28.
Kleonidas an Aristipp.

[200] Du bist bereits benachrichtiget, lieber Aristipp, daß es bei uns endlich zu einem Ausbruch gekommen ist, wobei die Oligarchen den Sieg erhalten haben. Möchten sie, da es nun einmal unser Schicksal ist, sich dessen nur mit Mäßigung bedienen! Aber noch stürmen die Leidenschaften von allen Seiten zu wild, um der Humanität, ja nur der Klugheit, die ihren eigenen Vortheil kaltblütig berechnet, Gehör zu geben.

Die Eintracht unsers Triumvirats ist von kurzer Dauer gewesen. Ariston, der freigebigste und popularste unter ihnen, hat (wie man sich ins Ohr sagt) Mittel gefunden, seine beiden Collegen mit guter Art auf die Seite zu schaffen. Sie wurden bei einem öffentlichen Opfer von drei seltsam verkleideten Banditen angefallen, und mit einigen Dolchstichen ermordet. Beide waren ihrer Raubgier und Grausamkeit wegen so verhaßt, daß niemand ihr Schicksal bedauerte. Ariston[200] selbst, sagt man, sollte das dritte Schlachtopfer seyn; er wurde aber glücklicher Weise von deinem Bruder Aristagoras und etlichen andern gerettet, bevor der ihm zugedachte dritte Dolch seine Brust erreichen konnte. Die Mörder, die sich (nach ihrem eignen freien Geständniß) aus bloßem Patriotism zu dieser That verschworen hatten, wurden ohne Widerstand in Verhaft genommen, und in die engeste Verwahrung gebracht. Wie es aber auch zugegangen seyn mag, als sie am folgenden Morgen zum Verhör abgeholt werden sollten, fand man das Gefängniß leer, und die Vögel waren sammt dem Kerkermeister ausgeflogen. Du kannst leicht denken, daß verschiedlich über diese Geschichte glossirt wird. Indessen benutzte Ariston die Schwärmerei, womit das Volk an seiner Gefahr und Erhaltung Antheil nahm, und ließ sich unverzüglich, vermöge des Rechts seiner Großmutter, die von einer Seitenlinie der Battiaden abstammt, unter dem wildesten Zujauchzen und Frohlocken des herbeiströmenden Pöbels zum König von Cyrenaika ausrufen. Prächtige Feste und öffentliche Lustbarkeiten bezeichneten die ersten Tage seiner Regierung, und machten mit den Hinrichtungen und Proscriptionen des verhaßten Triumvirats einen sehr auffallenden Contrast. Ariston schien dadurch (in der raschen Meinung des Volkes wenigstens) von allem Antheil an jenen Gräueln losgesprochen zu werden, und seinen Mitbürgern unter einer milden Regierung goldne Zeiten zuzusichern. Vermuthlich zu diesem Ende hat er, wie es heißt, die Sorgen der Staatsverwaltung deinem Bruder und einigen andern, die sich damit beladen[201] wollten, überlassen, und er scheint nichts Angelegneres zu haben, als sich mit allen Arten von Genüssen, die ihm die wirkliche Gewalt verschaffen kann, so schnell als möglich zu überfüllen. Wohl mög' es ihm bekommen, sag' ich, zweifle aber sehr daß ich wahr gesagt habe. Dein Vater, der an dieser raschen Umkehrung der Dinge kein sonderliches Wohlgefallen haben soll, hat sich, unter dem Schutze seines hohen Alters, auf sein Landgut zurückgezogen, und scheint alle Wünsche, wozu ihn die gegenwärtigen Verhältnisse berechtigen, auf die Freiheit und Ruhe, die in seinen Jahren so wohlthätig sind, oder (wie er selbst sich ausdrückt) auf die Erlaubniß im Frieden auszuleben, beschränkt zu haben. Ich besuche ihn öfters; er scheint mich gern zu sehen, weil ich ihm immer etwas Angenehmes von dir zu erzählen weiß.

Ich danke den Göttern, daß ich zu unbedeutend bin, um in diesen gefährlichen Zeitläuften eine Rolle spielen zu müssen, und nicht ehrgeizig oder unruhig genug, um etwas bedeuten zu wollen. Meine Familie ist durch die goldene nie genug gepriesene Mittelmäßigkeit vor Neid und Raubgier gleich gesichert; und so lange wir uns, wie bisher, des Schutzes deines edeln Bruders erfreuen können, ist der Antheil den wir an der allgemeinen Ruhe des Vaterlandes nehmen, das einzige was die unsrige stören kann. Leider fehlt noch viel, daß wir uns der Hoffnung bess'rer Zeiten frohen Muthes überlassen dürften. Die demokratische Partei ist noch nicht gedämpft, und unsre dermalige Regierung, zu sehr mit der innern Polizei beschäftigt, scheint den Bewegungen ihrer[202] Feinde mit einer Gleichgültigkeit zuzusehen, die ich mir nicht wohl erklären kann. Gewiß ist, sie muß ihre Ursachen dazu haben; ungewiß, ob der Ausgang sie rechtfertigen wird.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Band 22, Leipzig 1839, S. 200-203.
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