Erstes Capitel
Ein Exempel, daß Sprödigkeit den Zorn der Venus reizt

[58] Indessen daß Don Sylvio zu seiner abenteuerlichen Wanderschaft Anstalt machte, war Donna Mencia beschäftiget, ihn durch ein Mittel zurück zu halten, von welchem er sich eben so wenig träumen ließ als sie von seiner Liebe zu einem bezauberten Schmetterling.

Wir haben bereits gemeldet, daß sie seit einiger Zeit häufige Reisen in das benachbarte Städtchen tat, um welche Don Sylvio sich zwar nichts bekümmerte, die aber in der Tat auf nichts anders abzielten, als ihm einen schlimmern Streich zu spielen, als er von der vereinigten Bosheit aller Fanferlüschen und Carabossen der ganzen Welt nur immer hätte erwarten können.

Man erinnert sich vielleicht noch, daß die Donna Mencia, ungeachtet ihrer außerordentlichen Sprödigkeit, in ihrer ersten Jugend keine gänzliche Feindin der Liebe gewesen war; und wenn wir die Wahrheit unverblümt sagen sollen, so ist vielleicht niemalen ein Frauenzimmer gewesen, dem die Tugend, wozu die Umbarmherzigkeit der Mannsleute sie verurteilte, beschwerlicher gefallen wäre. Man will so gar wissen, daß seit dem sie sich aus der großen Welt in eine Einsamkeit zurück gezogen, welche der erzwungenen Sprödigkeit nicht sehr günstig zu sein pflegt, ihre Bedürfnisse mehr als einmal so dringend geworden, daß sie (wenn wir es anders ohne Beleidigung des Geschlechts, zu dem sie gehörte, sagen können) so gar einem gewissen Stall bedienten im Hause, Aufmunterungen gegeben, die vielleicht nicht ohne Würkung geblieben wären, wenn die Reizungen der jungen Maritorne diesen plumpen Liebhaber nicht gegen alle Vorzüge eines hochadelichen Gerippes unempfindlich gemacht hätten. Was auch an dieser Anecdote sein mag, so ist gewiß, daß sie in diesem Stück unglücklich genug war, um genötiget zu sein, in den unzulänglichen Täuschungen einer aufgereizten Einbildungs-Kraft den Schatten eines Vergnügens zu suchen, dessen Größe ihre Unerfahrenheit nach der Wut[58] ihrer Begierden abmaß. Der Abscheu, den sie vor den Erzählungen eines Bocaz und selbst vor den unschuldigsten Scherzen eines Lope de Vega bezeugte, hinderte nicht, daß die Gespräche, die irgend ein moderner Sotades der berühmten Aloysia Sigea aufgeschoben, das Buch waren, welches allezeit unter ihrem Hauptküssen lag; eine Gewohnheit, die sie vielleicht mit dem Exempel des heiligen Chrysostomus zu rechtfertigen glaubte, welcher den eben so sotadischen Comödien des Aristophanes die nämliche Ehre widerfahren ließ.

So unanständig es vielleicht scheinen möchte, daß wir durch Aufdeckung dieser Heimlichkeiten die Vorteile vernichtet haben, welche die Welt von dem erbaulichen Beispiel der keuschen Donna Mencia hätte ziehen können, so nötig war es, die Pflichten der historischen Treue in diesem Stücke zu erfüllen, da eine übertriebene Discretion die Wahrhaftigkeit unsrer Geschichte, in Absicht dessen, was wir nun zu melden haben, nicht wenig hätte verdächtig machen können.

Um also unsre Leser nicht länger aufzuhalten, so war es nur mehr als zu gewiß, daß weder ihre Tugend, noch der Stolz auf ihre Geburt noch sechzig Frühlinge, die sie bereits erlebt hatte, ihr zärtliches Herz gegen die Liebe zu schützen vermochten, die ein gewisser Procurator von Xelva so glücklich war ihr einzuflößen.

Sie hatte ihn bei einer bejahrten Freundin kennen gelernt, bei der er in Geschäften öftere Besuche ablegte, und die Nachrichten, die sie von seinen Umständen einzog, schienen dem Anschlag überaus günstig zu sein, den sie beim ersten Anblick auf seine Person gemacht hatte.

Dieser würdige Mann nennte sich Rodrigo Sanchez, und war, sein Talent für die Rabulisterei ausgenommen, durch seine körperliche Vorzüge merkwürdiger als durch die Annehmlichkeiten seines Geistes. Er war ein untersetzter Mann von mittler Größe, breit geschuldert, krause Haare, kleine funkelnde Augen, die von großen schwarzen Augbrauen, wie von einem dunkeln Gebüsche, beschattet wurden, eine große Habichts-Nase und ein paar Beine, die im Notfall stark genug gewesen wären, einen Atlas zu unterstützen.

Wir können nicht für gewiß sagen, ob die Figuren von dieser[59] Art den Spröden von Profession überhaupt so gefährlich sind als man bemerkt haben will; gewiß ist, daß Herr Rodrigo in den Augen der Donna Mencia ein Adonis war, und die Ehre hatte beim ersten Anblick über die Abneigung zu siegen, so sie jederzeit gegen den Ehestand hatte spüren lassen, und den Wunsch in ihr zu erregen, mit ihm an dieses Joch gespannt zu werden, ungeachtet er kaum vierzig Jahre hatte, und noch ein Junggeselle war.

Wenn die Augen dieses neuen Adonis nicht dankbar genug waren, in ihr eine Venus zu sehen, so hatte er doch, so bald er merkte, daß es um eine Heurat zu tun sei, einen Beweggrund, der auf Leute von seiner Art eben so kräftig zu würken pflegt, als die persönlichen Reizungen auf Liebhaber von feinerm Metall.

Der Herr Procurator hatte von einem ältern Bruder, der ein Juwelen-Händler gewesen war, eine Nichte, Mergelina genannt, die seit dem Tode ihrer Eltern, nebst einem Vermögen von hundert tausend Ducaten unter seiner Vormundschaft stund. So gleichgültig ihm seine Nichte für ihre eigene Person war, so zärtlich liebte er ihre Ducaten, und er hatte schon lang umsonst auf ein gesetzmäßiges Mittel studiert, sich derselben, oder doch eines guten Teils davon zu bemächtigen, als die Leidenschaft, die er das Glück hatte der Donna Mencia einzuflößen, ihm eine erwünschte Gelegenheit zu geben schien, seine Absicht zu erreichen. Seine Nichte, welche unstreitig ein sehr reizendes Vermögen besaß, hatte bereits etliche Freier abgewiesen, weil sie nur bürgerlich waren; denn sie hatte sichs nun einmal in den Kopf gesetzt, entweder eine Edelfrau zu werden oder als Jungfer zu sterben. Herr Rodrigo zweifelte also nicht sie zu allem zu bereden, was er nur wollte, in so fern er ihr einen Hidalgo zum Mann geben könnte; allein die Schwierigkeit war, einen zu finden, der so gefällig wäre, als es Herr Rodrigo haben wollte. Die Nachrichten, die er von der Freundin der Donna Mencia erhielt, machten ihm Hoffnung, daß sich niemand zu seinen Absichten besser schicken könne, als Don Sylvio, welcher ihm als ein junger Edelmann beschrieben wurde, der ohne alle Erfahrung oder Kenntnis der Welt, ungemein großmütig und dabei gewohnt sei, sich in allem von seiner Base regieren zu lassen. Er beschloß[60] also sein Glück zu versuchen, und von dem verliebten Anstoß der alten Mencia so viel Vorteil zu ziehen, als nur immer möglich sein möchte. Freilich spielte er die Rolle eines seufzenden Schäfers so lächerlich, als man sich vorstellen kann, allein er brachte doch Feuer genug darein, um eine so zärtliche Person, als Donna Mencia war, zu überreden, daß er der Verliebteste unter allen Menschen sei.

Allein, so bald sich diese Dame ihres Sieges gewiß hielt, erinnerte sie sich dessen, was sie ihrer Tugend und ihrem Character schuldig war, und machte so viele Umstände, daß der Herr Procurator, welcher sich wenig auf die Kunst verstund, die Spröden zahm zu machen, die Geduld zehnmal verloren hätte, wenn er durch keine stärkere Gewalt als die bejahrten Annehmlichkeiten seiner Grausamen zurück gehalten worden wäre. Das beste für ihn war, daß es ihr selbst so viel Mühe kostete, die keusche Flamme, wovon sie brannte, zu verbergen, daß sie für gut befand, seine Probzeit um so mehr abzukürzen, als sie keine Ursache hatte an der Stärke seiner Leidenschaft zu zweifeln. Sie willigte also endlich ein den Herrn Rodrigo glücklich zu machen, die zweifache Heurat des Oheims mit der Tante, und des Neffen mit der Nichte wurde beschlossen, und der Herr Procurator setzte einen Contract auf, worin die Vorteile der erstern nicht vergessen waren.

Donna Mencia hatte ihren Neffen allzuwohl gezogen, als daß sie an seiner Einwilligung im geringsten hätte zweifeln sollen. Indes machte ihr der Gedanke doch einige Mühe, daß diese doppelte Verbindung dem Adel ihres Geschlechts, auf den sie immer stolz gewesen war, in den Augen der Welt nicht wenig derogieren würde; und so sehr auch die Heftigkeit ihrer Leidenschaft durch die blendenden Verdienste des Herrn Rodrigo Sanchez gerechtfertiget zu werden schien, so würde sie sich doch kaum haben entschließen können, derselben eine so große Bedenklichkeit aufzuopfern, wenn Herr Rodrigo, der ein starker Genealogiste war, ihr nicht Hoffnung gemacht hätte, in kurzem einen Stammbaum zu Stande zu bringen, in welchem er den Ursprung seiner Familie in gerader Linie von einem natürlichen Sohn des Castilianischen Königs Sancho des Großen herleiten wollte.[61]

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 1, München 1964 ff., S. 58-62.
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