Drittes Capitel
Gespräch zwischen der Tante und dem Neffen

[65] Nach einiger Weile kam die Dame Beatrix mit verschiedenen Weinen und abgezogenen Wassern wieder in den Saal, und während, daß sie, auf einen Wink ihrer Gebieterin, die Gäste mit ihrem geistreichen Gespräch unterhielt, zog sich diese mit ihrem Neffen in ein anders Zimmer zurück, um ihm zu erklären, was dieser Besuch zu bedeuten habe.

Ihr seid ja ganz außerordentlich geputzt, Don Sylvio, fing sie an; Ihr wußtet doch nicht, daß ich Gesellschaft mitbringen würde?

Nein, gnädige Tante, erwiderte Don Sylvio, errötend und stotternd, aber – ich weiß nicht – ich vermutete – –

Ihr bedürft gar keiner Entschuldigung deswegen, versetzte Donna Mencia, ihr hättet euch zu keiner gelegenern Zeit putzen können, und ich bin geneigt es einer Art von Ahnung zuzuschreiben.[65]

Hierauf nahm sie Platz, räusperte sich etlichemal, und eröffnete ihm endlich nach verschiedenen Vorreden, nicht ohne ein wenig zu erröten, ihr gedoppeltes Vorhaben, ihn mit der schönen Mergelina zu vermählen, und das Eigentums-Recht über ihre eigne Person dem verdienstvollen Herrn Rodrigo Sanchez abzutreten. Sie unterließ nicht ihm die großen Vorteile anzupreisen, die ihm aus dieser Vermählung zugehen würden, und ihren Reden nach hatte er Ursache, sich ihr für eine so ausnehmende Probe ihrer Fürsorge für seine Glückseligkeit noch sehr verbunden zu achten.

Allein Don Sylvio war weit entfernt, so gelehrig und dankbar zu sein, als seine Tante vermutet hatte. Das Erstaunen, das ihn beim Anfang ihrer Rede befiel, verwandelte sich beim Ende derselben in einen Unwillen, den er kaum zurück halten konnte.

Jedoch tat er sich die äußerste Gewalt an, und sagte endlich nach einer ziemlich langen Pause mit einer Mine, worin mehr Befremdung als Verdrießlichkeit herrschen sollte: Ich gestehe ihnen, Frau Tante, daß ich nicht begreife, was sie mit allem diesem haben wollen. Ich bin kaum achtzehen Jahre alt; meine Geburt und die Erziehung, die sie mir gegeben haben, bestimmen mich in kurzem, diese müßige Landlebens-Art zu verlassen, und auf dem Wege ritterlicher Abenteuer ein anständiges Glück zu suchen. Sie selbst haben mir diese Denkungs-Art eingeflößt, und nun wollen sie mich plötzlich mit einem kleinen Bürger-Mädgen verheuraten, dessen Mißgestalt und persönliche Mängel fähig wären, auch den geldgierigsten Harpax abzuschrecken, und mit welchem ich lebenslänglich verurteilt sein würde, mich in dieses elende Dorf zu verbannen, um mein Unglück und meine Schande vor der ganzen Welt zu verbergen.

Ihr vergeßt, erwiderte Donna Mencia, die Ehrerbietung, die ihr mir schuldig seid, und ich gestehe euch, daß ich mehr Gehorsam – –

Gehorsam? fiel ihr Don Sylvio hitzig ein, wenn sie mich an ein Ungeheuer anfesseln wollen, dessen bloßen Anblick zu vermeiden ich bereit wäre in den offnen Rachen eines Löwen zu rennen?

Man weißt sehr wohl, erwiderte Donna Mencia mit einem höhnischen Nasenrümpfen daß ihr euch außerordentlich viel[66] mit eurer Schönheit wißt; aber wir wollen uns in keinen Streit hierüber einlassen. Donna Mergelina verdient die Verachtung gar nicht die ihr für sie habt, sie ist eine liebenswürdige Person, und wenn sie es auch weniger wäre, so ist eine Partei von hundert tausend Ducaten wahrhaftig keine Sache, die ein kleiner Edelmann, der jährlich kaum hundert Pistolen wert ist, so trotzig ausschlagen kann.

Es ist noch nicht so lange, Gnädige Frau, antwortete Don Sylvio gelaßner, daß sie den Wert eines Edelmanns nicht nach seinen Einkünften abwogen; und wenn hundert tausend Ducaten meine Augen nicht genug bezaubern können, um diese Person, die sie Donna Mergelina nennen, liebenswürdig zu finden, so ist es außer dem Himmel, dem ich mein Herz zu danken habe, niemand anders als Donna Mencia, die mich den Reichtum verachten gelehrt hat, so bald er mit Niederträchtigkeit erkauft werden muß.

Und worin besteht denn, erwiderte sie, das Niederträchtige, wenn ihr Donna Mergelina heuratet? Sind gleich ihre Voreltern durch Unglücksfälle genötiget worden, eine Abstammung zu verbergen, die vielleicht so edel ist als eine im Königreich (ich weiß was ich rede, Don Sylvio) so hat doch das Glück, das ihnen seit dem desto günstiger gewesen ist, sie in den Stand gesetzt, ihre eigene Familie wieder empor zu heben, und der unsrigen einen Glanz wieder zu geben, den eine schimpfliche Dürftigkeit auszulöschen bereit war.

Unverschuldete Dürftigkeit ist nie schimpflich, versetzte Don Sylvio, mit Wangen, die von einer edeln Röte glühten; überlassen sie es mir, Gnädige Frau, für den Glanz meines Namens zu sorgen; ich spüre Mut genug in mir, dem Unglück Trotz zu bieten, welches ihn zur Dunkelheit zu verurteilen scheint. Donna Mergelina mag edel sein, wenn sie wollen; aber ich versichere sie, wenn sie auch von dem großen Cid selbst abstammete, und mir alle Goldgruben von Peru zur Mitgift brächte, so werde ich sie nicht heuraten.

Du wirst sie nicht heuraten? rief Donna Mencia, mit einem Ton, der sich für einen Untergebenen von zwölf Jahren besser geschickt hätte. Ich sage dir aber, daß du sie heuraten sollst, oder du sollst sehen, ob Donna Mencia das Ansehen zu behaupten[67] weißt, das ihr die Natur und deines Vaters Willen über dich gegeben haben: du sollst sie heuraten, sag ich oder Keine vergebliche Drohungen, unterbrach sie Don Sylvio mit einer Mine und einem Anstand, der sie ein wenig bestürzt machte; ich kenne den Umfang meiner Pflichten gegen sie, und die Grenzen ihrer Rechte über mich. Heuraten sie immer den Herrn Rodrigo Sanchez, ich werde mir nie einfallen lassen, es übel zu finden; aber erlauben sie mir in den Jahren, worin ich bin, eine Verbindung abzulehnen, die sich in keiner Betrachtung für mich schickt.

Bei diesen Worten geriet die alte Dame in Flammen. Ich verstehe dich, rief sie, und klappte etliche faule Zähne zusammen, die noch wie alte Denkmäler hier und da aus ihrem weiten Munde hervor ragten, ich sehe die ganze Bosheit des geheimen Vorwurfs, den ihr mir machen wollt; aber ich verachte euch und alles was ihr sagen könnt. Wie? ein Knabe von eurem Alter sollte besser wissen als ich, was sich schickt, oder was sich nicht schickt? doch es ist unnötig, daß ich mich ereifere. Wenn du noch zu unreif bist, den Wert meiner Fürsorge für dich zu schätzen, so werde ich doch nicht zugeben, daß deine Unbesonnenheit dich eines Glücks verlustig mache, welches alles übertrifft, was du jemals erwarten konntest. Du machst den Versuch zu früh, ein Joch abzuschütteln, das ich leichter oder schwerer machen kann, je nachdem ich es nötig finde; denn kurz und gut, mein Herr Neffe, ihr steht unter mir, und ich werde mir Gehorsam zu verschaffen wissen.

Ihre Aufführung, erwiderte Don Sylvio ganz ergrimmt, beweist, daß graue Haare nicht allezeit sichre Bürgen der Weisheit sind. Wissen sie aber hiemit, daß ich weder alt noch jung genug bin, mich zum Opfer ihrer lächerlichen Leidenschaft machen zu lassen. Ich entlasse sie aller Pflicht für mein Glück zu sorgen; und wenn ich ihre mißgeschaffene Mergelina und die hundert tausend Ducaten, womit sie meine Liebe bestechen will, verschmähe, so glauben sie nur, daß ich meine Ursachen habe (ich weiß auch was ich rede, Donna Mencia!) und daß ich unter dem Schutz, worin ich stehe, alle Drohungen verachten kann, womit sie mich wie einen kleinen Züchtling zu schrecken gedenken.[68]

Mit diesen Worten eilte er aus dem Zimmer fort, und begab sich in den Garten, wo er vor Unwillen außer sich selbst hin und wieder lief, und mit Ungeduld auf seinen getreuen Pedrillo wartete.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 1, München 1964 ff., S. 65-69.
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