Beschluß

[445] So war der Plan für ihre Einsamkeit, die für sie ein Zustand der erfreulichsten Ruhe und der süßesten Zufriedenheit, die glücklichste Periode ihres ganzen Lebens war. Sie suchten sich je länger, je mehr von dem Geiste des Nachforschens und der grübelnden Untersuchung abzuziehn, weniger zu denken und mehr zu handeln, sich in alle die kleinen Beschäftigungen des Gartenbaus, der Feldarbeit zu zerstreuen, zu säen, zu pflanzen, zu begießen, zu erndten, und dadurch ihre Lebensart derjenigen nahe zu bringen, die die geringste an Achtung, und die oberste an Glückseligkeit ist, der friedlichen Lebensart der ersten Väter, des arkadischen Dichterlandes und des Landmanns in den Zonen der Freiheit. Ein jeder hatte in seiner Besitzung eine kleine reinliche Wohnung, worinne er nebst seinen Sklaven Raum hatte, ein jeder machte mit seinen Sklaven eine Familie aus, wovon er der Vater war, der seine Kinder nur so lange in leichten Einschränkungen erhielt, bis sie erkannt hatten, wie liebreich ihr Vater war. Hinter jeder Wohnung breitete sich ein Garten in eine längliche Fläche aus, mit Küchenkräutern und Gewächsen,[445] auch mit einigen Blumen, die das Klima vertrug, geschmückt, den jeder Besitzer mit eigner Hand pflegte und bearbeitete: jeder aß das Werk seiner Hände, und jede Staude, die auf seinem Tische erschien, schmeckte ihm doppelt süß, weil er sie mit dem Schweiße seines Angesichts erkauft hatte. Wenn sie die Arbeiten des Gartens ermüdeten, giengen sie auf das Feld, die Verrichtungen ihrer Sklaven – wiewohl sie ihnen nie diesen Namen gaben – zu übersehen, sie durch ihre Gegenwart zum Fleiße und durch Freundlichkeit zu Muth und Geduld anzufrischen. Zu gewissen Jahrszeiten und nach Endigung gewisser Arbeiten, des Pflanzens, des Säens, der Erndte stellten sie kleine Feste an, wo sie unter hohen Bäumen oder am Eingange ihrer Wohnungen saßen und sich väterlich an den Ergötzlichkeiten ihrer Angehörigen vergnügten: Diese spielten die rohen Spiele ihres Vaterlandes, sangen mit rauher Kehle und mit der vollsten Empfindung, tanzten mit unabgezirkelten Schritten, wilden Sprüngen, hüpften sich lustig, mengten in alles ihren ungebildeten Scherz und plumpe Schäkereyen, und lachten sich frölich, frölicher als die Tafel der auserlesensten witzigen Köpfe. – Oft versuchten ihre Herren, ihre Spiele und Tänze nachzuahmen, und wurden für jeden Fehler der Ungeschicklichkeit mit einem lauten Gelächter bestraft. Die kleine Bande wurde durch diese Ermunterungen belebt und erfindsam: sie strengten oft ihren Wiz an, ihre Herren gleichfalls mit kleinen Freuden zu ergötzen. Sie überraschten[446] sie unvermuthet mit einer vorzüglich großen oder schönen Frucht, mit einem ansehnlichen Gewächse, das sie entdeckt und verborgen, oder mit Fleiß und in der Absicht heimlich gewartet hatten, ein unvermuthetes Vergnügen damit zu erwecken: sie sannen neue Tänze und Verschönerungen für die alten aus, um sie bey dem nächsten Feste aufzuführen, und die Erwartung des Vergnügens machte ihre Hände und Füße thätig. Während daß in der Entfernung etlicher Meilen von ihnen, längst der ganzen Küste von Nordamerika, Sklaven von ihren Herren, und die Herren von ihren Sklaven geplagt, und beide ein Paar feindliche Parteien ausmachten, die sich wechselseitig quälten und wechselseitig dafür rächten, saß hier Herr und Knecht, in Eins vereinigt, beysammen und machte sich das Leben angenehm: niemand ließ die Subordination fühlen, und niemand fühlte sie, und jeder, der sich eines solchen Glücks unwerth machte, wurde aus der Gesellschaft verbannt und an einen Herrn verkauft, der ihn den Unterschied zwischen hartem und leichtem Joche lehrte. Auf diese Weise, ohne politisches Regiment, beynahe in dem Stande der Gleichheit, wie er nie war und Philosophen ihn träumten, in der bloßen Familienunterwürfigkeit der Natur, entgieng diese kleine Gesellschaft allen den beschwerlichen Folgen zweyer Dinge, die dem Menschengeschlecht die größten Wohlthaten erwiesen und den größten Schaden zugefügt haben – der Geselligkeit und des Eigenthums.[447]

BELPHEGORN zerstreute diese ruhige unangefochtene Lebensart allmählich die düstern Wolken, die seine Widerwärtigkeiten um seine Seele versammelt hatten; er sahe die Dinge der Welt weniger schwarz, weil der Zirkel um ihn erheiterter war, und weil er sich gewöhnte, mehr das Gegenwärtige zu empfinden als darüber nachzudenken, seinen Blick mehr in sich und den kleinen Umkreis seiner kleinen Bedürfnisse und Freuden zurückzuziehn und überhaupt den Horizont seines Nachdenkens mehr und mehr zu verengern, mehr sinnlich als geistig, mehr empfindendes und handelndes als denkendes Thier seyn zu wollen. Zu gleicher Zeit nahm er unvermerkt die gutherzige Philosophie seines Freundes, Medardus an, sich zu überreden, daß alles gut sey, und daß vielleicht die größten Unordnungen der moralischen und körperlichen Natur zu einem unbekannten Guten abzwecken, nichts der Natur zur Last zu legen, zu glauben, daß sie ganz Nordamerika Jahrhunderte hindurch sich bekriegen, fressen, schinden lassen kann – Denn das konnte er sich nicht ausreden, daß die Natur die erste Urheberinn dieser hergebrachten Grausamkeiten sey – daß sie die Mexikaner Jahrhunderte durch viele tausend Menschen schlachten und überhaupt den Menschen zum grausamsten Raubthiere schaffen konnte, um ihn langsam nach den schrecklichsten Unthaten zum listigen feinen Fuchse oder zum friedsamen Schafe werden zu lassen – zu glauben, daß alles dieses die Natur wollen mußte, da sie der menschlichen Gattung[448] die Disposition dazu gab, ohne daß sie dabey etwas anders als die heilsamsten besten Endzwecke vor Augen hatte, und daß sie die Menschen recht schlimm werden ließ, um sie leidlich gut werden zu lassen, ohne daß sie deswegen Tadel verdiene. So unverträglich auch jene gesammelten Erfahrungen mit dieser medardischen Philosophie scheinen, so stiftete doch die Liebe zur Ruhe nebst der Abwesenheit aller Widerwärtigkeiten, wie auch die Senkung seiner Imagination, die vollkommenste Vereinigung zwischen ihnen, die nur zuweilen eine düstre Stunde unterbrach, aber nicht trennte.

FROMAL war stets ein kältrer Räsonneur gewesen, als Belphegor, und diente auch itzt noch dazu, Wasser in die Flamme zu giessen, wenn sie zuweilen bey diesem aufloderte. Er gestund frey, daß er sich nicht in die glückliche Illusion versetzen kann, welche seinem Freund Medardus so vielfältig das Leben erleichtert habe und noch erleichtere, daß ihm aber sein Glaube an Notwendigkeit und unvermeidliches Schicksal die nämlichen wohlthätigen Dienste erzeige, und daß auch überhaupt seine Meynung hierüber von der medardischen nur im Namen und der Vorstellungsart unterschieden sey. Zugleich verbat er aber, mit Einwilligung seiner übrigen Freunde, anders als mit Kälte über diesen Punkt zu sprechen, um sich nicht durch warme Imagination und durch ein warmes Herz in eine neue Tiefe von Zweifeln und Beunruhigungen stürzen zu lassen.[449]

MEDARDUS erhielt sich in seiner Heiterkeit und Zufriedenheit bis an sein Ende, und da er im Begriffe war zu sterben, war noch sein letztes Wort: wer weiß, wozu mirs gut ist? – Er hatte vor seinem Tode noch zwo für ihn sehr erfreuliche Begebenheiten erlebt. Der Kaufmann, der Fromals und Medardus Gelder unter sich hatte und ihnen von Zeit zu Zeit Provisionen zuschickte, die sie in ihrer kleinen Kolonie nicht besaßen, sendete ihnen solche einstmals unter der Aufsicht eines jungen Menschen, der sein Faktor war und andre Materialien, die in der Kolonie erbaut wurden, mitnehmen sollte. Medardus, ein Freund vom Gespräche, ließ sich mit ihm ein, erzählte ihm, wie gewöhnlich, sein Leben und ließ sich das seinige erzählen; und aus deutlichen Beweisen erhellte es sonnenklar, daß der Fremde des Herrn Medardus – leiblicher Sohn war, der ihn berichtete, daß seine Geschwister außer einem alle verblichen, seine übriggebliebne Schwester verheirathet und er hieher geworfen worden sey. – Alle gestorben? sprach Medardus. Siehst Du, mein Sohn? wer weiß, wozu das gut ist? – Er sollte mit der Zeit in die Kolonien aufgenommen werden, allein ehe es geschah, starb sein Vater und die folgenden Unruhen hintertrieben es.

Die zwote angenehme Begebenheit war das Wiederfinden seiner geliebten ZANINNY, die als Sklavinn nach Amerika verkauft, unter einem harten Herrn gelitten hatte, ihm entlaufen war und sich in die Kolonie unsrer Europäer rettete, wo sie ihren geliebten Medardus an[450] der Narbe erkannte, die ihm eine von den gleißenden Damen im Lande der Meerkatzen mit dem Nagel ihres Zeigefingers geschnitten hatte; und da der Schnitt in einer eignen Figur gemacht war, die sie in diesem Lande oft gesehen hatte, so brachte es ihr das Andenken ihrer alten Liebe zurück: doch umsonst! Denn sie war so höflich geworden, oder der Geschmack ihres Liebhabers hatte sich so geändert, daß er ihr einen Platz in seiner Wohnung aus Wohlthätigkeit, aber nicht aus Liebe anwieß.

Kaum drang zu Anfange des gegenwärtigen Krieges das Gerücht bis in die Kolonie, daß jeder Kolonist für die Freyheit wider ein unterdrückendes Vaterland fechten müsse, als Belphegorn sein Enthusiasmus von neuem ergriff; er riß sich, ungeachtet aller Vorstellungen seines Freundes Fromals, der ihn mit Gewalt und mit List zurückhalten wollte, aus seinen Armen und ward unter einem andern Namen einer von den Vorfechtern der kolonistischen Armee. – ER war es, der einige der kernhaftesten Reden in einigen Versammlungen hielt: ER erlangte etliche ansehnliche Vortheile über die Engländer; der Auszug des Krieges wird lehren, wer von beyden Theilen Recht behalten, und ob Belphegor als Patriot und Menschenfreund allgemein bekannt werden, oder im Streite für die Freyheit ungerühmt umkommen soll.

Quelle:
Johann Karl Wezel: Belphegor, Frankfurt a.M. 1979.
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