen Arme der Streiter hindurch und kam allein unversehrt aus dem Kampfe. Laß den Menschen die wilde Lust ihres Kampfjagens, laß sie sich balgen und raufen, mit dem Degen, mit der Feder, mit Verläumdungen, mit den Nägeln! schleiche dich durch sie hindurch und laß dich nie gelüsten, ihnen zu sagen, daß sie Narren sind, noch vielweniger sie gescheidter machen zu wollen! Die Maschine kann nichts mehr oder weniger und nichts anders thun, als wohin sie der Stoß der auf sie wirkenden Räder treibt, und wer sie aus ihrer Richtung herauslenken will, muß Kräfte genug zum Wiederstande haben, oder er bekömmt Stöße, wovon ihn vielleicht der erste schon zu Boden wirft. – Entdeckte ich Dir nicht diese Erfahrung, Freund? Und warum folgtest Du ihr nicht?

BELPH. Folge einer kalten Erfahrung, wenn dein Herz in lichten Flammen lodert, und die Gluth Dich ersticken oder den Busen zersprengen will! Folge ihr, wenn Du keinen Schritt thun kanst, ohne daß Dich nicht tausend Gegenstände umgeben, die Dich durch ihre Narrheit oder Schändlichkeit zum Unwillen reizen, wenn du bessern oder nicht sehen, kein Mensch seyn, kein Gefühl von Recht und Unrecht, vom Guten und Bösen haben mußt!

FROM. Alles dieß besitze für DICH, zu DEINEM Gebrauche,[435] um Dich in Deinem eignen Verhalten davon leiten zu lassen, und danke der Natur und dem Schicksale, daß sie sich beide vereinigten, Dich zum warmen gefühlvollen denkenden Manne, zum Kenner und Verehrer des Guten und Rechtschafnen zu machen! daß sie unter Deinen übrigen Mitgeschöpfen nur wenigen diese Wohlthat erzeigten, ist das DEIN Werk? oder kannst DU das ändern? Es ist im Laster und in der Thorheit eine gewisse Fatalität – hier in Virginien zwischen zween Freunden kann ich dieß sagen – die Erfahrung lehrt es, man folgre daraus, so viel schädliches man wolle: was kann ICH dafür, daß die Erfahrung mich eine Wahrheit lehrt, die aus schädlichen Folgen beschwängert ist? – Mein eignes Beispiel lehrte mich sie. Ich habe zwo Hauptvergehen in meinem Leben begangen: ich habe Dich, Belphegor, meinen Freund, hintergangen, und bin ein Unterdrücker geworden. ICH war es – ich gestehe dieß, Freund – ICH war es, der Akanten antrieb, Dich aus ihrer Liebe und ihrem Gesichte, obgleich nicht mit der gebrauchten Härte, zu verbannen: allein die Liebe riß mich hin; sie überwältigte meine Freundschaft für Dich so ganz, daß ich Dich unmöglich ohne Neid in ihren Umarmungen die süßeste Wohllust genießen sehen konnte: die Freundschaft kämpfte wider die Eifersucht, und ich war blos ihr Tummelplatz: ich konnte nichts wollen und nichts beschließen: die Leidenschaft siegte, ich verdrängte Dich, und wurde ein Falscher, um mir die Scham vor Deinen[436] Vorwürfen zu ersparen, hintergieng Dich zweimal mit Lügen: doch Akantens Treulosigkeit strafte mich dafür. – Freund, vergiebst Du mir einen Fehltritt, zu welchem mich alles hinriß? Ich war meiner nicht mächtig, ich mußte ihn thun, in meiner Lage war er unvermeidlich, nothwendig.

BELPH. Meine Freundschaft vergab Dir ihn, ehe Du ihn thatest. Umarme mich! Verzeihung geben und empfangen ist die Geschichte des Menschen. Jeder dieser Fehltritte ist mir begreiflich; allein wie Du, ein so entschloßner Feind aller Unterdrückung, verleitet werden konntest, Handlungen zu begehn, die Du jederzeit verabscheutest, das, das ist mir unerklärbar.

FROM. Nicht unerklärbarer, als da Du über den Tod eines einzigen Schwarzen einen Krieg mit mir, Deinem Freunde, anfangen konntest –

MEDARD. Oder da ich eine Mauer um Niemeamaye ziehen und allen Einwohnern ihr Gold abnehmen ließ. Siehst Du, Brüderchen? dazu wird man Dir durch die Gelegenheit so hingerissen, daß man hinter drein sich nicht einmal erzählen kann, wie es zugieng.

FROM. Als Sklave verkauft, kam ich unter den weißen Knechten nach Amerika, in die Pflanzung eines Tyrannen, der uns das Joch seiner Gewalt bis zur Uebertreibung fühlen ließ. Ich wurde durch eine solche Behandlung gewissermaßen wild und grausam gemacht: ich faßte oft den Entschluß den Mann umzubringen, oder selbst zu sterben und ein qualvolles Leben zu[437] endigen. Während daß ich unentschlossen mit diesem Gedanken umgieng, entstund ein Aufruhr auf der Insel: man hatte sich allgemein zu dem Untergange des Befehlshabers verschworen, dessen Bedrückungen und Kränkungen alles Rechts schon längst unerträglich geworden waren. Man stürmte sein Haus, man nahm ihn gefangen, man steinigte ihn, und er wurde im Getümmel erdrückt. Diesen Tumult nüzten einige Banden weiße Knechte, setzten sich in Freiheit, erschlugen ihre Herren, und unter diesen Streitern der Freiheit war auch ich. Da das Volk sich selbst einen Befehlshaber wählen wollte und doch in zwo Parteien getheilt war, so stellte ich mich mit meiner Bande an die Spitze der mächtigern, half ihr sie gen, und ihre Wahl, weil sie keinem unter sich einen so wichtigen Vorzug gönnten, fiel auf mich: ich wurde ihr Befehlshaber und blieb es so lange, bis mich die Kabalen eines Nichtswürdigen befürchten ließen, daß ich, da mir die Bestätigung des Hofs fehlte, zulezt unterliegen würde. Mein Sklavenstand und die rohe Behandlung darinne hatten mir einen Theil meiner Menschlichkeit genommen: drücken und bedrückt werden, hatte sich mit mir so familiarisirt, daß es mir nicht mehr wie sonst einen Schauer abnöthigte, sondern ich konnte es mit kältern Blute sehen und denken, weil es mein täglicher Anblick und mein tägliches Gefühl gewesen war. Ich kam mit dieser verminderten Menschlichkeit in meine Würde, erhielt einen weitern und freyern Wirkungsplatz, mehr Gegenstände der Begierden[438] und mehr Gewalt, meine Begierden wuchsen, wuchsen über meine Kräfte hinweg und – Freunde, soll ichs euch weiter erzählen? Meine Geschichte ist die Geschichte aller Menschen. Ich wurde die Marionette meines Eigennutzes und meiner Eigenliebe; und Belphegor, Du weißt es, wie sehr ich unter ihrem Befehle stund, als Du mir Deine freundschaftliche Hülfe zur Besserung anbotest. Wegen dieses einzigen glücklichen Erfolgs laß Dich alle Wunden und Beulen nicht gereuen, die Dir Dein zu feuriger Eifer für Recht und Gerechtigkeit geschlagen hat. Du hast mich zum Menschen wieder umgeschaffen, Dir bin ich mehr als mein Leben – meine Rückkehr zur Vernünftigkeit schuldig. Freunde! laßt uns unsre Erfahrung nicht umsonst mit dem Verluste unsrer Tugend, eingesammelt haben! Wir haben bewiesen, daß man nie gut genug seyn kann, um es beständig und in allen Vorfallenheiten zu seyn, daß der Sauerteig des Neides und der Herrschsucht in jedem Herze liegt und bey stärkrer oder schwächrer Veranlassung die ganze Masse unsrer Begierden durchsäuert, daß Freundschaft, Rechtschaffenheit und selbst die Religion zu schwach ist, seiner beißenden Schärfe zu wiederstehen: wir wollen es nicht ohne unsern Nutzen bewiesen haben. Hier auf diesem Flecke laßt uns in froher Einsamkeit und ruhiger Eintracht den Rest unsrer Tage hinleben, und unsern Begierden jeden Sporn, jeden Reiz benehmen, die sie aufwiegeln könnten, diese schöne Ruhe zu stören. Wir wollen diesen Flecken Erde, der[439] unser Eigenthum geworden ist, zu gleichen Theilen besitzen; unsre Bedürfnisse können nicht über unser thierisches Selbst hinausreichen, und sie werden uns nicht entzweyen, so lange uns nicht gänzlicher Mangel um Leben und Nahrung kämpfen läßt. Wir wollen uns von unserm Geschlechte trennen, damit nicht ein neidischer Anfall von ihnen unsre Glückseligkeit unterbricht: so sind wir von innen und von außen verschanzt und machen für uns allein eine Welt aus – eine Welt, wie wir sie in den ersten Jahren unsers Lebens träumten, Belphegor – eine Gesellschaft, die Freundschaft, Liebe, Sympathie des Kopfs und des Herzens zusammenknüpft, die so arm ist, daß keine neidische habsüchtige Begierden sie zu trennen vermögen, und so reich, daß sie außer sich selbst nichts weiter bedürfen.

Alle billigten den schönen Plan, und Belphegor fiel seinen beiden Freunden vor Entzücken um den Hals, segnete und preiste sie, daß sie ihm das goldne Alter seiner Jugend wieder zurückführten. – So werden wir, sezte er hinzu, die einzigen Glücklichen auf der Erde seyn, die im Himmel sind, während daß alles außer unsrer Gesellschaft im Aufruhr der Leidenschaften herumgetrieben –

Ja, unterbrach ihn Fromal, wir können es seyn, so lange nicht die Menschen uns unsre Freude misgönnen. Du weißt, Belphegor, in dem Rausche unsrer frühen Jahre schufen wir uns ein Ideal von Glückseligkeit, womit wir aus Mangel an Erfahrung die Wohnung des[440] Menschen ausschmückten: ich suchte sie, als ich in die Welt trat, allenthalben, und erblickte sie nirgends. Je mehr ich von der Erde kennen lernte, je mehr mußte sich meine Vorstellung von der menschlichen Glückseligkeit verengern, und zuletzt schrumpfte sie gar bis auf das magre Etwas zusammen – Abwesenheit wirklicher Leiden; wer diese errungen hat, der ist menschlich glücklich. Die Freuden des Lebens sind dünne, wie die Frucht eines sandigen Ackers, verstreut: es gehört zu beiden gute Oekonomie. Freiheit, dieses hauptsächlichste Ingredienz einer positiven Glückseligkeit, wie wenige genießen sie! Die meisten müssen sich mit dem Schatten und dem Worte begnügen: macht die Rechnung und ziehet die Summe, und unter allen Völkern der drey Welttheile unsrer Halbkugel werdet ihr nicht bey dem zehntausendsten Theile die Illusion der Freiheit finden. Der nackte Wilde kämpft mit Hunger, Durst, Kälte und Regen: der polizierte Europäer mit tausendfachem künstlichen Mangel, mit Arbeit, mit dem Eigennutze, der unterdrückenden Gewalt und Millionen Leidenschaften: Asiater, Afrikaner und Amerikaner sind mehr oder weniger vom Despotismus und Geize ihrer Beherrscher gequält: nirgends sind die Bewohner der Erde zufrieden, und nirgends können sie es seyn: Die Glückseligkeit unsers Planetens scheint in die gemäßigte Zone der Glückseligkeit des Ganzen zu gehören, eine mittlere laue Temperatur, nicht befeuernd und auch nicht ganz kalt. Gewohnheit und Unwissenheit sind ihre beiden[441] Endpunkte. Wer die Erde zum Garten, zur Heimath der Glückseligkeit macht, ist ein Schwärmer oder ein Unwissender; wer sie als eine Wüste, ein Jammerthal schildert, ist ein Milzsüchtiger oder ein Bösewicht. Sie ist ein Mittel zwischen beiden, ein what d'ye call it –

BELPH. Das aber doch bisweilen mehr der letztern Schilderung gleicht.

FROM. Ja, es scheint, besonders wenn man den Lauf der vergangnen Begebenheiten im Ganzen überschaut: aber merke auch, daß die Geschichte derselben ein gedungnes voll gruppirtes Gemälde ist, dessen Theile sich in der Natur nicht so nahe berührten, wo zwischen den armseligen Spitzbübereyen und Mördereyen etwas heitre Intervalle waren. – Doch laßt uns alle diese leidigen Kenntnisse wegwerfen! Laßt uns nichts als unsern kleinen Zirkel der Freundschaft übersehen, und wenn sich unsre Spekulation über ihn hinauswagt, mit Medardus Auge alles anschaun, in der Absicht alles gut zu finden: sich so belügen, ist eine Pflicht, die unsre Zufriedenheit fodert.

BELPH. Oft war dieß meine Rede. Glückliche Menschen, ihr Unwissende, ihr, denen der Himmel bloß schlichten Menschenverstand und keinen forschenden grübelnden Geist gab! Ihr schleicht den Pfad eures Lebens dahin, weint oder lacht, wie euch die Umstände gebieten, ihr laßt euch gewisse für eure Ruhe heilsame Meinungen einpfropfen, sie durch die Länge der Zeit zum festen unverwelkenden Glauben aufwachsen, ohne[442] zu untersuchen; und wohl euch! Da euer Auge nicht weit reicht, so erblickt es in dem kleinen Horizonte wenig Böses, von der Unordnung der Erde nur kleine einzelne Fragmente, die euch nicht eher stark rühren, als bis sie auf euern Scheitel fallen. Freund, wenn es möglich wäre, den lästigen Plunder der Erfahrung von uns zu werfen, das Auge unsers Geistes zu stümpfen und seinen Gesichtskreis so sehr als möglich zu verengern, wären wir nicht glücklich?

Ja, unterbrach ihn Medardus, wir werden dieß seyn, Brüderchen; und wenn mein gutes Weibchen, oder meine Zaninny, oder das schöne Negermädchen in Karthagena bey uns wäre – wir wären doppelt glücklich; und dann einen Trupp kleine Nachkommenschaft um uns herum – Brüderchen, das wäre Dir ein Himmelreich.

Fromal nickte und schwieg.[443]

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Sagt ich weiß nicht wer?

Quelle:
Johann Karl Wezel: Belphegor, Frankfurt a.M. 1979, S. 413-445.
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