Achtes Capitel
Streit zwischen der Liebe zum Bilde und der Liebe zum Original

[220] Die schimmernde Pracht des Speisesaals, worin man sich versammlete, die Menge der Wachslichter, womit er erleuchtet war, die Kostbarkeit des Tischgerätes, die Niedlichkeit der Mahlzeit, die Verschiedenheit der ausgesuchtesten Weine, alles dieses würde unsern Helden, der in einem Feen-Schlosse zu sein glaubte, auch in andern Umständen nicht in die geringste Verwunderung gesetzt haben, ob es gleich das erstemal war, daß er eine solche Pracht außerhalb seiner Einbildung sah. Nun aber, da Donna Felicia sich seiner ganzen Aufmerksamkeit bemächtiget[220] hatte, wäre er leicht zu bereden gewesen, in einer Stroh Hütte, worin er sie gesehen hätte, sich im Palast der Fee Lüminöse zu glauben.

Die schöne Felicia konnte nicht die letzte Person sein, die den Eindruck bemerkte, den sie auf ihn machte; und weil sie sich ihres Sieges nicht genug versichern zu können glaubte, so nahm sie sich vor, alle ihre Reizungen zu vereinigen, um ihm eine schlaflose Nacht zu machen. Eine angenehme Symphonie, die sich unter der Tafel hören ließ, ohne daß man sah woher, und wovon also Don Sylvio ohne Anstand den Sylphen die Ehre gab, von denen die Feen-Paläste bedient zu werden pflegten, gab ihr Gelegenheit, nach Endigung der Mahlzeit, ihre eigene Geschicklichkeit hören zulassen. Die junge Hyacinthe glaubte sich übertroffen zu sehen, und würde sich also niemals haben einfallen lassen, der Donna Felicia das unbegrenzte Lob streitig zu machen, womit sie der bezauberte Sylvio überschüttete. Aber Don Eugenio war zu eifersüchtig über die Lieblings-Talente seiner jungen Freundin, um seine Schwester in dem ruhigen Besitz eines so großen und ungeteilten Beifalls zu lassen.

Er ließ also nicht ab, bis sie sich erbitten ließ sich mit der schönen Felicia in einen Wettstreit einzulassen, der in einer Gesellschaft wie diese war, nicht anders als das allgemeine Vergnügen befördern könnte. Die beiden Damen schienen wider die Gewohnheit ihres Geschlechts einander den Vorzug mit einer so ungezwungenen Gutherzigkeit beizulegen, daß man Mühe hatte, an ihrer Aufrichtigkeit zu zweifeln; Don Gabriel fand, daß es dem Paris leichter gewesen unter den drei Göttinnen einer den goldnen Apfel zuzusprechen, als den Ausspruch zu tun, welche unter diesen zweien allzu liebenswürdigen Musen an Schönheit der Stimme und des Gesangs, an Behendigkeit der Finger und an Geschicklichkeit sich aller Zauber- Kräfte der Harmonie nach ihrem Belieben zu bedienen, einen Vorzug vor der andern habe, und selbst die Liebhaber, so ausgemacht dieser Punct bei jedem war, gestunden doch, daß wenn es ja möglich sei eine von beiden zu übertreffen, Donna Felicia nur von Hyacinthen, und Hyacinthe nur von Donna Felicia übertroffen werden könne.

Unsere kleine Gesellschaft hatte so wenig lange Weile, bei[221] dieser Art von Unterhaltung, und die Damen waren so gefällig, daß die anbrechende Morgen-Dämmerung sie endlich erinnern mußte, daß es Zeit sei schlafen zu gehen.

Wir wissen nicht, ob außer Don Gabriel, der sich in einem Alter von vierzig Jahren bereits über die bewölkte und stürmische Gegend der Leidenschaften in die immer heitere Höhe einer beinahe stoischen Seelen-Ruhe empor gearbeitet hatte, sich jemand von den übrigen die guten Wünsche zu Nutze gemacht, die sie einander deswegen taten. Was wir gewiß wissen, ist, daß Don Sylvio sich noch niemals in einem Zustande befunden hatte, der dem Schlaf weniger günstig gewesen wäre. In der Entzückung, die ihm noch immer gebunden hielt, merkte er nicht einmal, daß sich, an statt des guten ehrlichen Pedrillo, den er weder sah noch vermißte, ein paar junge Edelknaben in seinem Vorzimmer befanden, die sich der Ehre anmaßten ihn auszukleiden, und er war es würklich schon, ehe er sich besann, daß er nicht ausgekleidet sein wollte. Nachdem er nun die Knaben, die er seiner Gewohnheit nach zu Sylphen erhob, entlassen hatte, kleidete er sich wieder an, warf sich, der Morgen-Röte gegen über in einen weichen Lehnstuhl, und überließ sich noch eine geraume Zeit, mit einem Vergnügen, wovon nur wenige sich einen Begriff machen können, dem Anschauen des reizenden Gegenstandes, der noch immer, wie gegenwärtig vor seiner bezauberten Seele schwebte. Allein er mußte doch endlich aus dieser wachenden Träumerei erwachen, und nachdem er wieder zu sich selbst gekommen war, fing er an sich zu befragen, was er von allem dem, was ihm in diesem Palast begegnet war, denken sollte. Er glaubte sichs bewußt zu sein, daß es weder ein Traum, noch eine Erscheinung von derjenigen Art, wie er schon gehabt hatte, gewesen sei. Aber was er aus der Beherrscherin dieses Palasts machen sollte, ob es eine Fee, eine Sterbliche, eine Göttin, oder wohl gar seine Princessin selbst sei, wie die Ähnlichkeit, die sie mit dem verlornen Bildnis hatte, ihn zu bereden schien, darüber konnte er sich nicht mit sich selbst vergleichen; Zwar stimmte diese letzte Vermutung so sehr mit seinen Wünschen überein, daß er sich eine gute Weile bemühte, sie wahrscheinlich zu finden; allein bei genauerer Überlegung, fand er diese Hypothese mit so vielen Schwierigkeiten[222] umgeben, daß er sie wieder fahren ließ. Vielleicht ist sie eine Anverwandte meiner Princessin, dachte er, oder in der nämlichen Constellation und unter den Einflüssen der nämlichen Aspecten geboren, oder sie hat diese Ähnlichkeit aus geheimen Ursachen nur angenommen, oder es ist wohl gar nur ein süßer Irrtum meines Herzens, das von irgend einem ähnlichen Zug verführt, diejenige zu sehen glaubt, die es überall zu sehen wünscht. Nach langem Nachdenken schien ihm das letztere das wahrscheinlichste, weil es mit der Treue, die er seiner Geliebten zu halten entschlossen war, sich am besten zu vertragen schien. Auf diese Art bewunderte er bloß seine Princessin in Donna Felicia, und er schloß sehr scharfsinnig, wie reizend, bezaubernd, überirdisch, göttlich, und wofern es möglich wäre, mehr als göttlich die Vollkommenheiten seiner Princessin sein müßten, da eine schwache Ähnlichkeit mit ihr diese Fee schon so reizend in seinen Augen machte.

Um diesem Schlusse desto mehr Stärke zu geben, strengte er die äußerste Macht seiner Phantasie an, sich die vermeinte Princessin noch reizender, liebenswürdiger und vollkommener einzubilden als Donna Felicia; aber, es sei nun, daß die Einbildungs-Kraft nicht im Stande ist etwas vollkommeners hervor zu bringen als die Natur, oder daß ihm die Liebe hierin einen ihrer gewöhnlichen Streiche spielte: gewiß ist, das Bild der schönen Felicia stand jedesmal an der Stelle der Princessin, und alle seine Bestrebungen, sich dieselbe unter andern Zügen vorzustellen, waren vergeblich.

Dieser Umstand setzte ihn in keine geringe Verlegenheit, ohne sein eigenes Herz in Verdacht zu ziehen, fing er an, über die Bezauberung, welche Donna Felicia über seine Seele auszuüben schien, mißtrauisch zu werden. Er geriet auf allerlei seltsame Einfälle, die er wechselsweise bald verwarf, bald wahrscheinlich fand, und nachdem er sich lange über die Maßregeln, die er zu nehmen hätte, bedacht, deuchte ihn zuletzt das sicherste zu sein, sich so bald als möglich, oder wenigstens, so bald als er Ursache finden würde seinen Argwohn für gegründet zu halten, aus diesem gefährlichen Schlosse zu entfernen.[223]

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 1, München 1964 ff., S. 220-224.
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