Vorwort.

I.

Ich schreibe gern für das neugedruckte Buch dieses tapferen Holsteiners den Auftakt. Ehrlich zu sprechen: ich hab' ihn bis jetzt nicht genauer gekannt. Heute weiß ich, daß er eins von den brennenden Geblüten war, für die (wie für unsereinen) alles Aesthetische nur ein Aushängeschild bleibt, ein Vorwand, ein Anlaß: die Welt vorwärtszubringen – in bessere Freiheit und klügere Menschlichkeit.

Ludolf Wienbarg (welcher das Wort vom Jungen Deutschland in dieser Schrift geprägt hat) war einunddreißig, als er seine Reden vor der Jugend hielt, nach vier Jahrzehnten starb er, in Vergessenheit; ein Zeitungsmann; einer vom Troß. Dennoch umleuchtet.

Wienbarg hatte »das Vertrauen auf die Zeit, die Rosen und Ketten bricht.« Kam sie heut? Rosen brach sie kaum. Ketten doch. Aller guten Vorläufer soll gedacht sein.


II.

Wienbarg ist, unterirdisch, ein Schwarmgeist. Aber zugleich ein heutiger Mensch. So gewiß er das Mittelalter schätzt: so gewiß verlacht er die nach ihm rückgewandte Sehnsucht. Er haßt Schnürung der Seelen, romantischen Schlendrian ... und den »Unfug Historie«. Unfug Historie? Derlei kann bei Nietzsche stehn. Es steht bei Nietzsche – in dem Abschnitt vom »Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben.«[1]

Wer spricht: Wienbarg oder Nietzsche? wenn es etwa heißt: »Das Leben ist des Lebens höchster Zweck« –? Der Satz steht in diesem Buch. Wer spricht, Wienbarg oder Nietzsche? wenn es heißt: »Befreit die Welt von den Sünden der Schwäche« –? Der Satz steht wieder in diesem Buch. (Auch der andre: die herrschende Moral stelle »alles Treibende und Liebende in uns ... als das Sündhafte dar«.) Ja, dergleichen ist zwar ein Vorklang für Nietzsche. Doch nicht minder, scheint mir, ein Nachklang: von der deutschen Romantik; von Friedrich Schlegel und dem ganz jungen Clemens Brentano.

Nietzsche war ein wildgewordener Romantiker – das Junge Deutschland aber hat erkennenden Verstand auf die blaue Blume gepfropft. Auch Wienbarg. Es war kein Unglück.


III.

Dieser reisige Holste bleibt ein feurig edles Herz. Kein großer Stilist im Sinn eines Bahnbrechers: doch ein guter Kopf mit reiner, morgenfrischer Seele. Mit einem Ohr für die Musik der Zukunft.

Wienbarg, der vorgebliche Aesthetiker, fesselt am stärksten, wenn er die Zeit erziehen will. Wenn er Geschichtsphilosopheme zusammenträumt. Er kommt in den »Aesthetischen Feldzügen« vom Hundersten ins Tausendste, spricht manchmal sogar von Aesthetik – doch hier nicht am glücklichsten. Der Schmus, welcher mit diesem ... Wissenszweig verbunden ist, hat bei Wienbarg mildere Form.

Er ist kein Wissenschaftler: sondern ein Beflügler. Am fortreißendsten, wo er Ankläger der stumpfen Epoche wird und Künder des Ersehnten. Ein Mensch mit phantastischem Windhauch – dennoch vernunftklar. Man spürt Fördernd-Unverdrossenes, Umwehtes, Offenmütiges. Auch er hätte das Wort sagen können, das in der Einleitung zu meinen Gesammelten Schriften steht: »Beschäftigungen mit der Kunst – ja. Bis aufs Herzblut. Aber sie waren fast immer[2] ein Vorwand für den Kampf um eine kühne vernünftigere Menschenordnung.«


IV.

Wienbarg zeigt im Ausdruck zwischendurch Manches vom Jean Paul. Doch Ziel des Zeitalters wird ihm nicht der verschwärmte Freund aus Wunsiedel: sondern der revolutionäre Dichter. Das ist für ihn Heinrich Heine.

Wienbarg hat in dieser Schrift Heines Weltbedeutung früh erkannt – als Heine noch ein junger Dreißiger war. Er merkt, daß Heine, dem Byron »an Penetration des Verstandes überlegen« ist. Heine wird zur Akme des Buchs.

Ein Jrrtum begegnet ihm. Heine stammt von Juden, sagt er, »aber von einer christlichen Mutter«. Er führt nun gewisse seeleninnigere, tiefere Züge Heinrich Heines auf diese vermeinte »deutsche Mutter« zurück – darin ein drolliger (wenn auch edlerer) Vorläufer der späteren Rassenf ... f ... so.. forschung, worin H. St. Chamberlain als erster Käse geduftet hat, seit er das Material zu den »Grundlügen des neunzehnten Jahrhunderts« zusammentrog.

Ludolf Wienbarg war von adligerem Holz. Der Ammenglaube blieb ein Nebenzug an ihm. Sein Hauptzug wies in Wahnlosigkeit und bessere Ferne.

Er war einer von Vielen. Doch ein Entflammer. Ein Kämpe. Ein Mithelfer. Sein Andenken sei gesegnet.


Juni 1919.

Alfred Kerr.

Quelle:
Ludolf Wienbarg: Aesthetische Feldzüge. Hamburg, Berlin 21919, S. I1-III3.
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