Sechstes Capitel
Unterredung beim Frühstück. Eifersucht des Don Sylvio

[108] Wir haben unsre Abenteurer, denen die kluge Langsamkeit, die bei den Beratschlagungen zu Rosalva präsidierte, sehr wohl zu statten kam, in einem Gehölze verlassen, wohin sie sich vor der Sonne zurück gezogen hatten. Sie waren noch nicht lange unter den Bäumen fortgegangen, als Pedrillo seinem Herrn vorstellte, wie nach der Meinung des Asclepiades und anderer berühmten Naturkündiger, zu glücklicher Fortsetzung einer Reise nichts dienlichers sei, als des Morgens ein gutes Frühstück zu sich zu nehmen. Weil nun Don Sylvio nichts erhebliches dagegen einzuwenden hatte, so suchte Pedrillo einen bequemen Platz, wo sie sich setzen konnten, packte seinen Zwerchsack aus, und brachte eine große Pastete zum Vorschein, welche die Dame Beatrix zu einem ganz andern Gebrauch von Xelva mitgebracht hatte.

Gelt, Herr, sagte Pedrillo, ich seh euchs an, ihr wundert euch, wie ich zu dieser Pastete gekommen bin? Die arme Dame Beatrix! Sie wird ein paar mächtig große Augen machen, wenn sie sehen wird, daß der Vogel ausgeflogen ist. Aber da seht ihr doch, was es ist, wenn man umgänglich mit den Leuten ist; wenn ich nicht etwas bei der Frau Beatrix gälte, so könnten wir jetzt mit einem Stück Brot und einer Hand voll Haselnüsse vorlieb nehmen.[108]

Sie hat dir doch die Pastete nicht selbst gegeben, sagte Don Sylvio?

Das eben nicht, versetzte Pedrillo, aber wie sie gestern Abend in das Proviant-Gewölbe ging, winkte sie mir, daß ich mit ihr gehen sollte, und da schwatzten wir eine weile zusammen, und da wollt ich ihr, ich gesteh es, einen Kuß stehlen (denn das hab ich von unserm alten Pfarrer selbst gehört, daß ein Kuß in Ehren keine Sünd ist) aber sie drehte den Kopf so geschwind zurück, daß ich ihren Mund um ein paar Handbreiten verfehlte; aber meiner Six, es ging mir nicht desto schlimmer, denn ich kam gerad auf ein Fleckchen, wo ihr Halstuch ein wenig offen war, und ich versichere Euer Gnaden, es war weicher als Pflaum und weiß wie Marzipan. Freilich schmälte sie mich aus, daß es eine Art hat, wie ihr leicht denken könnt, sie gab mir, glaub ich, gar eine kleine Ohrfeige oder so was, aber ich besänftigte sie bald wieder, und da gab sie mir zum Zeichen ihrer Versöhnlichkeit dieses Stück eingemachten Cedrat, und da schäkerten wir noch eine gute Weile mit einander; denn wie ihr wißt, Gelegenheit macht Diebe, und die Frau Beatrix ist nicht halb so spröde als ihr Gesicht. Wenn sie schon nicht der gleichen tut, so hat sies doch gern, wenn man ein wenig mit ihr haseliert, das kann mir Euer Gnaden auf mein Wort glauben. Bei dieser Gelegenheit zeigte sie mir die Pastete, und andere Sachen, die sie für unsere Gäste von Xelva mitgebracht hatte, und da warf ich gleich ein Aug auf die Pastete, und denkt nur, gnädiger Herr, wie ich zu ihr gekommen bin, denn das hättet ihr mir gewiß nicht zugetraut.

Seht ihr, Herr Don Sylvio, ich bin gewiß ein ehrlicher Kauz aber dumm bin ich nicht, und Euer Gnaden zu lieb, wollt ich Gott verzeih mirs, dem Pabst zu Rom seinen Pantoffel stehlen, wenn es sein müßte.

Und wie hast du es denn gemacht, fragte Don Sylvio; denn sie wird doch den Schlüssel zum Gewölbe abgezogen und zu sich genommen haben.

Das ist es eben, sagte Pedrillo, aber man findet für alles Rat, nur für den Tod nicht. Wie alles im Hause schlief, schlich ich mich an ihre Kammer, und legte das Ohr ans Schlüssel-Loch und lauschte, und wie ich hörte, daß sie schnarchte, so machte ich die Tür ganz leise auf, und schlich auf den Zehen an ihr[109] Bette; aber es war so dunkel in der Kammer wie in einer Kuh; da tappte ich so lange herum, bis ich den Bund Schlüssel fand, den sie immer an ihrem Gürtel zu tragen pflegt; da nahm ich die Schlüssel, und schlich so sachte davon wie die Katze aus dem Taubenschlag. Nun wißt ihr das ganze Geheimnis, denn wie ich einmal die Schlüssel hatte, so war die Pastete mein. Sapperment; ich sackte ein, daß es eine Lust war, und damit ihr seht, daß ich nichts vergessen habe, fuhr er fort, indem er eine Flasche aus dem Zwerchsack hervor zog, so versucht einmal diesen Alicanten-Wein, und wenn er nicht so gut ist, daß man alle Finger und die Zehen oben drein darnach schleckt, so will ich mein Lebtag mit den Gänsen trinken.

Hier machte Pedrillo eine starke Pause, aber seine Kinnhacken arbeiteten nichts desto weniger, ob er gleich zu reden aufhörte, und er hielt sich so wohl, daß die Pastete in kurzer Frist um ein gutes Drittel leichter wurde. Er vergaß nicht, auch der Flasche auf Gesundheit der Frau Beatrix fleißig zuzusprechen, und er wurde nach und nach so lustig, daß er zu pfeifen und zu singen anfing. Hei sa, rief er, indem er die Flasche in die Höhe hielt, es leben die Feen und die bezauberten Princessinnen! Sapperment; es ist ein rechter Spaß auf der Feerei herum zu wandern, aber es gehört ein wohl gespickter Zwerchsack dazu, das ist wahr! Nun wie? gnädiger Herr, was habt ihr? Ihr seid ja gar nicht aufgeräumt? Ihr eßt und trinkt ja nichts? was soll das sein? Hei sa! der Henker hole die Grillen! Lustig weil wir ledig sind, wer weißt, wenn uns wieder so wohl sein wird; es wird immer Zeit zum Kopfhängen sein, wenn der Vadus mecus und die Flaschen leer sind.

Mein guter Pedrillo, sagte Don Sylvio, sei du immer lustig so gut du kannst, und gib auf mich nicht Acht; ich gönne dir deinen fröhlichen Mut von Herzen; du würdest nicht so fröhlich sein, wenn du an meiner Stelle wärest.

Und warum das, gnädiger Herr? was ist euch schon wieder über die Leber gekrochen?

Ach! Pedrillo, versetzte der junge Ritter, wie sollt ich vergessen können, wie weit ich noch vom Ziel meiner Wünsche entfernt bin, und was für Hindernisse, ach! vielleicht unübersteigliche Hindernisse, ich noch vor mir finden werde! Ich versichere[110] dich, wenn die Versprechungen der Fee Radiante mir nicht den Mut erhielten, die Gedanken, die mich in diesem Augenblick quälen, wären fähig, mich zur Verzweiflung zu treiben.

Da sei Gott vor und unsre Frau von Guadalouppe, rief Pedrillo, ihr macht einem ja recht bange. Aber wenn es nur Gedanken sind, warum jagt ihr sie nicht fort? Zum Henker, das heißt ja sich selber quälen! Seht ihr, gnädiger Herr, wenn ich gesund bin und mir nichts weh tut, und ich zu essen und zu trinken habe, so bin ich so lustig wie der Vogel auf dem Zweige, und bekümmere mich nicht so viel darum, ob es morgen Regen oder schön Wetter geben wird.

Sage mir einmal, erwiderte Don Sylvio mit einem tiefen Seufzer, wie kann ich aufgeräumt, ja wie kann ich nur ruhig sein, so lange meine geliebte Princessin in der Gestalt eines Sommervogels herum irret, in einer Gestalt, die vielleicht unter allen möglichen für meine Liebe die gefährlichste ist?

Gefährlich, sagt ihr, gnädiger Herr? das begreif ich nicht, was an einem Sommervogel gefährliches sein kann, denn ihr habt mir ja gesagt, daß sie von den Krähen und Dohlen nichts zu besorgen hat.

Die Fee schmeichelte mir zwar, fuhr Don Sylvio fort, daß die Princessin mich liebe; aber wer versichert mich, daß eine Neigung, die gewisser maßen die Frucht eines einzigen flüchtigen Augenblicks war, gegen die Nachstellungen aushalten werde, die ihrem Herzen – –

Je, zum Deixel, unterbrach ihn Pedrillo, redet ihr im Schlaf, Herr, oder wißt ihr auch was ihr sagt? Die Gestalt eines Sommervogels ist eine gefährliche Gestalt, und ihr fürchtet euch vor den Nachstellungen, womit man, so lange sie ein Schmetterling ist, ihrem Herzen nachstellen wird! Hab ich auch in meinem Leben so was gehört? Es scheint meiner Six wohl! daß verliebt und nicht gescheit sein, ein Ding ist. Eifersüchtig; Ihr müßt also auf die Sommervögel eifersüchtig sein, die ihr in dieser Gestalt zu nahe kommen könnten? Verzweifelt! was das für ein schnakischer Einfall ist. Hi, hi, hi! auf einen Sommervogel eifersüchtig! hi, hi! das kommt ja gerade so heraus, als wenn ihr auf die Flöhe eifersüchtig sein wolltet, die sich unter ihren Unterröckchen[111] lustig machen werden, wenn sie wieder eine Princessin ist, hi, hi, hi!

Höre, Pedrillo, mein Freund, versetzte Don Sylvio sehr ernsthaft, ich merke schon lange, daß du den Spaßvogel machen willst; aber laß dir ein für allemal gesagt sein, daß nichts unerträglichers in der Welt ist, als Leute, die zur Unzeit spaßhaft sind. Sage mir einmal, hast du die Geschichte des Blätter-Prinzen oder des Prinzen von der Insel des ewigen Frühlings gelesen?

Des Blätter-Prinz? Nein wahrlich, Herr, antwortete Pedrillo, den kenn ich nicht: das ist das erste mal daß ich seinen Namen höre.

Du kennest also, fuhr Don Sylvio fort, die Insel der Papilions auch nicht? – –

Die Insel der Papilions, sagt ihr? das ist ja so viel, als wenn einer sagte, die Insel der Sommervögel? – –

Gewisser maßen, antwortete Don Sylvio. Du mußt also wissen, daß diese Papilions eine Art von geflügelten Genien sind, an Gestalt und Schönheit den Liebesgöttern oder kleinen Sylphen ähnlich, und von ungemein verliebter Natur, aber so flüchtig und unbeständig, daß sie immer von einem Gegenstand zum andern flattern. Kaum hat ein solcher Papilion einer Schönen eine ewige Treue geschworen, so eilt er schon, um einer andern zu sagen, daß er noch nichts geliebt habe als sie; Kurz, der nämliche Tag, ja oft die nämliche Stunde sieht ihre Flammen entglimmen, brennen und erlöschen, und ihre Liebe ist nicht so bald glücklich, so ist sie nicht mehr.

Das ist mir eine närrische Art zu lieben! Sie können also reden diese Papilions?

Ich sage dir ja, daß es keine gemeine Papilions, sondern eine Art von Sylphen sind, welche nach dem Bericht eines gewissen Arabischen Naturkündigers aus der verstohlenen Liebe einer gewissen Sylphide zu einem jungen Faunen, entsprungen sein sollen. Die überirdische Schönheit, die immerwährende Jugend und die etherische Behendigkeit, womit sie begabt sind, haben sie von mütterlicher Seite her, so wie sie von der väterlichen ihre Art zu lieben, ihre Verwegenheit und ihren Unbestand geerbt haben. – –

Ha, ha! Nun besinn ich mich, rief Pedrillo, gut, gut! Nun weiß ich, wovon ihr redet. Ich habe ja in dem großen Gemälde,[112] das in der gnädigen Frauen ihrem Cabinet hängt, dergleichen geflügelte Bübchen wer weißt wie oft gesehen! ihr kennt es ja, es stellt die Liebe des Florus und der Zephira – –

Umgekehrt, Herr Pedrillo, du willst sagen, des Zephyrus und der Flora – –

Ja, ja, so wollt ichs eben sagen, des Florus und der schönen Zephira vor: sie ist in der Tat schön, meiner Six; Ich hatte nie das Herz, es recht anzuschauen; denn unser Vicarius sagt, es sei Sünde, wenn man so was anschaue – Aber ich weiß doch wohl, was ich weiß; der hat gut sagen, der allein reden darf; unter uns, gnädiger Herr, der gute Herr Vicarius ist eben auch nicht von Stahl und Eisen, er täte vielleicht nicht übel, wenn er sich selber ein wenig bei der Nase nehmen wollte. Solltet ihr wohl erraten, bei wem ich ihn neulich von ungefähr (denn gewiß! mit Willen geschah es nicht,) antraf? beider dicken Maritorne! Sapperment, Herr, er betete das Pater noster nicht mit ihr, das könnt ihr mir glauben; ich mag nicht reden, wenn es weiter käme, so könnte sich einer die Zunge verbrennen, daß einer lieber wünschte, er hätte keine Augen gehabt; ich will nur so viel sagen, gnädiger Herr, ihr dürft mir gewiß glauben, daß es wahr ist, aber das sag ich, ich gesteh euch kein Wort ein, wenn es weiter käme, nein, hol mich Gott! nicht auf der Folter! Meiner Six, es ist nicht gut, wenn man von solchen Herren zuviel weißt, ihr versteht mich wohl – –

Aber was hast du denn gesehen, fragte Don Sylvio?

O! Sapperment, gnädiger Herr, antwortete Pedrillo, verzeiht mir, ich schäme michs zu sagen; seht ihr, weil es Maritorne war, so war es auch gar zu arg. Ja wenn es noch Frau Beatrix gewesen wäre. – –

Genug hievon, sagte Don Sylvio errötend, ich will nichts weiter wissen – Aber was wolltest du von dem Gemälde sagen?

Ja, von dem Gemälde, wenn ich michs jetzt noch besinnen kann – he! Nun fällt mirs ein, ich sagte euch, und ich will nicht ehrlich sein, wenns nicht wahr ist, ich getraute mir nie, daß ichs recht angesehen hätte; es ist so vorgestellt, als ob sie bade, und da könnt ihr leicht denken, weil sie halter meint, daß sie allein sei, und es mitten im Sommer ist, kurz und gut, sie hat, mit Gunst zu sagen, keinen Fetzen am Leibe, nicht einmal eine Bad-Ehre;[113] und da ist ihr Liebhaber, der Florus, auf einer Wolke vorgestellt, und sieht so ernstlich auf sie herab, als ob er sie mit den Augen verschlingen wolle, und da flattern eine ganze Menge von diesen kleinen Bübchen mit Schmetterlings-Flügeln um ihn her; und werfen einander mit Rosen. – –

Gut, gut, sagte Don Sylvio, du mußt aber wissen, daß diese Papilions durch die Gewalt einer Bezauberung, welche Amor, dessen Unwillen sie sich zugezogen, auf sie legte, ihre Gestalt verlieren, so bald sie sich über die Insel erheben, wo sie geboren werden. Kurz, sie werden Schmetterlinge, oder scheinen es doch zu sein, da ihnen von ihrer eigentümlichen Gestalt nichts als die Flügel übrig bleiben. In dieser Gestalt mischen sie sich unter die wahren Schmetterlinge, und bedienen sich ohne Scheu der Vorrechte, die eine Vestalin selbst sich kein Bedenken macht, diesen kleinen unschuldigen Tierchen zu lassen; und ihre unwiderstehliche Neigung zu Liebes-Streichen hat sie selbst in dieser Gestalt schon öfters gefährlicher gemacht als man denken sollte. Denn da sie reden können – –

Reden? Fiel ihm Pedrillo ein, je das muß ja überaus schnakisch heraus kommen, wenns wahr ist, beim Velten! Ein redender Schmetterling! ich möchte nur einen einzigen haben, der reden könnte; ich versichere euch, ich wollte in vier Wochen so viel Geld mit ihm gewinnen, daß ich den König fragen könnte, ob ihm Valencia feil sei. Aber nun merk ich endlich, warum Eu. Gnaden nicht recht wohl bei der Sache ist. Ihr habt, wahrhaftig, so unrecht nicht; ein Papilion, der reden kann, der eine Sylphe ist, der eh man sichs versieht, sich in einen schönen krauslockichten Buben verwandelt, potz Wetter! das ist kein Spaß nicht! Es ist doch immer eine Möglichkeit, daß die Princessin in Bekanntschaft mit einem von diesen kleinen bunten Teufelchen kommen könnte; und dann setzten sie sich miteinander auf einen Strauch, und schwatzen eins so lange der Tag wäre; und dann gibt eine Rede die andre, sagte das Bauer-Mädchen, und dann rückt man unvermerkt immer näher und näher zusammen, und dann – versteht ihr mich, ich will nicht sagen, was weiter geschehen könnte. Aber wir sind alle Menschen, und es käme nur darauf an, daß das arme Ding einen Augenblick vergäße, daß sie eure Liebste ist, so würden wir ein schönes Spiel sehen. – –[114]

Wenn ich nicht wißte, rief Don Sylvio entrüstet, daß du selbst nicht weißt, was du plauderst, so solltest du mir die tolle Frechheit, womit du dich erkühnest, die Tugend meiner unvergleichlichen Princessin anzuschmitzen, mit jedem Tropfen deines dummen Ochsen-Bluts bezahlen. – –

Ich bitte Euer Gnaden tausendmal um Vergebung, sagte Pedrillo, indem er etliche Schritte zurück sprang; ich will gehangen sein, wenn ich es so bös gemeint habe, als ihr mir es aufnehmt; ihr erzürnt euch ja gleich, wenn ich nur ein Wörtchen sage. Man kann doch einen Pelz nicht waschen, ohne ihn naß zu machen, Sapperment! Entweder seid ihr eifersüchtig oder nicht; seids ihrs, so müßt ihr doch eine Ursach dazu haben, und wenn ihr keine Ursach habt, je! zum Geier, was macht ihr mit der Eifersucht?

Wenn ich eifersüchtig bin, wie du es nennst, versetzte Don Sylvio, so bin ich es bloß über ihr Herz, nicht als ob ich besorgte, daß sie fähig wäre einen Schritt zu tun, der ihre Tugend verdächtig machen könnte; sie ist für mich bestimmt, dafür hab ich das Wort der Fee Radiante, und die Princessin weißt es, daß sie die meinige werden soll; ich bin also ihrer Person gewiß, und ich würde mich selbst verachten, wenn nur der Schatten eines Argwohns gegen ihre Ehre in meine Seele kommen könnte; unsere Person ist allezeit in unserer Gewalt, aber unsere Empfindungen sind es nicht; ein andrer könnte ihr Herz besitzen, indem ich nichts als der Besitzer ihrer Schönheit wäre. – –

Ich will nicht ehrlich sein, Herr Don Sylvio, fiel ihm Pedrillo ein, wenn ich verstehe, was ihr da sagt, was wollt ihr denn mit eurem Herzen, und mit eurer Person und mit euren Empfindungen sagen? Je, beim Element! wenn ich die Person habe, so habe ich ihr Herz, und wenn ich das Herz habe, so habe ich die Person, das geht ja nie ohne einander. Seht ihr, Herr, ich verstehe mich nichts auf eure Distillationen, aber ich sage so viel, wenn ich eine Frau hätte, die mich nicht von Herzen lieb hätte, so würde mir die Stirne verzweifelt jucken, wenn sie gleich die Tugend selbst wäre; wer einmal das Herz eines Weibsbilds hat, seht ihr, – Sachte! was war das für ein Geräusch? Hörtet ihr nichts, Herr?

Nein; was hörtest du denn?[115]

Es war ein Geräusch; dort von jener Seite her, aus dem Gebüsche. – –

Es ist vielleicht ein Vogel gewesen. – –

Der Himmel gebe nur, daß es kein Raubvogel sei, gnädiger Herr – jetzt ist es wieder ganz stille, und, was wollt ich sagen? Wir redeten von eurer Eifersucht; ja, und da sagt ich – es rauscht schon wieder – heiliger Schutzengel; was kommt da? Gott sei bei uns, Herr, eine Zwergin! eine Unholdin!

Stille, du feige Memme, lispelte ihm Don Sylvio zu, der jetzt sahe, was den guten Pedrillo in einen so großen Schrecken setzte; es ist, wie ich sehe, eine Fee. – –

Eine Fee, sagt ihr? Ja von den Feen, die auf der Gabel zum Schornstein hinaus fahren – Meiner Treu! Sie sieht einer Hexe ähnlicher als eine Taube ihrem Tauber – –

Halt ein mit dergleichen Reden, Pedrillo; es ist möglich, daß es eine von meinen guten Freundinnen ist! die schönsten Feen pflegen zuweilen in Gestalt häßlicher alter Weiber zu erscheinen, um zu sehen, wie man ihnen in dieser Gestalt begegnet. – –

Ha! nun seh ich erst was es ist, rief Pedrillo, ha, ha, hi! Eine Zigeunerin ist es, Herr, seht sie nur recht an, es ist eine Zigeunerin, das ist keine Frage. Sie kömmt eben recht, sie soll uns unser gutes Glück sagen. – –

Nimm dich in acht, Pedrillo, sagte Don Sylvio leise zu ihm, es ist eine Fee, sag ich dir; wenigstens ist es doch möglich, daß es eine ist, und in solchen Sachen ist immer besser, man gehe den sichersten Weg; sie mag nun sein was sie will, so wollen wir ihr doch als einer Fee begegnen, so wagen wir doch nichts dabei.

Unter diesen Reden näherte sich ihnen die vermeinte Fee, welche in der Tat weder mehr noch weniger als eine alte bucklichte Zigeunerin war, die nicht ohne Ursach in dieser Gegend herum spückte, und zum wenigsten eben so betroffen war, als unsere Wanderer, da sie eines jungen Menschen von so edlem Ansehen als Don Sylvio war, in diesem Gehölz, und in einem solchen Aufzug ansichtig wurde.[116]

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 1, München 1964 ff., S. 108-117.
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