31.
Lais an Aristipp.

[211] Ich habe Uranien zwei schneeweiße Täubchen und dem Wogenbändiger Poseidon einen Stör von der ersten Größe für deine glückliche Wiederkunft geopfert. Ein schwarzer Stier mit vergoldeten Hörnern ist ihm auf den Tag gelobt, an dem wir uns in Aegina widersehen werden.

Es ist doch eine schöne Sache, Freund, so in der Welt herumzustreichen, und alles was groß, selten und sehenswerth ist, mit seinen eignen Augen zu besehen. Die Beschreibung, die du mir von dem Gemälde des Parrhasius zu Mitylene gibst, könnte mich leicht dahin bringen, selbst nach Lesbos zu reisen, um mich gewiß zu machen, daß die Kunst binnen dreißig bis vierzig Jahren schon zu einer solchen Höhe hinaufgestiegen sey. Leontides sagte mir, sein Landsmann und Zeitgenoß Kleophant habe für einen großen Maler gegolten, weil man einige Verschiedenheit in den Gesichtern seiner Figuren wahrgenommen; von Ausdruck der Leidenschaften, Gemüthsregungen und Sitten hatte man damals noch keinen Begriff, und an die feinern Bezeichnungen der Gradationen in allem diesem war vollends gar nicht zu denken. Aber die sinnreichen Anmerkungen, die du über die verfehlte Absicht des Künstlers und über die Unmöglichkeit, den Charakter eines ganzen Volkes in einer historiirten Allegorie zu personificiren, machst, hättest du dir, dünkt mich, ersparen können, mein lieber Philosoph. Wer sagt dir denn, daß Parrhasius eine solche Absicht[212] hatte? oder wie kannst du dir einbilden, ein Maler, der das alles, was du an seinem Werke rühmst, leisten konnte, habe etwas unternehmen wollen, das der Kunst unmöglich ist? Ich bin gewiß, es fiel ihm so wenig ein, das Attische Volk, insofern es sich als eine moralische Person denken läßt, in diesem Gemälde darstellen zu wollen, als die Anwohner der Imaus, oder das Volk im Mond. Warum wollen wir ihm eine andere Absicht leihen, als die sich in seinem Werke selbst ankündigt? Warum soll es noch etwas andres seyn als es augenscheinlich ist? Parrhasius wollte eine auseinandergehende Athenische Volksversammlung malen, und zwar so, daß wir errathen könnten was in derselben verhandelt worden, und wie es überhaupt darin zuzugehen pflege. Es war ein sinnreicher Gedanke, und, ihn auszuführen, unläugbar eine Aufgabe, an die sich nur ein großer Meister wagen durfte. Deiner Beschreibung nach, hat er das, was er leisten wollte, wirklich in einem so hohen Grade geleistet, daß die Kunst in Andeutung dessen, was sie dem Scharfsinn des Anschauers überlassen muß, schwerlich weiter gehen kann. Was wollt ihr noch mehr?

Die Nachricht, die du mir von dem Benehmen der Sokratiker und des Meisters selbst gegen dich gibst, hat für mich nichts Unerwartetes. Alles, dünkt mich, ist wie es seyn kann: wenn jeder bleiben soll, wozu ihn Natur und Umstände gemacht haben, könnt ihr in keinem andern Verhältniß mit einander stehen, und ich bin mit deinem Betragen gegen sie völlig zufrieden.

Dein neuer Freund Hippias ist mir nicht so neu als du[213] zu glauben scheinst. Ich lernte ihn schon vor einigen Jahren bei meinem Alten kennen, und ich müßte mich sehr irren, wenn es ihn schwer ankommen sollte, bloß mir zu Gefallen nach Korinth zu reisen. Wenn er's thäte, so ist er bis jetzt vielleicht der einzige, der dir gefährlich werden könnte. Bei dieser Gelegenheit fällt mir ein, daß ich dir eine vor kurzem gemachte Entdeckung mitzutheilen habe. Oder solltest du es vielleicht schon wissen, daß sich ein zärtliches Herzensverständniß zwischen meiner kleinen Musarion und deinem wundervollen Freunde Kleombrotus angesponnen hat, wovon wir beide (ich weiß nicht recht warum) während der ganzen acht Tage, die er, vor eurer Reise, in meinem Hause zu Aegina mit uns lebte, nichts gewahr wurden. Wie hätt' es aber auch zugehen sollen? Sie hielten die Sache so geheim, daß die Hauptpersonen selbst, wenn es nur irgend möglich wäre, nichts davon gewahr worden wären. So lange sie einander alle Tage sehen und sprechen konnten so viel sie wollten, war die Sprache der Augen die einzige, wodurch ihre liebenden Seelen sich einander mittheilten. Gäbe es, um einen jungen Hercules, der lauter Geist ist, mit einer niedlichen kleinen Hebe, die lauter Seele ist, in Verbindung zu setzen, noch ein geistigeres Mittel als Blicke, so würden ihnen sogar Blicke noch zu materiell geschienen haben, um sich ihrer zu Unterhaltung dieser heiligen Flamme zu bedienen, die sich im Augenblick der ersten Annäherung, wie durch einen aus heiterm Himmel plötzlich herabfallenden Blitz, in ihren congenialischen Seelen entzündete. Dieß ersehe ich aus einem Briefe des erhabnen Kleombrotus an meine kleine Muse, worin er unter andern sagt: »O Musarion![214] Warum können Seelen wie die unsrigen einander nicht unmittelbar berühren, unmittelbar umschlingen, durchdringen und in einzige zusammenfließen! Warum muß ich Armer ein so dürftiges, kaltes, kraftloses, kümmerliches Mittel, als Worte sind, zu Hülfe nehmen, um dir zu sagen, was keine menschliche Sprache, was die Sprache der Götter selbst nicht aussprechen kann, – wie ich dich liebe!« – Du fragst mich, Aristipp, wie ich zur Entdeckung dieses unsichtbaren und unaussprechlichen Liebeshandels gekommen sey? Wisse also, mein Freund, daß der arme Kleombrotus, wie er, nach seiner Abreise mit dir, die bisherigen einzigen Vermittler seines geheimen Verständnisses nicht länger gebrauchen konnte, sich endlich durch die höchste Noth gezwungen sah, zu dem gemeinen Hülfsmittel zu schreiten, dessen wir andern gewöhnlichen Menschenkinder uns in solchen Fällen zu bedienen pflegen. Kurz, die kleine Musarion erhielt nach und nach einige große Briefe von ihm, die du lesenswürdig finden würdest, wenn ich Zeit, oder (aufrichtig zu seyn) Dienstgeflissenheit genug gehabt hätte, sie für dich abzuschreiben. Zufälligerweise fand ich diesen Morgen, da das Mädchen eben anderswo beschäftiget war, ihr Schmuckkästchen, worin sie diesen Schatz verwahrte, unverschlossen; und so erfuhr ich denn mehr als die gute Seele glaubt daß ich wisse; denn ich schlich mich unbemerkt wieder fort, und bin entschlossen, mir nicht das Geringste von der gemachten Entdeckung gegen sie merken zu lassen. Wenn du es mit dem begeisterten Kleombrotus eben so halten wirst, so können wir uns von dem Fortgang und der Entknotigung dieses sublimen Liebeshandels noch manche Kurzweil versprechen.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Band 22, Leipzig 1839, S. 211-215.
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