Worte der Zueignung.

Dir junges Deutschland widme ich diese Reden, nicht dem alten. Ein jeder Schriftsteller sollte nur gleich von vornherein erklären, welchem Deutschland er sein Buch bestimmt und in wessen Hände er dasselbe zu sehen wünscht. Liberal und illiberal sind Bezeichnungen, die den wahren Unterschied keineswegs angeben. Mit dem Schilde der Liberalität ausgerüstet sind jetzt die meisten Schriftsteller, die für das alte Deutschland schreiben, sei es für das adlige, oder für das gelehrte, oder für das philiströse alte Deutschland, aus welchen drei Bestandteilen dasselbe bekanntlich zusammengesetzt ist. Wer aber dem jungen Deutschland schreibt, der erklärt, daß er jenen altdeutschen Adel nicht anerkennt, daß er jene altdeutsche tote Gelehrsamkeit in die Grabgewölbe ägyptischer Pyramiden verwünscht, und daß er allem altdeutschen Philisterium den Krieg erklärt und dasselbe bis unter den Zipfel der wohlbekannten Nachtmütze unerbittlich zu verfolgen willens ist.

[5] Dir junges Deutschland widme ich diese Reden, flüchtige Ergüsse wechselnder Aufregung, aber alle aus der Sehnsucht des Gemüts nach einem besseren und schöneren Volksleben entsprungen. Ich hielt sie als Vorlesungen auf einer norddeutschen Akademie, hoffe aber, sie werden den Geruch der vier Fakultäten nicht mit sich bringen, der bekanntlich nicht der frischeste ist. Ich war noch von der Luft da draußen angeweht, und der Sommer 1833 war der erste und letzte meines Dozierens. Universitätsluft, Hofluft und sonstige schlechte und verdorbene Luftarten, die sich vom freien und sonnigen Völkertage absondern, muß man entweder gänzlich vermeiden oder nur auf kurze Zeit einatmen. Riechflaschen mit scharfsatirischem Essig, wie ihn z. B. Börne in Paris destilliert, sind in diesem Fall nicht zu verachten. Lobenswert ist auch die Vorsicht, die man beim Besuch der Hundsgrotte beobachtet – sonderlich wenn's in die Hofluft geht –, man bücke sich nicht zu oft und zu tief. Abschreckend ist das Beispiel von Ministern und Hofleuten, die des Lichtes ihrer Augen und ihres Verstandes dadurch beraubt worden sind und schwer und ängstlich nach Luft schnappen.

Dir junges Deutschland widme ich diese Reden, dem bräunlichen wie dem blonden, welches letztere mich umgab und die Muse war, die mich zweimal in der Woche begeisterte. Ja begeisternd ist der Anblick aufstrebender Jünglinge, aber Zorn und Unmut mischt sich in die Begeisterung, wenn man sie als Züchtlinge gelehrter Weckanstalten vor sich sieht. Sklaverei ist ihr Studium,[6] nicht Freiheit. Stricke und Bande müssen sie flechten für ihre eigenen Arme und Füße, dazu verurteilt sie der Staat. Die Unglücklichen, wie haben sie mich gesucht und geliebt, als ich ihnen die Freiheit wenigstens im Bilde zeigte.

Preußen trägt sich mit dem Plan, die alten Universitäten umzuschmelzen. Immerhin und mag das gelehrte Deutschland auch Blut über den Frevel schwitzen. Ich traue freilich dem neuen Gusse nicht, weil ich nicht einsehe, woher Preußen das rechte Metall dazu nehmen will, es wäre denn preußischevangelisches Kanonen- und Glockengut. Aber auch dieses halte ich für besser als die alte tonlose Mischung, die selbst unter Thors Hammerschlägen keinen Klang mehr von sich geben würde.

Zur Zeit der Reformation waren die Universitäten Stützpunkte für den Hebel des neuen Umschwungs. Gegenwärtig bewegen sie nichts, ja sie sind Widerstände der Bewegung und müssen als solche aus dem Wege geräumt werden.

Zu warnen aber sind junge Männer von Kraft und Talent, sich nicht unbedacht jener edlen Täuschung hinzugeben, als ob sich dennoch ein zeitgemäßer und volkstümlicher Wirkungskreis für sie auf unseren Universitäten erschwingen lasse. Glaubt mir, ihr hebt den Fluch nicht auf, den die Zeit über jene alten Gemäuer ausgesprochen hat, ihr setzt euch hingegen der Gefahr aus, mit demselben Fluche auf euren eigenen geistigen Schwingen belastet zu werden. Zittert vor der greisen alma mater, die als Ahnfrau unserer Universitäten ihr faltenreiches, mottenzerfressenes Gewand auf dem Boden der Aula einherschleift[7] und ihre alten Liebhaber-Pedanten durch junge und frische zu rekrutieren sucht. Zittert vor ihrer dürren Umarmung, vor dem Kuß ihrer gespenstischen grauen Lippen, denn sie saugt euch das Blut langsam aus den Adern und schrumpft die Hochgefühle eurer Brust zu jenem Minimum zusammen, das etwa einem alten ausgedörrten Wilhelm Traugott Krug oder Christian Daniel Beck kaum verschlägt, um damit den letzten Atemzug für den Himmel zu bestreiten. Denkt daran, daß alle großen Deutschen der neueren Zeit nur zu ihrem Unglück deutsche Universitätslehrer geworden sind, daß ein Fichte, Schelling, Niebuhr, Schleiermacher, geborene Tribunen des Volks, für das Volk und ihren eigenen höheren Ruhm verlorengegangen sind. Fichtes Reden an die deutsche Nation verhallten nicht bloß deswegen in den Wind, weil die Nation taub war, sondern weil zwischen ihr und ihm eine Scheidewand aufgerichtet war, die selbst Fichtes eherne Stimme nicht zu durchdringen vermochte.

Nun denn, junges Deutschland, mit Gott! Wir leben ja noch einen Tag zusammen, und wer weiß, ob unser Hort und Führer uns so lange durch die Wüste ziehen läßt wie Moses die Israeliten.

Ist aber eine Silberlocke unter deiner Schar, ein Greis mit jugendlichem Herzen, ich küsse ihm Auge und Stirn und wünsche auch mir einen warmen Frühling unter der Eisdecke künftiger Jahre.[8]

Quelle:
Ludolf Wienbarg: Aesthetische Feldzüge. Hamburg, Berlin 21919.
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