Fünftes Kapitel

[611] Die längstgewünschte Messe erschien, und die beiden Kaper rückten mit einer kleinen Barschaft, die sie aus den erbeuteten Hühnern, Gänsen, Kühen und Eiern gelöst hatten, wieder in die Stadt. Arnold, so freigebig und edel er im Glücke war, handelte in der Not mit der grausamsten Tyrannei: um sich emporzuhelfen, schonte er weder Vater, Mutter noch Freund. Gleich zu Anfange der Messe wandte er sich an einen fremden Kaufmann von seiner vertrautesten Bekanntschaft, der von seinem Unglücke noch nichts wußte, und schwatzte ihm zehn Louisdor ab, die er in drei Tagen wieder zu bezahlen versprach. Herrmann bekam zwei davon, um sein Glück auf den Kaffeehäusern zu versuchen, und Arnold ging aus, einen einfältigen, reichen Fremden oder gutherzigen Jüngling aufzusuchen, um ihn reinzuplündern. Herrmann, der sein Versprechen gegen Lisetten noch nicht mit einem Groschen hatte erfüllen können, flog sogleich zu ihr und überbrachte ihr die Hälfte seiner zehn Taler: er fand sie noch bei ihrer Schwester, die teils aus Kummer, daß sie Arnold ganz verlassen hatte, teils aus Furcht vor künftiger Schande krank geworden war; denn sie hatte gegründete Ursachen, traurige Folgen von Arnolds Vertraulichkeit zu erwarten. Lisette konnte nicht genug verdienen, um sich und ihre bettlägerige Schwester zu erhalten: ein Teil ihrer Kleider war schon versetzt, und an den übrigen sollte nächstens[611] die Reihe kommen. In einer so kläglichen Lage war Herrmann mit seinem Louisdor ein Engel, der sie vom Himmel speiste. Lisette weinte, bleich von vielem Härmen, und ihre Schwester wickelte sich schluchzend in die Betten, um ihr entstelltes, schamvolles Gesicht zu verbergen: das Bild des Schmerzes und Mangels, das er erblickte, wohin er sich kehrte, und die Klagen der beiden Mädchen machte so tiefen Eindruck auf Herrmann, daß er auch seinen zweiten Louisdor hingab. Er blieb die übrige Zeit des Tages bei ihnen und ging gegen Abend auf Arnolds Stube mit verstellter Wut und Trostlosigkeit, als wenn er sein Geld auf dem Kaffeehause verloren hätte. Sein Freund zog ihn mit seinem vorgegebenen Verluste auf und versicherte ihm, daß er heute abend einen bessern Fang tun werde. »Den Vogel hab ich im Garne«, sprach er, »und diesen Abend wollen wir ihn rupfen. Einen Mann, so fidel wie ein halbjähriger Student, so treuherzig wie ein Kind und ein herzlicher Liebhaber vom Spiel, hab ich erwischt. Er ist in Geschäften hier und hat einige tausend Taler bei sich, die er morgen auszahlen soll: sobald wir sie ihm abgenommen haben, müssen wir fort; denn das Geld gehört nicht ihm, und wenn Untersuchung angestellt würde, könnten wir übel dabei wegkommen. Ich habe ihn zum Abendessen gebeten: Essen, Wein und Gesellschaft ist schon bestellt: unser Hahn, dem wir die Federn ausziehen wollen, trinkt gern ein Gläschen, und damit soll er reichlich bedient werden. Wenn er dessen genug hat, dann soll die Lustjagd angehn; und ich setze meinen Kopf zum Unterpfande, daß ihm nicht ein roter Pfennig von seinen dreitausend Talern übrigbleiben soll. Hier sind meine Würfel mit lauter Sechsen und hier mein allzeit fertiges Aß zum Vingt et un; denn das ist sein liebstes Spiel, hat er mir gesagt. Freue dich, Brüderchen! Morgen wollen wir nicht mehr solche Halunken sein wie heute.«

Herrmann konnte sich nicht freuen, ob ihm gleich reichlicher Anteil an der Beute versprochen wurde: er ging ängstlich wie ein Missetäter herum, oder als wenn er zu einem Opfer eingeladen wäre: er konnte es weder sich noch seinem[612] Freunde verhehlen, daß dies förmliche Räuberei sei, wurde für sein gutherziges Moralisieren ausgelacht und mußte schweigen.

Der eingeladne Fremde stellte sich früher als alle anderen ein, weil er sich einmal einen recht lustigen Abend machen wollte: aber wie groß war Herrmanns Entsetzen, als er an der Stimme und Figur bei seinem Hereintritt den Doktor Nikasius erkannte: er wußte nicht, wie er sich vor ihm verbergen sollte, und begab sich deswegen unter einem Vorwande gleich nach dem ersten Gruße hinweg. Sich erkennen zu geben war demütigend, weil er glaubte, daß ihm jedermann seine schlechten Umstände und schlechte Lebensart an der Stirn lesen könnte: gleichwohl seinen ehemaligen Retter, seinen wohltätigen Freund und Beschützer der schrecklichsten Gefahr nahe zu sehn und ihn mit keinem Winke zu warnen, das war eine Unmenschlichkeit, wofür sein Herz schauderte: warnte er ihn, so zerstörte er Arnolds Plan und lud seine unversöhnlichste Feindschaft auf sich. Er ging die Straße einigemal nachdenkend auf und ab, so kalt es war, und beratschlagte: bald wollte er dem Doktor in einem Billett, als ein Unbekannter, die Gefahr zu wissen tun, bald Arnolden inständigst bitten, sich ein andres Opfer zu wählen: beides war mißlich, und er schlug deswegen einen Ausweg ein. Arnold hatte des Doktors Bekanntschaft bei Tische in einem Gasthofe gemacht: es war folglich zu vermuten, daß er auch dort wohnen oder seine Wohnung dort zu erfragen sein werde. Er wanderte hin: glücklich war es des Doktors Quartier: man wies ihn zu dem Bedienten, der ihn auf den ersten Blick erkannte und etwas verdrießlich bewillkommte. Herrmann bat ihn, sogleich in das Haus, das er ihm anzeigte, zu gehen, nach Herrn Arnold zu fragen und dem Doktor zu melden, daß ihn jemand, der Geld an ihn auszuzahlen habe und noch diesen Abend wegreisen wolle, notwendig auf eine Viertelstunde augenblicklich sprechen müßte: dem Bedienten schärfte er auf das Gewissen ein, seinen Namen nicht eher zu verraten, als bis er mit seinem Herrn auf der Straße sei. Der Bediente ging, und Herrmann wartete am Tore des[613] Gasthofes so freudig, so leicht ums Herze, als wenn ihm ein großer Stein abgewälzt wäre.

Arnold ließ den Doktor mit unendlicher Schwierigkeit von sich, und nur wegen der Hoffnung, seinen Gewinst durch die neue Auszahlung vielleicht zu vergrößern, willigte er in sein Weggehn. Nikasius langte voll Erwartung und keuchend an: der Bediente hatte ihm auch unterwegs Herrmanns Namen nicht entdeckt, und er führte ihn unerkannt auf seine Stube. »Dergestalt und allermaßen«, rief der Doktor, als er ihm ins Gesicht blickte, »wie ist mir denn? Bin ich denn recht?« – Herrmann unterbrach sogleich seine Verwunderung, versicherte ihm, daß er recht sei, und erzählte ihm das Komplott. Nun ging erst Verwundrung und Erstaunen bei dem Doktor an: er lief vor Angst hurtig nach seiner Schatulle, um zu sehn, ob er seine dreitausend Taler nicht schon verspielt habe, und wußte nicht, wie er für die Warnung genug danken sollte, als er sie noch fand. Er wollte aus Erkenntlichkeit sogleich Wein und Kuchen holen lassen, allein Herrmann verbat es, versprach, ihn den andern Tag zu besuchen, und trennte sich von ihm, um keinen Verdacht bei Arnolden zu erwecken. Der Doktor wollte umständlich belehrt sein, woher er das alles wüßte, wie er in solche Bekanntschaft gekommen wäre, und tat tausend andre Fragen, die Herrmann nicht zu beantworten Lust hatte.

Er kam zur Gesellschaft zurück, die mit Schmerzen auf des Doktors Rückkunft wartete, ließ sich die Ursache seiner Abwesenheit wie eine ganz fremde Sache erzählen und wandte sehr heftige Zahnschmerzen als einen Bewegungsgrund vor, warum er sich vorhin wegbegeben habe und itzo auf seine Stube verfügen werde, ohne Anteil an der Lustbarkeit zu nehmen. Der Anblick seines ehemaligen Versorgers, das Andenken an seine eigne Gemütsbeschaffenheit bei seinem Aufenthalte in des Doktors Hause und die Vergleichung seiner damaligen Umstände mit den gegenwärtigen hatten ihn in eine Stimmung des Geistes versetzt, daß er das Gewühl der Freude unmöglich zu ertragen vermochte. Er schloß sich ein und seine traurigen, nagenden Gedanken mit sich.[614]

Arnold verlor indessen alle Geduld über des Doktors langes Außenbleiben, schöpfte Argwohn und suchte ihn in eigner Person auf. Welch Entsetzen! die Tür war verschlossen, Nikasius ausgegangen und die Beute verloren: Arnold durchstrich in der äußersten Wut alle Örter des Vergnügens und traf ihn nirgends, denn er besuchte einen alten Magister, seinen ehemaligen Universitätsfreund.

Mit den Zähnen hätte Arnold sich, den Doktor und die ganze Gesellschaft zerreißen mögen: Verdacht war sichtbarlich da; aber auf wen? – Es war nichts zu tun, als daß er das bestellte Abendessen mit den beiden übrigen Gästen genoß und sich im Namen des Doktors betrank. Herrmann, der mit ihm seit dem großen Verluste in einem Hause wohnte, wurde von ihm zur Gesellschaft zurückgeholt: Wein und Spiel zerstreuten die quälenden Gedanken, die des Doktors Gegenwart in ihm erregt hatte, und trieben ihn wieder ins vorige Gleis zurück. Er bekam zwar noch einige Tage hinterdrein einige Anfälle von Vernunft: er wollte den Doktor aufsuchen und ihn bitten, daß er ihn aus seiner Lebensart herausrisse; allein teils schämte er sich, in einem so nachteiligen Lichte vor ihm zu erscheinen, teils war seine Leidenschaft für das Spiel ein verzärteltes Kind, dem er unmöglich wehe tun konnte: er wünschte, sie zu vertreiben, und wagte es nicht.

Arnold hatte in jener Nacht der Schwelgerei von den beiden halbtrunknen Gästen über hundert Taler gewonnen und eilte nunmehr mit seinem Busenfreunde Herrmann auf neue und größere Beute aus. Auf ihren Wanderungen erblickten sie einen kleinen, blaurockichten Mann, der mit vier schönen, kastanienbraunen Pferden vormittags und nachmittags um das Tor fuhr. – »Was wettest du?« fing Arnold an, »über morgen soll der Postzug unser sein.« – Herrmann lachte über seinen Einfall und nahm ihn für Scherz auf. Sie erkundigten sich nach diesem blaurockichten Manne und erfuhren, daß es ein Pferdehändler war, der diesen Postzug einer Herrschaft auf dem Lande überbringen wollte und zu seinem Vergnügen in der Messe mit ihm paradierte. Sie paßten ihm auf, als er vor seinem Quartier hielt, und Arnold fragte ihn,[615] wie teuer er die Pferde verkaufen wollte. – »Nit teuer und nit wohlfeil, mein Herr«, antwortete der Pferdehändler, »sie sind bestellt.« – Arnold und Herrmann lobten die Gäule um die Wette, daß den kleinen Pferdehändler die Eitelkeit nicht wenig übernahm, und fragten, ob er ihnen nicht geradeso einen Postzug schaffen könnte, und zwar so bald als möglich. Der Roßtäuscher, dessen Eigennutz ein Paar verblendete Liebhaber vor sich zu haben glaubte, lenkte sogleich wieder ein und erbot sich, den beiden Herren aus Gefälligkeit, weil sie es wären, auch diesen zu lassen, wenn sie einen guten Preis machten. Arnold setzte mit verstellter Begierde vierhundert Taler darauf: der Roßtäuscher glaubte die Leidenschaft der beiden Leute besser nützen zu müssen und schüttelte mit dem Kopfe, als wenn das ein Mißgebot wäre. – »Aber so sagen Sie doch geradeheraus«, sprach Arnold heftig, »was Sie haben wollen! Es wird ja noch zu bezahlen sein.« – »Mit einem Wort, achthundert Reichstaler in Gold!« war des Mannes Erklärung. Arnold und Herrmann fanden die Foderung etwas hoch und meinten, daß vielleicht noch fünfzig oder hundert Taler abgehen würden: der Mann versicherte das Gegenteil, und die beiden vorgeblichen Liebhaber baten sich indessen die Erlaubnis aus, des Nachmittags mit ihm und seinen Pferden auf ein Dorf zu fahren, um genauere Bekanntschaft mit dem Postzuge zu machen. – »Wenn er gut geht«, setzte Arnold hinzu, »so soll's auf fünzig, hundert Taler nicht ankommen.« – Nach einer so edelmütigen Erklärung willigte der Pferdehändler mit einer tiefen Verbeugung in die Partie und sprach nunmehr nicht anders als den Hut in der Hand, ob er ihn gleich vorher nicht mit einer Fingerspitze vom Kopfe bewegt hatte.

Sie luden den Mann des Mittags zu Tische ein, und auch diese Einladung nahm er mit einer so tiefen Verbeugung an, daß er keuchte; denn weil er ziemlich dick war, wurde ihm die Höflichkeit ein wenig sauer. Bei Tische fand der Blaurock den Wein so köstlich, daß er wie ein trockner Schwamm ein Glas nach dem andern in sich zog; kaum war ihm eingeschenkt, so wischte er die dicken Finger an der Serviette ab,[616] packte das Glas an – »Sie erlauben Dero hohes Wohlsein« –, schnapp! war es hinunter.

Er ließ sich ›Dero hohes Wohlsein‹ so angelegen sein, daß er taumelte, als sie in den Wagen stiegen. Arnold und Herrmann fanden die Pferde so vortrefflich, daß der Roßtäuscher seine achthundert Taler schon in der Tasche zu haben glaubte: seine Höflichkeit stieg so übermäßig hoch, daß er, trotz der Kälte, nicht anders als mit bloßem Kopfe fahren wollte. Kaum war man an Ort und Stelle, als schon von neuem aufgetragen wurde – Wein, Likör, Kuchen, alles im Überflusse! Der Pferdehändler lobte aus Erkenntlichkeit, daß man seine Gäule so vortrefflich fand, den Likör aus allen Kräften, setzte sich an den Tisch und fütterte und tränkte sich mit solcher Behaglichkeit, daß ihm die kleinen Katzenaugen wie ein paar Feuerfünkchen aus den glühenden aufgedunsenen Backen hervorleuchteten.

Arnold und Herrmann stritten miteinander, wer von ihnen den Postzug kaufen sollte, und man wählte Würfel zu Schiedsrichtern: man ließ Würfel bringen, und Arnold gewann den Vorkauf. »Sie würfeln wie die Hundsfötter«, fing der betrunkne Roßtäuscher an, »ich werfe auf jeden Wurf einen Pasch.« – Arnold schob ihm seine falschen Würfel unter, und der Narr triumphierte laut, als seine Prahlerei ein paar Würfe hintereinander wahr wurde. Er bildete sich ein – wenigstens gab er in ganzem Ernste so vor –, daß ihm dies niemals fehlginge, und foderte Arnolden mit einem Dukaten heraus: das Spiel hub an, der Roßtäuscher gewann drei oder vier Dukaten; aber plötzlich wandte sich das Glück, weil es Arnold regierte: alles Geld, was der Pferdehändler in seiner Tasche hatte, war ihm in etlichen Minuten abgenommen. Der Mann ergrimmte, schnallte eine ungeheure Geldkatze los, die er um den Leib trug, legte sie mit Arnolds Beihülfe auf den Tisch und foderte die beiden Hundsfötter heraus, indem er auf seinen ledernen Geldsack klopfte. Der Einsatz wurde von Wurf zu Wurf gesteigert, die strotzende Geldkatze von Wurf zu Wurf magrer: der Blaurock schwitzte, keuchte und entschädigte sich für jeden großen Verlust mit[617] einem Glase Likörs. Das viele Trinken machte ihn so hitzig und zugleich so unbesonnen, daß er in weniger als einer Stunde alles Geld, den Postzug, Chaise und Knecht verspielte. Arnold machte gleich Anstalt, daß er zu Bette gebracht wurde, um den Folgen des Likörs vorzubeugen, und hielt mit den gewonnenen Pferden seinen Einzug vor dem Kaffeehause, wo er gewöhnlich spielte: alle seine Freunde wurden mit dem Postzuge dahingeholt und der Abend in Schmausen, Freude und Wonne zugebracht: dem Pferdehändler schickte er noch denselben Tag seinen Postzug zum Geschenke zurück.

Herrmann bekam einen ansehnlichen Teil von der Beute: das Glück erklärte sich wieder zu seinem Vorteil, und der ganze übrige Winter war, kleine Abwechslungen abgerechnet, für beide sehr ergiebig: sosehr auch Arnold verschwendete, so fehlte es doch nie an Geld und Kredit. Er machte eine Reise zum Karneval an einen Hof und kam bereichert zurück. In seiner Abwesenheit gelangte Herrmann so sehr zum Nachdenken, daß er ernstliche Anstalten machte, seiner Lebensart zu entsagen, Ulriken aufzusuchen und sein Erworbnes mit ihr zu teilen. Er überlegte täglich, wo er sie finden oder ihren Aufenthalt erfahren sollte, blieb mit seiner Überlegung von Tag zu Tag auf dem nämlichen Flecke und spielte rüstig fort, mit Glück, Klugheit und Ökonomie. Itzt besann er sich, daß ihm Vignali seinen Brief, den er vor vielen Monaten an sie schrieb, nicht beantwortet habe, und schrieb zum zweiten Male an sie: er bekam keine Antwort: Ulrike blieb verloren.

Plötzlich wurde seine Ruhe durch eine Begebenheit unterbrochen, die ihm von schlimmer Vorbedeutung sein mußte, wenn er sie recht überdacht hätte. Er kam in Verhaft, und zwar, wie es sich auswies, auf Verlangen des Grafen Ohlau: er spielte mit dem Schließer der Gefangenstube um Stecknadeln, weil dieser nichts Höheres daran wenden wollte, wurde verhört, und da man nicht das mindeste Strafbare auf ihn bringen konnte, wieder auf freien Fuß gesetzt. Seine Freude, wieder ungehindert spielen zu können, erstickte seinen Zorn gegen den Grafen: er lachte seiner öffentlich und[618] Rächte sich mit Spott. Das gefährlichste bei diesem kurzen, vorübergehenden Sturme war, daß ihn eigentlich Schwinger veranlaßte, dem Nikasius von Dresden aus gemeldet hatte, daß sein Freund sich in schlimmer Gesellschaft und wüstem Leben befinde. Der äußerst gutmütige, nachsichtige Mann schloß daraus auf die Ursache, warum ihm Herrmann auf seinen letzten, verzeihungsvollen Brief nach Leipzig nicht geantwortet haben möchte; und weil er einmal auf einen bösen Argwohn wider ihn gebracht war, vermutete er, daß seine ganze Reue wegen seines schändlichen Briefs aus Berlin nur erdichtet gewesen sei, um ihm ein paar Louisdor abzulocken. Der Gedanke, sich durch einen Menschen, den er so zärtlich liebte, dem erso viele Wohltaten und so viele Nachsicht erwiesen hatte, mit der schändlichsten Undankbarkeit hintergangen zu sehn und mit falscher Reue von ihm betrogen worden zu sein, brachte seine gute Seele so gewaltig auf, daß er ernstlich beschloß, an seiner Bestrafung und durch sie an seiner Besserung zu arbeiten, weder Mühe noch Antreiben bei dem Grafen zu sparen und seinen Entschluß durch keine Bitten, Reue und Demütigungen erschüttern zu lassen. Herrmanns Arrest war die erste Wirkung dieses Entschlusses.[619]

Quelle:
Johann Karl Wezel: Hermann und Ulrike. Leipzig 1980, S. 611-620,622.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Flucht in die Finsternis

Flucht in die Finsternis

Robert ist krank und hält seinen gesunden Bruder für wahnsinnig. Die tragische Geschichte um Geisteskrankheit und Tod entstand 1917 unter dem Titel »Wahn« und trägt autobiografische Züge, die das schwierige Verhältnis Schnitzlers zu seinem Bruder Julius reflektieren. »Einer von uns beiden mußte ins Dunkel.«

74 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon