Harlem.

[171] Die holländischen Städte unterscheiden sich weniger durch ihren Anblick, als durch ihren Geruch. Schiedam und Gouda (Gauda) z.B. sehn sich ähnlich, wie ein Holländer dem Andern; allein Gouda riecht nach Käse und gebrannten Pfeifen, Schiedam nach gebranntem Wacholder. Es ist nämlich mit den holländischen Städten nicht so, wie mit den deutschen, daß man an einem Orte eine mannigfache, für Stadt und Umgegend hinreichende Industrie treibt; hier hat vielmehr jede Stadt ihr ausschließliches Getriebe, das sie sich untereinander nicht streitig machen. So ist Gouda die einzige Stadt in Holland, welche die bekannten, weit verführten holländischen Pfeifen backt, wozu sie den Thon, wenn ich nicht irre, aus dem nördlichen Brabant erhält. So Schiedam die einzige Stadt, welche Genever brennt und nicht allein Holland und die Holländer, sondern auswärtige[172] Liebhaber in großer Anzahl mit diesem Getränke versorgt: Thurm und Häuser sind schwarz vom ewigen Dampfe, selbst die weißen Mützen und Schürzen der Weiber sehn nicht so reinlich aus, wie anderswo.

So kann man sagen, daß Amsterdam vorzugsweise nach Pfeffer, Delft nach Töpfen, der Haag nach Oranjen und vor Allen Harlem nach Blumen und Blumenzwiebeln riecht. Ich zog im Frühling in dieses Reich der Flora ein, ward vor den Thoren wie ein König begrüßt, hundert und aber hundert Blumenbatterien bewillkommten mich und schossen aus Millionen Kelchen und Duftschlündchen das feine Pulver ihrer Wohlgerüche ab. Ja, hier hat die Göttin ihre Residenz aufgeschlagen, hier, wo die Winde, wie anderswo über Kartoffelfelder, über Hiazinthenfelder, Rosenfelder, Tulpenfelder wehn, hier hat sie ihren Sitz, ich will sagen, hier schwebt sie nicht, wie in unsern Gärten eilfertig und mit nachlässiger Hand aus ihrem Füllhorn Blumen streuend vorüber, hier weilt sie, hier sitzt sie, hier verrichtet sie, um holländisch naiv zu sprechen, ihre Blumennothdurft.

Harlem ist das holländische Schiras, das Harem der Blumen. Seine Gärtner sind reiche Sklavenhändler, welche die rosigen und tulipanischen[173] Schönheiten für die Harems der Vornehmen und Reichen auferziehen. In früherer Zeit ging der Handel mit den süßen Geschöpfen beinah ins Unglaubliche, es kostete eine schöne Hiazinthe, eine schöne Tulpe in der That nicht viel weniger, als eine schöne Georgierin oder Tschirkassierin. Die Bildnisse der reizendsten Blumen wurden, sauber gemalt, an verliebte und verrückte Blumenprinzen in Europa umherversandt. Noch jetzt sind aus den Registern der harlemmer Blumenhändler die erstaunlichen Preise zu ersehen, wofür diese und jene Blume verhandelt worden. So kostete die Tulpe, genannt Admiral Liefkees, ihrem Liebhaber 5200 Gulden, und eine andere, der Semper Augustus ward mit 4500 Gulden bezahlt. Es gab Jahre, in welchen die Stadt Harlem ein zehn Millionen im Blumenhandel stecken hatte.

Gegenwärtig, da die theuerste Hiazinthe nicht den Preis von zehn bis funfzehn Gulden übersteigt, kommt uns die Geschichte von einer solchen blumenrasenden Zeit kaum glaublich vor, sie klingt wie ein Mährchen aus tausend und einer Nacht. Allein als wirkliche und nur zu sehr beglaubigte Thatsache, gibt sie den Stoff zu sehr ernsthaften Betrachtungen und zwar zu solchen, die über den Charakter des vorigen Jahrhunderts, das unsinnig erworbene Reichthümer eben so unsinnig wieder[174] vergeudete, kein sehr vortheilhaftes Licht werfen. Menschen, dachte ich, als ich an den Blumengärten und Landhäusern Harlems vorüber dem Thor zufuhr, Menschen, die so viel Werth auf eine Blume setzen, sind mehr als Thoren, sind Egoisten, setzen wenig oder keinen Werth auf ihre Mitmenschen, auf die schöneren Blumen der Humanität. Ferner, eine Zeit, die solche Blumennarren in ihrem Schooße trug, war unfähig, große öffentliche Charaktere zu erzeugen.

Ich führte aber bei dieser Gelegenheit meine Betrachtungen noch weiter, ich blieb nicht bei der einzigen Liebhaberei für Blumen stehn, ich dachte an das ganze Liebhaberwesen und dessen schädlichen Einfluß auf Sitte und Gesellschaft. Wir sind, sagte ich zu mir, noch viel zu duldsam gegen diese kleinlichen Abarten und Zerrbilder der Liebe, die wir Liebhabereien nennen. Einige derselben entschuldigen wir, andere finden wir ganz natürlich, noch andere sogar lobenswerth. Allein, geben wir Acht, es verbirgt sich eine Schlange unter den Blumen. Jede Liebhaberei, so grün und unschuldig sie aussieht, ist von Haus aus gefährlich, thut über kurz oder lang, Abbruch der wahren Liebe. Je mehr geliebhabert, desto weniger geliebt, das Wort möchte ich zum Sprichwort machen. Frauenzimmern verzeihe ich ihre Liebhabereien noch[175] eher, als Männern. Betrachtet nur die Männer, von denen man sagt, daß sie ihr Steckenpferd reiten – ein scherzhafter Ausdruck, mit dem wir über die Sache wegzulächeln gewohnt sind. Betrachtet sie, ihr geselliges, öffentliches Leben, was sie thun und treiben, wie sie von der Welt berührt werden und wieder auf die Welt einwirken, ihr werdet von den Resultaten eurer Beobachtungen nicht sehr erbaut sein – verschrumpfte Gefühle, engherzige Ansichten des Lebens, Eigensüchteleien, Unempfänglichkeit für die großen Gegenstände der Zeit, die jedes Mannes Brust heben und erweitern sollten. Es ist daher wahrer, als auffallend, daß kränkelnde und verfallende Abschnitte der Geschichte sich gleich durch die wachsende Zahl ihrer Liebhabereien symptomisch verrathen, ja daß solche Zeiten eben deswegen schlecht und unwürdig sind, weil sich alle Liebe der früheren Zeit in Liebhaberei aufgelöst, weil die himmlische Liebes- und Lebensflamme, die ein Volk durch alle Adern des gesellschaftlichen Körpers durchglühte, in die Asche des Egoismus versank. Athen und Rom liefern Beispiele solcher Zeiten, in denen der öffentliche Geist erlischt, alles Heilige, Schöne und Große der Vorzeit, wie Bilder im gebrochenen Spiegel, verzerrt erscheint, und wo man von den Menschen nicht mehr sagen kann, daß sie für etwas begeistert[176] sind, sondern höchstens, daß sie auf etwas versessen. Welches Urtheil soll man zum Beispiel fällen von jenen Atheniensern, die einem fremden Abenteurer Tausende von Bildsäulen errichteten, die sie hinterher zerschlugen? Soll man die unerhörte Menge der Bildsäulen als Beweis anführen, daß die Kunstliebe der Athenienser aus dieser Zeit die Kunstliebe der Athenienser aus der Zeit des Themistokles und Perikles überstrahlte, oder soll man nicht eher darin ein Zeugniß erblicken, daß die echte Kunstliebe damals eben so tief gesunken war, als das Gefühl für die Ehre und den Ruhm des Staates, und soll man nicht eine Strafe der Götter darin sehen, welche die edelste Leidenschaft, die Liebe für die Kunst, in den Wahnsinn der Kunstliebhaberei verwandelten, als die Athenienser sich ihrer früheren Gunst unwürdig betrugen? Und jener römische Senator, der sich lieber in die Verbannung stoßen ließ, als daß er es übers Herz brachte, dem Sulla seinen Siegelring abzustehn – erkennt man in ihm den Enkel des Mutius Scävola, der sich den Finger mit der Hand absengen ließ, um einen Tyrannen, der sein Vaterland bedrohte, in Furcht zu setzen?

Welche tolle, welche abgeschmackte, welche lächerliche, welche grausame Liebhabereien bezeichnen den Verfall der römischen Weltstadt, von[177] Sulla bis zum gänzlichen Sturz derselben. Gladiatorenspiele, Thierkämpfe, Wagenrennen, Fischteiche, falsche Haare, goldene Häuser, Knabenschande und hundert andere Verirrungen, die man in dem einen Nero sich personificirt denken kann. Ja, sieht man, daß so Alles in dieser Zeit im verzauberten Irrgarten der Liebhaberei umhertaumelt, so wird man ungewiß, ob man selbst den Dolch, den Brutus in seines Wohlthäters Brust tauchte, für den echten Dolch des alten Brutus oder für ein falsches Liebhaberinstrument halten soll, ähnlich dem goldnen Schlägel, mit dem der in die Musik verliebte tolle Kaiser auf öffentlicher Schaubühne die Zither rührte. War Brutus in die Freiheit verliebt, wie Nero in die Musik, ich wage es nicht zu entscheiden; nur so viel muß ich gestehn, seine That hat mich nie begeistert.

Aehnlich verfallen war auch die Zeit, die auf den westphälischen Frieden folgte, jene schlechte Zeit, aus deren egoistischem Mistbeete nicht allein die obenerwähnte Blumenliebhaberei hervorwuchs, sondern ein Wald verkrüppelter Neigungen und Liebhaberpilze, die kein gesundes Gewächs neben sich aufkommen ließen. Die Religion, was war sie anders zu dieser Zeit, als eine Liebhaberei theologischen Dogmengezänkes, was anders die Politik, als eine Liebhaberei eitler Ceremonien und[178] listiger Verspinnungskünste, die Philosophie, als eine Liebhaberei lateinischen Wortschwulstes, die Poesie, als eine Liebhaberei des Versedrechselns, die Kunst selbst, z.B. die Bildhauerkunst, als eine Liebhaberei, die Natur zu verschneidern und eine Paradepuppe an die Stelle der Göttin zu setzen. Und die Liebe der Kunst, was war sie anders als Liebhaberei der Reichen und Vornehmen für glänzende und kostbare Privatcabinette? Wie Plinius in seiner für die Sittengeschichte Roms so merkwürdigen Naturgeschichte die Kunstsammelwuth seiner Zeitgenossen beurtheilt und richtet, ist sicher manchem meiner Leser bekannt. Wir Neuern sind andern Sinnes in diesem Punkt. Wir beloben und preisen den Kunstsinn reicher und vornehmer Herren, die es sich viel Geld kosten lassen, um die Wände ihrer Gallerien mit Gemälden, ihre Mappen mit Kupferstichen, ihre Schieber und Glaskästchen mit Münzen, Medaillen und geschnittenen Steinen anzufüllen. Wir beloben sie dafür, denn, sagen wir, die Liberalität dieser Männer gereicht der Kunst und den Künstlern eben so sehr zur Aufmunterung, als dem Publicum zum Vergnügen und den Liebhabern zur Geschmacksbildung. Plinius dagegen ging von einem ganz verschiedenen Gesichtspunkt aus. Wo wir Kunstsinn sehen, sah er Eitelkeit, was wir Liberalität nennen,[179] nannte er Hochmuth, was wir bezeichnen als Verdienst ums Publicum, bezeichnete er als eine Versündigung an der res publica. Ohne Zweifel, wir werden seinen Gesichtspunkt theilen, sobald wir nur ein wenig aus der Dämmerung unserer Begriffe über das öffentliche Leben und über bürgerliche Tugenden in den altgriechischen und altrömischen Tag hineintreten. Bis dahin können wir vorläufig wenigstens eins zur Einsicht bringen, daß nämlich die Kunst- und Cabinetliebhaberei des vorigen Jahrhunderts (im siebzehnten und sechzehnten gab es noch wenige Privatcabinette) so viele Tonnen Goldes sie auch für Gegenstände der Kunst vergeudet hat, weder dieser noch den Künstlern zu gut gekommen, sondern nur zur Bereicherung der Mäkler und Kunsthändler gedient hat. Die alten bewunderten Künstler, deren Arbeiten man mit Gold aufwog, hatten gelebt und waren gestorben, dem größten Theil nach, in seliger Armuth. Sie nahmen die Kunst mit ins Grab und kein Ducatenregen war im Stande, sie wie der zu befruchten; auch wird sie dort begraben liegen trotz aller Protection königlicher Gönner und Liebhaber und nicht eher auferstehn, als bis ihre Zeit gekommen, bis ein neues Geschlecht seine Liebe ihr zuwendet und der frische Lebenswind sie von ihrem Leichengeruch befreit. Denn die Liebe[180] und nur die Liebe ist es, die schafft und belebt, Liebhabereien sind todt und unfruchtbar, taugen nichts, taugen den Teufel nichts, so schön sie sich auch bemänteln.

Man halte mir meinen Eifer zu gut, ich berührte da die ernsthafte Seite, die das Unwesen der Liebhabereien darbietet, und es schien mir an der Zeit zu sein, einmal ein ernstes Wort darüber zu sprechen. Die Liebhaberei ist eine Schwäche, bald des Verstandes, bald des Herzens, am öftersten beider zugleich. Schwächen verzeihen wir nur zu leicht, sind sie noch dazu liebenswürdig, so möchten wir sie an unsern Freunden kaum missen. Unleidlich finden wir nur diejenigen, die mit unsern eigenen Schwächen in Collision gerathen; dann ziehn wir ein Gesicht, wie der Vogelsteller, wenn er den Jäger mit der Büchse heranschleichen sieht.

Viele Liebhabereien, ja die meisten, haben aber auch ihre komische, von den Lustspieldichtern noch keineswegs erschöpfte Seite. Holland allein besitzt noch Fundgruben von Liebhabernarrheiten, die so ergiebig sind, daß man den Spaß mit Händen davontragen kann. Das holländische Lustspiel würde sich ihrer erfreuen, wenn es ein holländisches Lustspiel gäbe. Es gibt ansteckende Liebhabereien und ich selbst bin durch die Holländer[181] zu zweien verführt, die für Kupferstiche und – für harlemmer Leinewand, die aber beide glücklicher Weise für mich zu kostspielig sind, als daß ich große Gefahr dabei laufen sollte. Ich kann jedoch versichern, daß in einem halb Dutzend Mappen mit Kupferstichen, und ein Paar Dutzend feinen zu Harlem gebleichten Hemden großer Reiz für mich liegt. Seitdem ich aber gehört und auch selbst in Erfahrung gebracht, daß die harlemmer Leinwand ihre schimmernde Weiße einer gewissen Lauge verdankt, welche den Faden anfrißt und das Leinen weniger haltbar macht, als z.B. das schlesische, so bin ich nachdenklich geworden über diesen Punkt, und seitdem ich in Betrachtung gezogen, daß man für ein 70 bis 80,000 Gulden allerdings eine erträgliche, ziemlich vollständige Kupferstichsammlung anlegen kann, wie z.B. der Minister van Stolk im Haag eine ähnliche besitzt, ich aber immer um den letzten Gulden in Verlegenheit sein würde, so habe ich mich entschlossen, mich vorher erst durch einen steinreichen und kinderlosen Mijnheer adoptiren zu lassen, ehe ich es auf eine dergleichen Sammlung anlege.

Jedoch, die Erwähnung der harlemmer Leinewand erinnert mich daran, daß ich dies Capitel nicht »Liebhabereien,« sondern »Harlem« überschrieben habe. Man sollte fast denken, daß ich[182] über Harlem nichts zu sagen wüßte, da ich mich so leicht bei Gelegenheit der harlemmer Blumen in eine allgemeine Betrachtung verlor. Großes Unrecht hat man nicht. Was ich über die Gärtnerei, die Bleichen, den berühmten Blumenkohl, das harlemmer Holz und dergleichen anführen könnte, haben deutsche Reisebeschreiber sehr gründlich und ausführlich beschrieben, zuletzt noch Herr von Grouner in seiner landwirthschaftlichen Reise durch die Niederlande. Nach Thümmel's harlemmer Wirthin habe ich mich nicht erkundigen mögen. Als ich zur Kirmiszeit in Harlem war, und vor dem Thor spatzieren ging, glaubte ich in der That das Gesicht ihrer Tochter oder Enkelin zu erkennen, es leuchtete mir so etwas vor dem offenen Fenster eines Wirthshauses, und die Trompeter und die gaffenden und einströmenden Holländer fehlten auch nicht. Es ging im Kirmis sehr bunt her, aber Alles ohne Geräusch, was einen seltsamen Eindruck auf den fremden Beschauer macht, der sich seiner heimathlichen Marktfeste erinnert. An jenem Tage sah ich die Blüthe der nordholländischen Mädchen in der Stadt und im Holz versammelt, blühende, goldne Gesichter, freundlich anlachende Augen, Kleidung national-holländisch, wodurch sie von den Südholländerinnen, die auch blässer und kleiner sind, sich unterscheiden. Sie[183] kamen in Familie angefahren auf zierlichen bunten Wagen, oder Bruder und Schwester, Braut und Bräutigam im engen Cabriolet, worin nach holländischer Sitte das eine Bein des Mädchens kaum anderswo Platz findet, als auf dem Schenkel des Fuhrmanns. Wegen der Nähe Amsterdams hatten sich viele Amsterdammer Familien zum Feste eingestellt. Dabei fällt mir eine Anekdote ein. Ich saß des Nachmittags mit mehrern holländischen Mijnheers und Mijfrouws im Harlemmer Holz vor der Thür eines Hauses, wo wir in gemächlicher Ruhe das wandelnde, fahrende und reitende Publicum betrachteten, nur einmal sprang die Gesellschaft auf, um dem in einer alten Staatscarosse mit vier Pferden vorüberfahrenden Gouverneur der Provinz Nordholland durch Bücklinge und Knixe ihre Ehrerbietung zu bezeugen. Neben mir saß ein schwarzgekleideter Mijnheer, dem der Marqueur, sobald er ihn erblickt hatte, mit ungewöhnlichem Diensteifer und unter mehrern Scharrfüßen eine weiße Pfeife reichte. Mijnheer nahm sie an, spie vorläufig so geschickt in den Kopf, daß es einen eigenen gellenden Pfiff erregte, stopfte und drückte langsam Tabak hinein, schnippte mit den Fingern, hielt die Pfeife an den vorgehaltenen Fidibus, drückte wieder den Tabak zurecht, damit es überall gehörig anbrenne und blies[184] dann in langsamen und abgemessenen Zügen feine Knasterwolken vor sich hin, ohne Jemand aus der Gesellschaft weiter anzusehen. Desto aufmerksamer ward er von den Andern betrachtet und, wie ich bald merkte, als ein Mann von Bedeutung, als »der Hauptbaas« in der Gesellschaft. Neugierig erkundigte ich mich nach diesem Mann, als mir der Marqueur (Jan oder Jantje heißen die Aufwärter ein für allemal) eine Tasse Thee brachte. Nun hätte man das wichtige Gesicht, das der Mensch machte, sehen sollen. Er fuhr mit der grünen Schürze über den Tisch hin, und vergewisserte sich erst, ehe er mir Antwort gab, durch einen Blick, ob Mijnheer Acht auf ihn gebe. Darauf drehte er seinen Mund spitz wie eine Pfefferdute und flisterte mir, indem er halb überm Tische lag und seinen Kopf nach mir aufrichtete, beim Wischen gelegentlich zu: fijotig millionen, mijnheer van – ich habe den Namen vergessen – uit Amsterdam. – Ich kann nicht daran denken, ohne herzlich zu lachen, beim Wiedererzählen freilich verfliegt das Beste.

Harlem ist eine der schönsten und saubersten holländischen Städte, und zeichnet sich überdies vor allen andern durch die Zierlichkeit ihrer gothischen Thore aus. Mit Leiden streitet sich Harlem um einen zwiefachen Ruhm, erstlich um den, die[185] meisten und größten Künstler des Landes sei's erzeugt, sei's begastet zu haben, und zweitens um den der Ausdauer und Tapferkeit zur Zeit der Belagerung durch die Spanier. Hatten auch die Harlemmer nicht dasselbe Glück, wie die Leidener, ihre Stadt durch eine Flotte entsetzt und gerettet zu sehn, so haben sie doch durch die verzweiflungvollste Gegenwehr ihren Feinden den Sieg und die Einnahme der Stadt sehr theuer verkauft; zehntausend Spanier zogen weniger ins Thor, als gehofft hatten, wenn anders, wofür ich nicht stehe, die Zahl der umgekommenen Belagerer nicht übertrieben. Wybout van Ripperda heißt der Oberste von Harlem, der sieben Monate lang (1572–1573) die wüthenden Angriffe der Spanier zurückschlug, die Seele der Besatzung und der Bürgerschaft war, den spanisch gesinnten Stadtrath absetzte, Nacht und Tag unverdrossen gegen innere und äußere Feinde anging, endlich, nicht aus freien Stücken, sondern gedrängt und gezwungen durch die Bürgerschaft, die Stadt übergab, und vom spanischen Henker mit dem Schwert hingerichtet wurde. Sein Bildniß, gemalt von Franz Hals, Ostade's Lehrer, hängt in der Amsterdammer Gallerie; man stutzt, wenn man davor tritt, so »lebenslebendig« sieht Herr Wybout van Ripperda einen an und aus seinen feurigen Augen,[186] seinem brandgelben, kecken, struppigem Gesicht erkennt man gleich den Mann, der, wenn's gilt, Alles auf die Würfel setzt.

Hier zeigen sich die Harlemmer als Belagerte, sie haben sich aber auch, wie es in den Chroniken der Stadt und des Landes verlautet, schon in viel früherer Zeit in der umgekehrten Rolle als Belagerer gezeigt. Man frage nur einen Harlemmer Bürger, was es mit dem silbernen Schwert im Stadtwappen für eine Bewandniß habe; da wird man eine merkwürdige Geschichte zu hören bekommen. Die Harlemmer, mein Herr, wird er sagen, machten unter Graf Floris (Florens) den großen Kreuzzug mit, den Kaiser Friedrich und der König von Frankreich und Richard Löwenherz von England mit vielen andern Fürsten und Herren nach dem gelobten Lande anstellten. Die Harlemmer fuhren auf ihren eignen Schiffen dahin, und als der Kaiser und Richard die Stadt Damiette von der Landseite belagerten und angriffen, thaten die Harlemmer dasselbe von der Seeseite. Allein die Landmacht konnte eben so wenig etwas ausrichten, als die Seemacht, denn die Stadt hatte feste Mauern und Thürme und zum Hafen war der Zugang gesperrt durch eine eiserne Kette, welche die Ungläubigen von einem Thurm zum andern ausgespannt hatten. Darüber verging die Zeit[187] und Kaiser und König wurden sehr ungeduldig. Da fanden die Harlemmer einen neuen Rath und machten unten am Kiel der Schiffe eine stählerne Säge mit sehr scharfen Zähnen und warteten auf einen großen Sturmwind, kamen also mächtiglich gegen die Hafenkette gesegelt und, mein Herr, vermöge der großen Schiffslast haben sie die Kette gesprengt und aller christlichen Prinzen Fahrzeuge in den Hafen der Stadt Damiette eingeführt. Und dieser klugen That verdanken die Harlemmer das silberne Schwert in ihrem Wappen, der Kaiser Friedrich hat es ihnen geschenkt und der Patriarch von Jerusalem noch das Kreuz davorgesetzt.

Die Harlemmer sind große Aufschneider. Vor Damiette sind die Harlemmer gewesen, das unterliegt keinem Zweifel; allein daß sie mit Sägeschiffen die eiserne Kette vor dem Hafen Damiette's gesprengt, das ist freilich lustig anzuhören, unterliegt aber bedeutendem Zweifel, so, daß selbst die holländischen Gelehrten, welche gelegentlich dieser Historie gedacht haben, bei aller Achtung, die ihnen der erfinderische Kopf der Harlemmer einflößt, ungläubige Worte fallen lassen und die Geschichte beinahe für ein Mährchen halten.

Ueberhaupt, im Mährchenerzählen sind die Harlemmer stark. Man braucht sie nicht viel zu[188] bitten, so erzählen sie dem Fremden ein anderes Mährchen, das noch viel unglaublicher klingt, als das von den Sägeschiffen. »Es war einmal ein Harlemmer Küster oder Rathsherr, oder gar Burgemeister, der ging einmal im Harlemmer Holz spatzieren und schnitzte zufällig aus Buchenästen u.s.w.« Dasselbe ist etwas weitläuftig und ich spare es daher für das folgende Capitel auf.

Quelle:
Ludolf Wienbarg: Holland in den Jahren 1831 und 1832. Erster und Zweiter Theil, Hamburg 1833, S. 171-189.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Holland in den Jahren 1831 und 1832
Holland in den Jahren 1831 und 1832: Ein Reisebericht
Holland in den Jahren 1831 und 1832.

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Die Sängerin Marie Ladenbauer erblindet nach einer Krankheit. Ihr Freund Karl Breiteneder scheitert mit dem Versuch einer Wiederannäherung nach ihrem ersten öffentlichen Auftritt seit der Erblindung. »Das neue Lied« und vier weitere Erzählungen aus den Jahren 1905 bis 1911. »Geschichte eines Genies«, »Der Tod des Junggesellen«, »Der tote Gabriel«, und »Das Tagebuch der Redegonda«.

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon