Achter Auftritt.

[42] Die Markgräfin, Grandison, Jeronymo, der Bischof, Klementina, Kamilla.


GRANDISON steht nach, einem kleinen Stillschweigen voller Unruhe auf, und sagt vor sich. Und wie werde ich ihn aushalten können!


Er setzt sich wieder; indem Klementina herein tritt, steht er wieder auf, als ob er auf sie zugehen wollte, tritt aber sogleich wieder zurück, und scheint nicht zu wissen, was er thut.


JERONYMO leise. Setzen Sie Sich, liebster Grandison! Wie erfreut bin ich, Sie so gerührt zu sehen!

KLEMENTINA nähert sich an Kamillens Arm gelehnt, mit kleinen Schritten und auf den Boden gehefteten Blicken. In der Mitte des Zimmers bleibt sie einige Augenblicke stehen, ohne darauf Acht zu haben, dass jemand gegenwärtig sey. Darauf macht sie eine Bewegung, als ob sie wieder zurück gehen wolle; aber Kamilla zeigt ihr einen Stuhl zwischen ihrer Mutter und dem Bischof, und spricht.

KAMILLA. Hier, gnädige Gräfin, hier!

KLEMENTINA setzt sich, ohne die Augen aufzuheben. Alle Personen, ausser ihr, drücken ihre Betrübniss auf verschiedene Art aus.[43]

DIE MARKGRÄFIN nimmt sie bey der Hand, und sagt. Schaue doch auf, meine Liebe – Siehe deinen Jeronymo – Er weint.

KLEMENTINA bleibt noch immer in der gleichen Stellung, ohne sich zu bewegen.

DER BISCHOF. Liebste Schwester, schlagen Sie doch Ihre Augen auf. Sehen Sie uns an! Verschmähen Sie uns nicht! Sehen Sie Ihre Mutter und Ihren Jeronymo in Thränen! – Lieben Sie Ihren Jeronymo nicht mehr?

KLEMENTINA schlägt die Augen auf, und erkennt zuerst ihre Mutter. Sie umfasst mit ihren beiden Händen derselben Hand, und beugt ihr Haupt auf selbige; hierauf dreht sie ihren Blick langsam gegen Jeronymo, und erblickt Grandison, welcher höchst gerührt ist. Sie stutzt über diesen Anblick; sie schaut zum zweyten Mahl nach ihm, als ob sie ihren Augen nicht traue, und stutzt wieder; dann lässt sie plötzlich ihrer Mutter Hand los, steht auf, schlägt ihre Arme um Kamillen, und ruft.O Kamilla! –


In diesem Augenblick steht Grandison in einer heftigen Bewegung auf, als ob er auf sie zugehen wolle; er wird aber von Jeronymo zurück gehalten.


JERONYMO. Bleiben Sie auf Ihrem Stuhle, liebster Grandison! Lassen Sie uns die Wirkungen beobachten, die ein so unverhoffter Anblick auf das Herz des lieben Kindes macht.[44]

KLEMENTINA sieht indessen wieder unverwandt nach Grandison, und ruft endlich mit aufgehobnen Händen. O Kamilla, treue, gute Kamilla! – Nun endlich haben sie mir die Wahrheit gesagt! – Er ist es! er ist es!


Nachdem sie diess gesprochen, lehnt sie ihr Gesicht an Kamillens Arm, ihre Thränen zu verbergen.


DIE MARKGRÄFIN steht auf, und nimmt Klementinens Hand. Siehe hier, mein Kind, den Chevalier, den Freund deines Bruders und den unsrigen! Willst du ihn nicht in Bologna willkommen heissen?

GRANDISON nähert sich ihr, nimmt knieend eine von ihren Händen, die wie leblos ausgestreckt hängt, und drückt sie an seine Lippen. Verzeihen Sie mir, gnädige Gräfin Klementina –

KLEMENTINA scheint, indem Grandison sich ihr nähert, vor allzu heftiger Bewegung beynahe ohnmächtig zu werden, und lehnt sich an Kamilla zurück; sie erhohlt sich aber wieder, und blickt Grandison mit Augen voll Liebe und Zärtlichkeit an, ohne etwas andres sagen zu können, als. Ach, Chevalier!


Hierauf geht sie langsam nach der Thüre, dreht aber im Hinausgehen den Kopf um, um so lange, als ohne still zu stehen möglich ist, nach Grandison zu sehen. Die Markgräfin und Kamilla folgen ihr.


Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Supplemente Band 5, Leipzig 1798, S. 42-45.
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Klementina von Porretta
C. M. Wielands sämtliche Werke: Supplement, Band V. Klementina von Porretta; Pandora; Die Bunkliade; Auszüge aus Jakob Forsters Reise um die Welt