Eilftes Capitel
Eines von den gelehrtesten Capitel in diesem Werte

[139] Der Geschmack der Leute in der Welt ist so verschieden, daß wir nicht davor stehen können, ob sich nicht Leser finden werden, die sich für die Dame Laura, ob sie gleich nur eine Schöne von der zweiten Classe, oder, um uns gelehrt auszudrücken, eine Dea minorum Gentium ist, vielleicht stärker interessieren als für ihre Gebieterin selbst. Sollte es solche Liebhaber geben, so werden sie vermutlich nicht wohl auf uns zu sprechen sein, daß wir ihnen nicht auch einen Auszug der Geschichte der schönen Laura mitteilen. Allein wir ersuchen sie; sich zu erinnern, daß wir bereits so viel von diesem jungen Fraueuzimmer gesagt haben, als man nötig hatte, um zu sehen, daß sie eine artige, hübsche, witzige und ziemlich lebhafte kleine Person war, und dieses ist, deucht uns, das merkwürdigste, was wir von ihr sagen konnten. Denn was ihre Geschicht betrifft, so war sie ein Kammer-Mädchen, und die Geschichte der Kammer-Mädchen[139] ist, wie man weiß, wenigstens nach dem ordentlichen Lauf der Natur, in der ganzen Welt eine und eben dieselbige.

Der berühmte P. Sanchez merket in seinem eben so keuschen als lehrreichen Buche, de Matrimonio an, daß eine angehende Liebe anders auf eine junge Witwe, und anders auf ein junges Mädchen würke; die erste, sagt er, wird davon munter, aufgeweckt, mutwillig; da man hingegen an der andern ein in sich selbst hinein gezogenes Staunen, und eine stille Schwermut bemerkt, welche (setzt dieser vortreffliche Mann hinzu) die Würkung des geheimen innerlichen Abscheus ist, den die Seele vor der Gefahr empfindt, aus dem glorreichen Stande der Engel herab zu stürzen, und in eine grobe materielle Leidenschaft zu sinken, die in ihren Folgen endlich zu einer so unanständigen Verkörperung führt, als diejenige ist, wodurch die Welt mit Sünden bevölkert wird.

Wir haben eine zu tiefe Ehrfurcht für die H. Inquisition, als daß wir uns unterstehen sollten, einen so großen Mann auch nur des kleinsten Irrtums zu beschuldigen; wir wollen also lieber sagen, die Natur habe sehr unrecht getan, daß sie, ohne die geringste Achtung für die Autorität eines Mannes, der so viel neue Sünden erfunden hat, in der schönen Felicia und ihrer Vertrauten gerade das Widerspiel von seiner Beobachtung zu würken sich erkühnt habe. Denn so widersinnisch es immer scheinen mag, so gewiß ist es, und so wenig können wir leugnen, daß auf der Reise nach Lirias, wovon jetzt die Rede ist, die junge Witwe staunend und stillschweigend, und das Mädchen, ungeachtet der Gefahr, vor der ihrer jungfräulichen Seele hätte schauern sollen, so fröhlich und bei so guter Laune war, daß die allerseraphischste Schwester der H. Clara in Versuchung hätte geraten mögen, sich an ihren Platz zu wünschen. Sie hatten bereits ein ziemliches Stück Weges zurück gelegt, ohne daß Donna Felicia, so begierig auch die muntere Laura auf das Signal wartete, ihren Einfällen Luft zu machen, nur einen einzigen Laut von sich gegeben hätte; es wäre dann, daß man einen Seufzer hieher rechnen wollte, der ihr ungefähr entwischte, eigentlich zu reden aber nur ein Fragment von einem Seufzer war, indem sie ihn eben noch früh genug ertappt hatte, um zwei Drittel davon in ihren verschwiegenen Busen zurück zudrücken.[140]

Endlich konnte es Laura, die für ein Kammer-Mädchen außerordentlich lange geschwiegen hatte, nicht länger aushalten; sie machte den Anfang mit einer Frage, die wieder eine andre nach sich zog, und so erhub sich nach und nach zwischen ihr und ihrer Gebieterin oder Freundin, (denn sie war in der Tat beides) eine Unterredung, die wir unsern geehrten Lesern von Wort zu Wort mitteilen wollen, wie Pedrillo sie in der Folge aus den corallenen Lippen seiner Nymphe unmittelbar vernommen zu haben, uns selbst versichert hat.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 1, München 1964 ff., S. 139-141.
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