Drittes Capitel
Innerliche Anfechtungen des Don Sylvio

[201] Don Sylvio, dem das Gewäsche des Pedrillo beschwerlich war, bediente sich des Vorwands, daß er während der Nachmittags Hitze ein paar Stunden ruhen möchte, um ihn zum schweigen zu bringen. Er stellte sich als ob er schliefe, und Pedrillo folgte seinem Beispiel bald darauf in vollem Ernst; aber Don Sylvio war zu unruhig, als daß er hätte schlafen können. Tausend quälende Gedanken, die wider seinen Willen in ihm aufstiegen, brachten ihn endlich so weit, daß er zum erstenmal ein Mißtrauen in die Wahrheit seiner Einbildungen zu setzen anfing. Wie? dacht er, wenn die Erscheinung, die ich von der Fee Radiante zu haben glaubte; ein bloßes Spiel einer erhitzten Phantasie gewesen wäre? Je mehr er dieser Vermutung nachsann, je wahrscheinlicher fand er sie, und die unglückliche Begebenheit mit den Gras-Nymphen, die er nun ziemlich geneigt war für das zu halten, was sie würklich waren, trieb diese Wahrscheinlichkeit in etlichen Minuten bis zur Gewißheit hinauf; denn es schien ihm unbegreiflich, daß ihn die Fee Radiante den Fäusten und Knitteln dieses groben Bauergesindels preis gegeben haben würde, wenn sie ihm würklich ihren Schutz versprochen hätte.

Diese Zweifel ängsteten ihn unaussprechlich, er raffte alle seine Kräfte zusammen, sich ihrer zu erwehren, aber sie kamen immer mit verdoppelter Stärke wieder, und der Aufruhr, den sie in einem Gehirn erregten, ward zuletzt so wild, daß der Überrest von Vernunft, den ihm die Feerei noch gelassen hatte, in größter Gefahr war, vollends darüber verloren zu gehen.

In diesen betrübten Umständen war das Bild seiner geliebten Schäferin das einzige, was in seiner von Zweifeln gleichsam überschwemmten Seele noch empor ragte, und im allgemeinen Umsturz seiner Ideen unerschüttert blieb. Wenn auch alles andre Einbildung ist, rief er, so weiß ich doch gewiß, o! du namenlose Unbekannte, daß es keine Einbildung ist, daß ich dich liebe. Es mag nun eine Fee sein, die dein Bild in meinen Weg gelegt hat, oder ein glückliches Ungefähr mag es dahin geworfen haben, du magst eine Princessin oder Schäferin sein, du magst[201] für mich bestimmt sein, oder einst von einem glücklichern, als ich geliebt werden, du, die jetzt die schönste unter den Nymphen des Himmels bist: Wenn mein Verhängnis es so will, daß ich, deiner beraubt in Hoffnungloser Liebe verschmachten soll, so ist doch keine Gewalt, die dein Bild aus meiner Seele reißen kann. Ich will dich suchen, durch alle Länder und Meere des Erdkreises, von einem Pol zum andern, vom ewigen Schnee der Cimmerischen Gebürge, bis in die glühenden Zonen, wo kein schattender Baum, keine kühle Quelle die brennende Hitze mildert, und wenn ich dich nicht finde, und die Erde dich, ihre schönste Zierde schon verloren hat; was kann mich hindern, daß mein verlangender Geist von der Gewalt seiner unsterblichen Liebe empor gezogen, von Sphäre zu Sphäre irre, dich da zu suchen, wo deine Schönheit alle die namenlose Schönheiten des Ethers verdunkelt, oder herab in die unterirdischen Gegenden steige, und unter den Schatten dich suche, die von deinen Augen angestrahlt den Verlust des Tages nicht mehr beklagen, und ein süßes Vergessen aller andern Wünsche aus deinen Blicken saugen.

Diese Dithyrambische Einfälle, so närrisch sie unsern weisen Lesern vorkommen mögen, machten eine sehr heilsame Würkung auf unsern Helden; denn er schlummerte unvermerkt darüber ein, und das war in seinen dermaligen Umständen das beste, was ihm begegnen konnte. Denn was kann der Unglückliche bessers tun als schlafen?

Don Sylvio fand diesmal in seinem Schlummer einen gedoppelten Vorteil, das Vergessen seines Kummers, und die Glückseligkeit eines angenehmen Traums, der wenigstens so lang er daurte, alle Würkungen der Wahrheit hatte. Es deuchte ihm, er sehe seine geliebte Princessin, aber nicht in Gestalt einer Schäferin oder eines Sommervogels, sondern in ihrer eigenen, wie eine Göttin geschmückt; sie lag auf einer rosenfarben Wolken, die nahe bei ihm über dem Boden schwebte, und besprach sich eine geraume Zeit mit ihm; sie munterte ihn auf, den Mut nicht sinken zu lassen, und den Hindernissen großmütig zu widerstehen, die ihre Feinde ihrem Glück in den Weg legten; sie versicherte ihn, daß die Zeit nicht lange mehr verziehen werde, da sie die Gestalt, worin sie ihm jetzt sich zeige, durch[202] ihn selbst wieder erhalten würde, und setzte auf eine eben so zärtliche als verbindliche Art hinzu, sie wünschte noch tausendmal liebenswürdiger zu sein, um ihn für alles Ungemach belohnen zu können, womit er ihren Besitz erkaufen müsse. Don Sylvio wollte ihr eben diejenige Antwort hierauf geben, die ein jeder Liebhaber auf eine so schmeichlende Erklärung bereit hätte, als sie wieder verschwand.

Dieser Umstand war freilich gerade der unangenehmste in seinem ganzen Traume; aber das Vergnügen sie gesehen zu haben, und der liebliche Ton ihrer Tröstungen, der noch um sein entzücktes Ohr säuselte, machte ihn für alles schmerzhafte unempfindlich. Er vergaß aller seiner überstandenen Trübsale, verachtete alle künftige, und war jetzt nur begierig eine Reise fortzusetzen, wovon jeder Schritt ihn dem Ziele seiner Sehnsucht näher brachte. Er weckte also den Pedrillo, und nachdem er ihm voller Freuden seinen Traum erzählt hatte, befahl er ihm sich unverzüglich reisefertig zu machen.

Beim Sanct Velten, rief Pedrillo, das ist doch artig, wie unsre Träume in einander passen! Ihr habt eine Erscheinung von der Princessin gehabt und ich vom Sylphen-Mädchen. Es kam mir vor, ich fände sie an dem nämlichen Orte, wo ihr gestern schliefet, unter den Rosen liegen; aber ihre Frau, die Fee, war nicht dabei, und jetzt reuet es mich, daß ich sie nicht nach ihrem Namen fragte; aber wir hatten so viel andere Dinge zu schwatzen, daß ich es vergaß. Sapperment! die Zeit verging, daß ich nicht wußte, wo sie hinkam; wir waren wohl drei bis vier Stunden beisammen, denn die Sonne ging unter, ohne daß wirs gewahr wurden, und doch deuchte michs nur ein Augenblick; es war mir nicht anders als ob ich selbst ein Sylphe wäre; wenn es mir das Leben gälte, so könnt ich euch nicht beschreiben, wie mir war, aber das ist gewiß, daß mir in meinem Leben nie so zu Mute gewesen ist. Sagt ich nicht, das Glück würde uns auch einmal wieder anlachen? Diese Träume kamen gewiß nicht so von ungefähr; wer weiß was geschehen kann? Die Frau Rademante will es vielleicht auf einmal wieder einbringen, was sie bisher versäumt hat. Wir wollen sehen, sagte der Blinde: das Blatt kann sich schnell wenden. So viel versichere ich euch, Herr, wenn ich einmal den grünen Zwerg unter mich kriege,[203] wie ich hoffe und glaube, so soll er die Rippen-Stöße mit Wucher wieder kriegen, womit er uns heute bedient hat, darauf kann er sich verlassen.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 1, München 1964 ff., S. 201-204.
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