27.
Demokles an Aristipp.

[197] Dein Rath kam zu spät, Aristipp. Die Freunde der Freiheit, unter welchen eine beträchtliche Anzahl entschloss'ner[197] Männer war, sind auf einmal aus dem Nebel der Verborgenheit hervorgetreten. Evagoras, den du als einen ehrgeizigen und unternehmenden Mann kennen wirst, hat Mittel gefunden sich an ihre Spitze zu stellen. Sie haben sich versammelt, verschiedene kräftige Vorkehrungen für die öffentliche Sicherheit getroffen, und die Häupter der drei Factionen, jeden insbesondere, zu einer förmlichen Erklärung über die Absicht ihrer, schon lange nicht mehr geheimen, Zurüstungen aufgefordert. Man hat einander eine Zeit lang mündlich und schriftlich mit allerlei Ausflüchten, und als diese erschöpft waren, mit Vergleichungsvorschlägen aufgezogen. Wie aber die Demokratische Partei in vollem Ernst erklärte, daß sie sich selbst so lange als die rechtmäßigen Beschützer der Gesetze und der Freiheit ansehen und benehmen würden, bis die Oligarchen die Waffenvorräthe, womit sie ihre Häuser, gewiß zu keinem unschuldigen Gebrauch, angefüllt, ausgeliefert, alle ihre Aemter niedergelegt und der allgemeinen Bürgerversammlung Treue und Gehorsam geschworen haben würden, machten (wie leicht vorherzusehen war, und doch nicht vorhergesehen wurde) die Triumvirn, Alcimedon, Hippokles und Ariston, plötzlich Friede unter einander und gemeine Sache gegen den gemeinen Feind, mit der Uebereinkunft, wenn sie die Oberhand erhalten hätten, die Regierung des Staats gemeinschaftlich zu führen.

Die Götter haben uns nicht begünstiget, Aristipp. Es kam in diesen Tagen zu einem wüthenden Gefecht auf dem großen Marktplatze. Die Triumvirn, welche außer einem Trupp schwerbewaffneter Reiterei, einige Hundert Kretische[198] Söldner und den ganzen Cyrenischen Pöbel auf ihrer Seite hatten, überwältigten uns endlich nach einem langen verzweifelten Widerstand, durch ihre Ueberlegenheit an Waffen und Anzahl. Etliche Hundert der feurigsten Patrioten fielen, mit rühmlichen Wunden bedeckt; der Ueberrest hielt es für Pflicht, sich dem Vaterlande auf einen glücklichern Tag aufzusparen, und rettete sich durch die Flucht.

Du vermuthest ohne Zweifel voraus, daß die Sieger sich ihres Glücks, anstatt mit Mäßigung, mit aller Grausamkeit bedienen, die von übermüthigen und mißtrauischen Tyrannen zu erwarten ist. Die Gefängnisse sind mit Personen von allen Ständen, die man für verdächtig hält, angefüllt, und reich zu seyn, oder dafür zu gelten, ist schon allein mehr als hinlänglich, um den raubgierigen Herrschern und ihren Günstlingen verdächtig zu seyn. Die entflohenen Patrioten werden für vogelfrei erklärt, ihre Anverwandten aus der Stadt verbannt, und ihre Güter eingezogen. Alle unsre Hoffnung beruht nun – auf unserer Verzweiflung, und auf der alten Erfahrung, daß Räuber, wie eifrig sie auch, um Beute zu machen, zusammengehalten haben, gewöhnlich über der Theilung zerfallen. Wir haben uns indessen nach und nach wieder zusammengefunden, und uns im Gebirg, an der Gränze der Cesammonen, eines festen Postens bemächtiget, wo wir, täglich durch Verbannte oder Flüchtlinge verstärkt, uns so lange zu halten hoffen, bis uns etwa ein günstiger Stern eine Wahrscheinlichkeit zeigt, die Befreiung des Vaterlandes mit besserm Erfolg zu unternehmen. Vielleicht ist mir einer von den Deinigen (deren leider! keiner auf unsrer Seite stand)[199] mit Nachrichten von diesen Ereignissen bei dir zuvorgekommen; denn die Nothwendigkeit, mich von einigen Wunden heilen zu lassen, verhinderte mich eher an dich zu schreiben. Beklage das traurige Schicksal der vor kurzem noch so blühenden und glücklichen Cyrene, und versuche alles was du kannst, da du es nicht abzuwenden vermochtest, es wenigstens zu erleichtern!

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Band 22, Leipzig 1839, S. 197-200.
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