Vierter Auftritt.

[12] Der Bischof, Grandison.


DER BISCHOF. Willkommen in Italien und in Bologna, theuerster Grandison! Wie grossmüthig, wie freundschaftlich ist es von Ihnen, dass Sie unsere Bitte mit einer so, verbindlichen Eilfertigkeit erfüllt haben! – Glauben Sie indessen, dass der Chevalier Grandison der einzige ist, gegen den wir fähig waren, einen solchen Schritt zu thun.

GRANDISON. Die Freundschaft und das Zutrauen, gnädiger Herr, womit Ihre erlauchte Familie mich beehrt, berechtigt sie von ihrem Grandison alles zu erwarten, was ihn derselben würdig zeigen kann.

DER BISCHOF. Wir sind Ihnen alle unendlich verbunden, Herr Grandison! Sie sind der Erretter meines Bruders gewesen, und jetzt entrissen Sie Sich Ihrem Vaterlande, Ihren Freunden, Ihrer Ruhe, und setzen bey dieser Jahrszeit selbst Ihr Leben in Gefahr, um Ihre Wohlthat vollständig zu machen. Wie werden wir jemahls im Stande seyn, Ihnen eine Dankbarkeit zu zeigen, die solcher Dienste würdig sey? – Dieser Gedanke, Herr Grandison, macht uns unglücklicher, als Sie glauben können.[13]

GRANDISON. Sie demüthigen mich, gnädiger Herr, wenn Sie von Verbindlichkeiten reden. Wenn ja das, was ich gethan habe, eine andere Belohnung verdiente; als das Vergnügen, womit das Herz sich selbst belohnt, so ist es bloss in der Macht des Himmels, sie zu geben. Wenn unser Jeronymo uns wieder geschenkt wird, wenn die Gräfin Klementina wieder die Freude ihrer Verwandten ist, und ich das Vergnügen habe, sie alle nach ihrem Herzen und nach meinem Wunsche glücklich zu sehen, so bin ich auf die vollständigste Art belohnt. Aber sagen Sie mir, gnädiger Herr, wie lebt der Baron von Porretta? Wie befindet sich die junge Gräfin?

DER BISCHOF. Jeronymo – Ach, der arme Jeronymo! Ehe Sie zu uns kamen, war alles, was man sagen konnte, dass er noch athmete, um den langsamen Tod desto länger zu fühlen, der mit dem Überrest eines schmachtenden Lebens kämpft. Und Klementina – Ach, Grandison! sie ist seit Ihrer Abwesenheit höchst elend gewesen. Sie haben von den unglücklichen Massregeln gehört, wozu der Rath des Generals und der Gräfin Sforza die Familie getrieben. Man wollte die Strenge gegen ein junges Geschöpf versuchen, das an die zärtlichste Begegnung gewöhnt, das lauter Sanftmuth und Güte ist. Man lieferte sie der Gräfin und ihrer Tochter Laurana aus, die von der ersten Kindheit an ihre Gespielin gewesen war, und die schwärzesten[14] Absichten unter der Larve der feurigsten Zärtlichkeit verbarg. Ach! wir wussten nicht, dass sie unser unglückliches Kind die ganze Wuth einer unversöhnlichen Nebenbuhlerin empfinden lassen würde. Laurana liebt den Grafen von Belvedere, von dem sie verabscheuet wird. Sie sah unsere Klementina als das einzige Hinderniss ihrer Leidenschaft an, und übte die Strenge, die man ihr erlaubt hatte, mit einer Grausamkeit aus, unter welcher die arme Unglückliche erlag. Der zehente Theil dessen, was sie unter den Händen dieses unmenschlichen Geschöpfs gelitten hat, wäre genug, eine Märtyrerin zu machen! – O Grandison! ich fürchte – ich fürchte, ihre Vernunft ist unwiederbringlich verloren. Seit vier Wochen spricht sie kein Wort. Sie kennt niemand. Sie scheint weder zu sehen noch zu hören. Die beweglichsten Bitten, die Thränen, das fussfällige Flehen ihrer trostlosen Mutter hat sie nicht bewegen können, das entsetzliche Stillschweigen zu unterbrechen. Selbst bey Ihrem Nahmen, Herr Grandison, ist sie unempfindlich geblieben.

GRANDISON mit der äussersten Gewalt über sich selbst, ohne sie ganz verbergen zu können. Ich bin stärker gerührt, als ich es ausdrücken kann – Lassen Sie uns hoffen, gnädiger Herr! Ich habe die Gutachten der geschicktesten Ärzte von England über, den Zustand unserer theuern Kranken bey mir, und ich setze ein grosses Vertrauen[15] in die Erfahrenheit des Herrn Lowthers, der mich zu Ihnen begleitet hat. Es ist Hoffnung da, dass Jeronymo völlig wieder hergestellt werde. Und die Gräfin Klementina –

BISCHOF. Ihre Gegenwart, Herr Grandison – wenn diese nicht die Wirkung thut, die wir hofften, so ist Klementina und mit ihr alle Freude des Lebens für uns verloren. Aber ich sehe Kamillen kommen – Sie scheint ausser sich zu seyn.


Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Supplemente Band 5, Leipzig 1798, S. 12-16.
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Klementina von Porretta
C. M. Wielands sämtliche Werke: Supplement, Band V. Klementina von Porretta; Pandora; Die Bunkliade; Auszüge aus Jakob Forsters Reise um die Welt