Siebentes Capitel

Eine oder zwo Digressionen

[680] Wir wünschen uns Leserinnen zu haben; (denn diese Geschichte, wenn sie auch weniger wahr wäre, als sie ist, gehört nicht unter die gefährlichen Romanen, von welchen der Verfasser des gefährlichsten und lehrreichsten Romans in der Welt die Jungfrauen zurückschreckt) und wir sehen es also nicht gerne, daß einige unter ihnen, welche noch Geduld genug gehabt, dieses achte Buch bis zum Schluß zu durchblättern – – in der Meinung, daß nun nichts interessantes mehr zu erwarten sei, nachdem Agathon durch einen Streich von der verhaßtesten Art, durch eine heimliche Flucht der Liebe den Dienst aufgesagt habe – den zweiten Teil seiner Geschichte ganz kaltsinnig aus ihren schönen Händen entschlüpfen lassen, und – – vielleicht den Sopha, oder die allerliebste kleine Puppe des Hrn. Bibiena ergreifen, um die Vapeurs zu zerstreuen, die ihnen die Untreue und die Betrachtungen unsers Helden verursachet haben.

Woher es wohl kommen mag, meine schönen Damen, daß die meisten unter Ihnen geneigter sind, uns alle Torheiten, welche die Liebe nur immer begehen machen kann, zu verzeihen, als die Wiederherstellung in den natürlichen Stand unsrer gesunden Vernunft? Gestehen Sie, daß wir Ihnen desto lieber sind, je besser wir durch die Schwachheiten, wozu Sie uns bringen können, die Obermacht Ihrer Reizungen über die Stärke der männlichen Weisheit beweisen – – Was für ein interessantes Gemälde ist nicht eine Deanira mit der Löwes nervichten Liebhabers umgeben, und mit seiner Keule auf der Schulter, wie sie einen triumphierend-lächelnden Seitenblick auf den Bezwinger der Riesen und Drachen wirft, der, in ihre langen Kleider vermummt, mitten unter ihren Mädchen mit ungeschickter Hand die weibische Spindel dreht? – Wir können eine oder zwo, auf welche diese kleine Exclamation nicht paßt; aber wenn wir ohne Schmeichelei reden sollen, (welches wir freilich nicht tun sollten, wenn wir die Klugheit zu Rate zögen,) so zweifeln wir, ob die Weiseste unter allen, zu eben der Zeit, da sie sich bemüht, den Torheiten ihres Liebhabers[680] Schranken zu setzen, sich erwehren kann, eine solche kleine still-triumphierende Freude darüber zu fühlen, daß sie liebenswürdig genug ist, einen Mann von Verdiensten seines eignen Werts vergessen zu machen.

Eine alltägliche Anmerkung werden Kenner denken, welche weder mehr noch weniger sagt, als was Gay in einer seiner Fabeln tausend mal schöner gesagt hat, und was wir alle längst wissen – – daß die Eitelkeit die wahre Triebfeder aller Bewegungen des weiblichen Herzens ist – – Wir erkennen unsern Fehler, ohne gleichwohl den Kennern einzugestehen, daß unsre Anmerkung so viel sage. Aber nichts mehr hievon!

Hingegen können wir unsern besagten Leserinnen, um sie wieder gut zu machen, eine kleine Anecdote aus dem Herzen unsers Helden nicht verhalten, und wenn er auch gleich dadurch in Gefahr kommen sollte, die Hochachtung wieder zu verlieren, in die er sich bei den ehrwürdigen Damen, welche nie geliebt haben, und, Dank sei dem Himmel! nie geliebt worden sind, wieder zu setzen angefangen hat. Hier ist sie –

So vergnügt Agathon über seine Entweichung aus seiner angenehmen Gefangenschaft in Smyrna, und in diesem Stücke mit sich selbst war; so wenig die Bezauberung, unter welcher wir ihn gesehen haben, die characteristische Leidenschaft schöner Seelen, die Liebe der Tugend, in ihm zu ersticken vermocht hatte; so aufrichtig die Gelübde waren, die er tat, ihr künftig nicht wieder ungetreu zu werden; so groß und wichtig die Gedanken waren, welche seine Seele schwellten; so sehr er, um alles mit einem Wort zu sagen, wieder Agathon war: So hatte er doch Stunden, wo er sich selbst gestehen mußte, daß er mitten in der Schwärmerei der Liebe und in den Armen der schönen Danae – – glücklich gewesen sei. Es mag immer viel Verblendung, viel Überspanntes und Schimärisches in der Liebe sein, sagte er zu sich selbst, so sind doch gewiß ihre Freuden keine Einbildung – – ich fühlte es, und ich fühl' es noch, so wie ich mein Dasein fühle, daß es wahre Freuden sind, so wahr in ihrer Art, als die Freuden der Tugend – – und warum sollt' es unmöglich sein, Liebe und Tugend mit einander zu verbinden? Sie beide zu genießen, das würde erst eine vollkommne Glückseligkeit sein.[681]

Hier müssen wir zu Verhütung eines besorglichen Mißverstandes eine kleine Parenthese machen, um denen, die keine andre Sitten kennen, als die Sitten des Landes oder Ortes, worin sie geboren sind, zu sagen, daß ein vertrauter Umgang mit Frauenzimmern von einer gewissen Classe, oder (nicht so französisch, aber weniger zweideutig zu reden) welche mit dem was man etwas uneigentlich Liebe zu nennen pflegt, ein Gewerbe treiben, bei den Griechen eine so erlaubte Sache war, daß die strengesten Väter sich lächerlich gemacht haben würden, wenn sie ihren Söhnen, so lange sie unter ihrer Gewalt stunden, eine Liebste aus der bemeldten Classe hätten verwehren wollen. Frauen und Jungfrauen genossen den besondern Schutz der Gesetze, wie allenthalben, und waren durch die Sitten und Gebräuche dieses Volkes vor Nachstellungen ungleich besser gesichert, als sie es bei uns sind. Ein Anschlag auf ihre Tugend war so schwer zu bewerkstelligen, als die Bestrafung eines solchen Verbrechens strenge war. Ohne Zweifel geschah es, diese in den Augen der Griechischen Gesetzgeber geheiligte Personen, die Mütter der Bürger, und diejenige welche zu dieser Ehre bestimmt waren, den Unternehmungen einer unbändigen Jugend desto gewisser zu entziehen, daß der Stand der Phrynen und Laiden geduldet wurde; und so ausgelassen uns auch der asotische Witzling Aristophanes die Damen von Athen vorstellet, so ist doch gewiß, daß die Weiber und Töchter der Griechen überhaupt sehr sittsame Geschöpfe waren; und daß die Sitten einer Vermählten und einer Buhlerin bei ihnen eben so stark mit einander absetzten, als man dermalen in gewissen Hauptstädten von Europa bemüht ist, sie mit einander zu vermengen.

Ob diese ganze Einrichtung löblich war, ist eine andre Frage, von der hier die Rede nicht ist; wir führen sie bloß deswegen an, damit man nicht glaube, als ob die Reue und die Gewissens-Bisse unsers Agathon aus dem Begriff entstanden, daß es unrecht sei mit einer Danae der Liebe zu pflegen. Agathon dachte in diesem Stücke, wie alle andern Griechen seiner Zeit. Bei seiner Nation (die Spartaner vielleicht allein ausgenommen) durfte man, wenigstens in seinem Alter, die Nacht mit einer Tänzerin oder Flötenspielerin zu bringen, ohne sich deswegen[682] einen Vorwurf zu zuziehen, in so ferne nur die Pflichten seines Standes nicht darunter leiden mußten, und eine gewisse Mäßigung beobachtet wurde, welche nach den Begriffen dieser Heiden, die wahre Grenzlinie der Tugend und des Lasters ausmachte. Wenn man dem Alcibiades übel genommen hatte, daß er sich im Schoß der schönen Nemea, als wie vom Siege ausruhend, malen ließ, oder daß er den Liebesgott mit Jupiters Blitzen bewaffnet in seinem Schilde führte; (und Plutarch sagt uns, daß nur die ältesten und ernsthaftesten Athenienser sich darüber aufgehalten; Leute, deren Eifer öfters nicht sowohl von der Liebe der Tugend gegen die Torheiten der Jugend gewaffnet wird, als von dem verdrießlichen Umstand, beim Anblick derselben zu gleicher Zeit, wie weit sie von ihrer eignen Jugend entfernt und wie nahe sie dem Grabe sind, erinnert zu werden): Wenn man, sage ich, dem Alcibiades diese Ausschweifungen übel nahm, so war es nicht sein Hang zu den Ergötzungen oder seine Vertraulichkeit mit einer Person, welche durch Stand und Profession, wie so viel andre, allein dem Vergnügen des Publici gewidmet war; sondern der Übermut, der daraus hervorleuchtete, die Verachtung der Gesetze des Wohlstandes, und einer gewissen Gravität, welche man in freien Staaten mit Recht gewohnt ist von den Vorstehern der Republik, wenigstens außerhalb dem Cirkel des Privatlebens, zu fodern. Man würde ihm, wie andern, seine Schwachheiten, oder seine Ergötzungen übersehen haben; aber man vergab ihm nicht, daß er damit prahlte; daß er sich seinem Hang zur Fröhlichkeit und Wollust, bis zu den unbändigsten Ausgelassenheiten überließ. Daß er, von Wein und Salben triefend, mit dem vernachlässigten und abgematteten Ansehen eines Menschen, der eine Winternacht so durchschweigt hatte, noch warm von den Umarmungen einer Tänzerin, in die Rats-Versammlungen hüpfte, und sich, so übel vorbereitet, doch überflüssig tauglich hielt, (und vielleicht war ers würklich) die Angelegenheiten Griechenlands zu besorgen, und den grauen Vätern der Republik zu sagen, was sie zu tun hätten: Das war es, was sie ihm nicht vergeben konnten, und was ihm die schlimmen Händel zuzog, von denen der Wohlstand Athens und er selbst endlich die Opfer wurden.

Überhaupt ist es eine längst ausgemachte Sache, daß die Griechen[683] von der Liebe ganz andere Begriffe hatten als die heutigen Europäer – – denn die Rede ist hier nicht von den metaphysischen Spielwerken oder Träumen des göttlichen Platons – Ihre Begriffe scheinen der Natur, und also der gesunden Vernunft näher zu kommen, als die unsrigen, in welchen Scythische Barbarei und Maurische Galanterie auf die seltsamste Art mit einander contrastieren. Sie ehrten die ehliche Freundschaft; aber von dieser romantischen Leidenschaft, welche wir im eigentlichen Verstande Liebe nennen, und welche eine ganze Folge von Romanschreibern bei unsern Nachbaren jenseits des Rheins und bei den Engländern bemühet gewesen ist, zu einer heroischen Tugend zu erheben; von dieser wußten sie eben so wenig als von der weinerlich-comischen, der abenteurlichen Hirngeburt einiger Neuerer, meistens weiblicher Scribenten, welche noch über die Begriffe der ritterlichen Zeiten raffiniert, und uns durch ganze Bände eine Liebe gemalt haben, die sich von stillschweigendem Anschauen, von Seufzern und Tränen nährt, immer unglücklich und doch selbst ohne einen Schimmer von Hoffnung immer gleich standhaft ist. Von einer so abgeschmackten, so unmännlichen, und mit dem Heldentum, womit man sie verbinden will, so lächerlich abstechenden Liebe wußte diese geistreiche Nation nichts, aus deren schöner und lachender Einbildungskraft die Göttin der Liebe, die Grazien, und so viele andre Götter der Fröhlichkeit hervorgegangen waren. Sie kannten nur die Liebe, welche scherzt, küßt und glücklich ist; oder, richtiger zu reden, diese allein schien ihnen, unter gehörigen Einschränkungen, der Natur gemäß, anständig und unschuldig. Diejenige, welche sich mit allen Symptomen eines fiebrischen Paroxysmus der ganzen Seele bemächtiget, war in ihren Augen eine von den gefährlichsten Leidenschaften, eine Feindin der Tugend, die Störerin der häuslichen Ordnung, die Mutter der verderblichsten Ausschweifungen und der häßlichsten Laster. Wir finden wenige Beispiele davon in ihrer Geschichte; und diese Beispiele schert wir auf ihrem tragischen Theater mit Farben geschildert, welche den allgemeinen Abscheu erwecken mußten; so wie hingegen ihre Comödie keine andre Liebe kennt, als diesen natürlichen Instinct, welchen Geschmack, Gelegenheit und Zufall für einen gewissen Gegenstand bestimmen,[684] der, von den Grazien und nicht selten auch von den Musen verschönert, das Vergnügen zum Zweck hat, nicht besser noch erhabener sein will als er ist, und wenn er auch in Ausschweifungen ausbrechend, sich gegen den Zwang der Pflichten aufbäumt, doch weniger Schaden und leichter zu bändigen ist, als jene tragische Art zu lieben, welche ihnen vielmehr von der Fackel der Furien als des Liebesgottes entzündet, eher die Würkung der Rache einer erzürnte Gottheit als dieser süßen Betörung gleich zu sein schien, welche sie, wie den Schlaf und die Gaben des Bacchus, des Gebers der Elende, für ein Geschenke der wohltätigen Natur, ansahen, uns die Beschwerden des Lebens zu versüßen, und zu den Arbeiten desselben munter zu machen.

Ohne Zweifel würden wir diesen Teil der Griechischen Sitten noch besser kennen, wenn nicht durch ein Unglück, welches die Musen immer beweinen werden, die Comödien eines Alexis, Menander, Diphilus, Philemon, Apollodorus, und andrer berühmter Dichter aus dem schönsten Zeit-Alter der attichen Musen ein Raub der mönchischen und Saracenischen Barbarei geworden wäre. Allein es bedarf dieser Urkunden nicht, um das was wir gesagt haben zu rechtfertigen. Sehen wir nicht den ehrwürdigen Solon noch in seinem hohen Alter, in Versen welche des Alters eines Voltaire würdig sind, von sich selbst gestehen, »daß er sich aller andern Beschäftigungen begeben habe, um den Rest seines Lebens in Gesellschaft der Venus, des Bacchus und der Musen auszuleben, der einzigen Quellen der Freuden der Sterblichen?« Sehen wir nicht den weisen Socrates kein Bedenken tragen, in Gesellschaft seiner jungen Freunde, der schönen und gefälligen Theodota einen Besuch zu machen, um über ihre von einem aus der Gesellschaft für unbeschreiblich angepriesene Schönheit den Augenschein einzunehmen? Sehen wir nicht, laß er seiner Weisheit nichts zu vergeben glaubt, indem er diese Theodota, auf eine scherzhafte Art in der Kunst Liebhaber zu fangen unterrichtet? War er nicht ein Freund – und Bewunderer, ja, wenn Plato nicht zuviel gesagt hat, ein Schüler der berühmten Aspasia, deren Haus, ungeachtet der Vorwürfe, welche ihr von der zaumlosen Frechheit der damaligen Comödie gemacht wurden, der Sammelplatz[685] der schönsten Geister von Athen war? So enthaltsam er selbst, bei seinen beiden Weibern, in Absicht der Vergnügen der Paphischen Göttin immer sein mochte; so finden wir doch seine Grundsätze über die Liebe mit der allgemeinen Denkungsart seiner Nation ganz übereinstimmend. Er unterschied das Bedürfnis von der Leidenschaft; das Werk der Natur, von dem Werk der Phantasie; er warnte vor dem Letztern, wie wir im vierten Capitel schon im Vorbeigehen bemerkt haben; und riet zu Befriedigung der ersten (nach Xenophons Bericht) eine solche Art von Liebe, (das Wort dessen sich die Griechen bedienten, drückt die Sache bestimmter aus) an welcher die Seele so wenig als möglich Anteil nehme. Ein Rat, welcher zwar seine Einschränkungen leidet; aber doch auf die Erfahrungs-Wahrheit gegründet ist; daß die Liebe, welche sich der Seele bemächtiget, sie gemeiniglich der Meisterschaft über sich selbst beraube, entnerve, und zu edeln Anstrengungen untüchtig mache.

»Und wozu, (hören wir den scheinheiligen Theogiton mit einem tiefen Seufzer, in welchem ein halbunterdrücktes Anathema murmelt, fragen) – – wozu diese ganze schöne Digression? Ist vielleicht ihre Absicht, die ärgerlichen Begriffe und Sitten blinder, verdorbener Heiden unsrer ohnehin zum Bösen so gelehrigen Jugend zum Muster vorzulegen?« Nein, mein Herr; das wäre unnötig; der größeste Teil dieser Jugend, welche unser Buch lesen wird (es müßte dann in die Gewürzbuden kommen) hat schon den Horaz, den Ovid, den Martial, den Petron, den Apulejus, vielleicht auch den Aristophanes gelesen; und was noch sonderbarer scheinen könnte, hat seine Bekanntschaft mit diesen Schriftstellern, welche nach Dero Grundsätzen lauter Seelengift sind, in den Schulen gemacht. Wir haben also dieser Jugend nicht viel neues gesagt; und gesetzt, wir hätten? Alle Welt weiß, daß andre Verfassungen, andre Gesetze, eine andre Art des Gottesdiensts, auch andre Sitten hervorbringen und erfodern. Aber das verhindert nicht, daß es nicht gut sein sollte, auch zu wissen, nach was für Begriffen man außerhalb unserm kleinen Horizont, unter andern Himmelsstrichen und zu andern Zeiten gedacht und gelebt hat – – »Und wozu sollte das gut sein können?« – – Vergebung, Herr Theogiton! das sollten Sie wissen, da Sie davon Profession machen, die Menschen[686] zu verbessern; und das hätten Sie, nehmen Sie's nicht übel, vorher lernen sollen, ehe Sie Sich unterfangen hätten, einen Beruf zu übernehmen, worin es so leicht ist, ein Pfuscher zu sein – – Doch genug; Sie sollen hören, warum diese kleine Abschweifung notwendig war. Es ist hier darum zu tun, den Agathon zu schildern; ein wenig genauer und richtiger zu schildern, als es ordentlicher Weise in den Personalien einer Leichenpredigt geschieht – – Sie schütteln den Kopf, Herr Theogiton – beruhigen Sie Sich; man malt solche Schildereien weder für Sie, noch für die guten Seelen, welche sich unter Ihre Direction begeben haben; Sie müssen ja den Agathon nicht lesen; und, die Wahrheit zu sagen, Sie würden wohl tun gar nicht zu lesen, was Sie nicht zu verstehen fähig sind – – Aber Sie sollen glauben daß es sehr viele ehrliche Leute gibt, die nicht unter Ihrer Direction stehen, und einige von diesen werden den Agathon lesen, werden alles in dem natürlichen, wahren Lichte sehen, worin ungefälschte, gesunde Augen zu sehen pflegen, und werden sich – seufzen Sie immer soviel Sie wollen – – daraus erbauen. Für diese also haben wir uns anheischig gemacht, den Agathon, als eine moralische Person betrachtet, zu schildern. Es ist hier um eine Seelen-Malerei zu tun – Sie lächeln, mein Herr? – Nicht wahr, ich errate es, daß ihnen bei diesem Worte die punctierte Seele in Comenii Orbe picto einfällt? Aber das ist nicht was ich meine; es ist darum zu tun, daß uns das Innerste seiner Seele aufgeschlossen werde; daß wir die geheimern Bewegungen seines Herzens, die verborgenern Triebfedern seiner Handlungen kennen lernen – – »Eine schöne Kenntnis! und die etwan viel Kopf zerbrechens braucht? – – Ein Herz zu kennen, von dem ich Ihnen, kraft meines Systems, gleich bei der ersten Zeile Ihres Buchs hätte vorhersagen können, daß es durch und durch nichts taugt« – – Ich bitte Sie, Herr Theogiton, nichts mehr; Sie mögen wohl Ihr System nicht recht gelernt haben, oder – – das muß ein System sein! Aber; in unserm Leben nichts mehr, wenn ich bitten darf. Ich sehe, die Natur hat Ihnen das Werkzeug versagt, wodurch wir uns gegen einander erklären könnten. Ich hatte Unrecht, Ihnen von geheimen Triebfedern zu sprechen – – Sie kennen nur eine einzige Gattung derselben, die in der Casse der guten Seelen liegt, die sich Ihrer Führung überlassen haben;[687] und diese rechtfertiget freilich Ihr System besser als alles was Sie zu seinem Behuf sagen könnten – – Also zu unserm Agathon zurück!

Nach den gewöhnlichen Begriffen seiner Zeit wäre es so schwer nicht gewesen, Liebe und Tugend mit einander zu verbinden; auch unsre jungen Moralisten hätten hierzu gleich ein Recipe fertig, oder es wimmelt vielmehr würklich von dergleichen in allen Buchläden. Aber Agathon hatte größere und feinere Begriffe von der Tugend – – Die Begriffe einer gewissen idealischen Vollkommenheit waren zu sehr mit den Grundzügen seiner Seele verwebt, als daß er sie sobald verlieren konnte, oder vielleicht jemals verlieren wird. Was ist für eine delicate Seele Liebe ohne Schwärmerei? Ohne diese Zärtlichkeit der Empfindungen, diese Sympathie welche ihre Freuden vervielfältiget, verfeinert, veredelt? Was sind die Wollüste der Sinnen, ohne Grazien und Musen? – – Das Socratische System über die Liebe mag für viele gut sein; aber es taugt nicht für die Agathons. Agathon hätte diese Art zu lieben, wie er die schöne Danae geliebt hatte, und wie er von ihr geliebt worden war, gerne mit der Tugend verbinden mögen; und von diesem Wunsch, sah er alle Schwierigkeiten ein. Endlich deuchte ihn, es komme alles auf den Gegenstand an; und hier erinnerte ihn sein Herz wieder an seine geliebte Psyche. Ihr Bild stellte sich ihm mit einer Wahrheit und Lebhaftigkeit dar, wie es ihm seit langer Zeit, seinen Traum ausgenommen, niemals vorgekommen war. Er errötete vor diesem Bilde, wie er vor der gegenwärtigen Psyche selbst errötet haben würde; aber er empfand mit einem Vergnügen, wovon das überlegte Bewußtsein ein neues Vergnügen war, daß sein Herz, ohne nur mit einem einzigen Faden an Danae zu hangen, wieder zu seiner ersten Liebe zurückkehrte. Seine wieder ruhige Phantasie spiegelte ihm, wie ein klarer tiefer Brunnen die Erinnerungen der reinen, tugendhaften, und mit keiner andern Lust zu vergleichenden Freuden vor, die er durch die zärtliche Vereinigung ihrer Seelen in jenen elysischen Nächten erfahren hatte. Er empfand izt alles wieder für sie was er ehemals empfunden, und diese neben Empfindungen noch dazu, welche ihm Danae eingeflößt hatte; aber so sanft, so geläutert durch die moralische Schönheit des veränderten[688] Gegenstandes, daß es nicht mehr eben dieselben schienen. Er stellte sich vor, wie glücklich ihn eine unzertrennliche Verbindung mit dieser Psyche machen würde, welche ihm eine Liebe eingehaucht, die seiner Tugend so wenig gefährlich gewesen war, daß sie ihr vielmehr Schwingen angesetzt hatte – er versetzte sich in Gedanken mit Psyche in den Ruheplatz der Diana zu Delphi – – und ließ den Gott der Liebe, den Sohn der himmlischen Venus, das überirdische Gemälde ausmalen. Eine süße weissagende Hoffnung breitete sich durch seine Seele aus; es war ihm, als ob eine geheime Stimme ihm zulisple, daß er sie in Sicilien finden werde. Psyche schickte sich vortrefflich in den Plan, den er sich von seinem bevorstehenden Leben gemacht hatte – – was für eine Perspective stellte ihm die Verbindung seiner Privat-Glückseligkeit mit der öffentlichen vor, welcher er alle seine Kräfte zu widmen entschlossen war! Aber er wollte erst verdienen glücklich zu sein – – Und nun, sagen sie mir, meine schönen Leserinnen, verdient nicht ein Mann, der so edel denkt glücklich zu sein? – – verdient er nicht die beste Frau? – – Seien Sie ruhig; er soll sie haben, sobald wir sie finden werden.[689]

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 1, München 1964 ff., S. 680-690.
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