Zwölfter Auftritt

[52] Vorige. August.


AUGUST erscheint in der Haustür, gewahrt den Vorgang, ruft. Hermann!!


Hermann läßt Lene fahren und wendet sich unwillkürlich, Lene fährt erschrocken zurück, Juliane steht angstvoll, auf August blickend; Pause.


AUGUST mit heiserer Stimme. Helene – ich bitte Sie um Entschuldigung.

LENE sieht ihn mit großen, nichtverstehenden Augen an. Aber –

AUGUST. Bitte Sie um Entschuldigung – für die – Unanständigkeiten, die sich mein Bruder –

HERMANN fährt auf. Das ist doch aber –

AUGUST. Für die Pöbelhaftigkeiten, die sich mein Bruder gegen Sie erlaubt hat.

HERMANN will etwas erwidern, verschluckt es, zuckt demonstrativ die Achseln und geht pfeifend auf und ab.[52]

JULIANE zu August. Ich beschwöre Sie, werden Sie nicht heftig.

AUGUST etwas ruhiger zu Lene. Liebes Kind, bringen Sie Ihre Mutter nach Haus.

LENE immer noch wie vorhin. Aber – der junge Herr – hat's gewiß gar nich böse gemeint.

HERMANN lacht kurz auf und setzt seine Bewegung fort.

AUGUST. Bringen Sie sie nur jetzt hinüber, es ist besser.

LENE. Ja – jawol. Will rasch hinter das Gebüsch gehen, in diesem Augenblick kommt Frau Schmalenbach, die aus dem Wagen gestiegen ist, hinter dem Gebüsch hervor.

AUGUST. Nun? Nun? Was ist denn das?

FRAU SCHMALENBACH. Ach Jott, ick hab' mir so erschrocken – die paar Schritt' kann ich ja wol janz jut zu Fuße gehn.

AUGUST. Kein Gedanke – wo ist denn der Wagen? Er tritt rasch hinter das Gebüsch, schiebt den leeren Wagen hervor. Da – nun setzen Sie sich nur wieder hinein.

FRAU SCHMALENBACH setzt sich in den Wagen. Aber – es jinge wirklich. –

AUGUST. Und seien Sie ganz unbesorgt; es wird niemand Ihrer Tochter mehr zunahe treten und Sie erschrecken – das versprech' ich Ihnen, hören Sie? Das verspreche ich Ihnen. Er schiebt den Wagen bis an die Gittertür. So, Helene, nun können Sie weiterfahren.


Lene tritt hinzu und legt die Hand an den Wagen.
[53]

FRAU SCHMALENBACH. Ich danke och schön.


Lene schiebt den Wagen mit der Mutter hinaus und verschwindet, August sieht ihnen einen Augenblick nach, wendet sich dann zurück. Pause.


AUGUST. Ich dächte, es würde nun bald Zeit, daß du dein Pfeifen einstelltest.

HERMANN wütend auffahrend. Ich dächte, es würde nun bald Zeit, daß du dich erinnertest, daß ich kein dummer Junge mehr bin!

AUGUST. Etwas viel Schlimmeres bist du: ein sittenloser Mensch!

HERMANN zischt zwischen den Zähnen. Moralfatzke.

JULIANE. Ich bitte Sie – ich bitte Sie, sprechen Brüder so miteinander?

AUGUST. Lassen Sie, Juliane, es wird Zeit, einmal deutsch mit dem Herrn zu reden.

HERMANN. Ganz mein Fall. Darum endlich einmal die geschwollenen Redensarten beiseit! Also – was ist eigentlich los? Was willst du von mir?

AUGUST. Arbeiten sollst du.

HERMANN. Will ich auch; aber da, wo es mir paßt.

AUGUST. Nein, da, wo dein Leben dich hingestellt hat und deine Pflicht.

HERMANN. Keine geschwollenen Redensarten![54]

AUGUST. Redensarten? Wenn ich von Pflicht spreche, das sind Redensarten?

HERMANN. Mein Leben wächst ganz woanders, als hier, und dein Belieben ist nicht meine Pflicht.

AUGUST. Dein Vater hat dir das Leben hier zur Pflicht gemacht.

HERMANN. Ja – in einem Anfall von übler Laune.

AUGUST. Was?!

HERMANN. Allerdings!


Sie stehen sich gegenüber.


JULIANE tritt zwischen sie. Hermann – Hermann –

HERMANN äfft ihren besorgten Ton nach. Juliane – Juliane –

AUGUST. Ich verbiete dir solchen Ton gegen deine Cousine.

HERMANN. Und ich verbitte mir den ewigen Schulmeisterton.

AUGUST. Mit Aufwand seines ganzen Vermögens hat Papa diese Fabrik gegründet, um seinen Söhnen eine unabhängige Existenz zu sichern – bist du so leer, daß du keine Spur von Gefühl dafür hast?

HERMANN. Mir wär' es lieber gewesen, wenn er sich mit seinen Vorgesetzten vertragen hätte.

AUGUST. Du – respektloser Gesell![55]

HERMANN. Du – Marquis Posa in Grün!

JULIANE. So etwas dürfen Sie nicht sagen, Hermann! Das ist empörend!

HERMANN lacht kurz auf.

AUGUST. An wen verschwenden Sie denn Ihr Gefühl, Juliane? Da haben Sie eine Probe von dem, was man die vielgerühmte Bildung unserer Zeit nennt. Das überzieht die Menschen wie mit chinesischem Lack; auswendig alles glatt, so daß jede Empfindung daran herunterläuft, wie Wasser; unter den Firnis aber dringt keine Luft, darum bleibt inwendig alles unreif und roh wie saures grünes Obst.

HERMANN setzt sich, zündet eine neue Zigarre an. Die Vorlesung scheint geräumig zu werden.

AUGUST. Unfertig und überreif – ohne eine Ahnung von den Fragen der Zeit und dabei mit allen Fragen fertig – und das nennt sich die herrschende Klasse! Nein, die Welt ist reif gewordener für ein anderes Geschlecht!

HERMANN. Für die Arbeiter.

AUGUST. Für die, die noch suchen, die noch hoffen, die noch Menschen sind, weil sie wissen, daß ihre Zeit vor ihnen liegt! –

HERMANN. Glücklich wieder angelangt beim Leitmotiv. Die lieben, die guten, die unschuldsvollen Arbeiter!

AUGUST. Sprich nicht in solchem Ton von Leuten, die du ganz unfähig bist, zu begreifen.

HERMANN. Ich verstehe sie vermutlich besser, als du.[56]

AUGUST höhnisch lächelnd. Du? Ja du – Halblaut. du Deckel über einem leeren Topf.

HERMANN halblaut. Öder Phantast!

JULIANE zu August. Beendigen Sie das Gespräch – wenn ich Sie bitte – Sie sehen, daß es zu nichts führt.

AUGUST. Ich bin noch nicht fertig. Zu Hermann. Deine Gedanken überlass' ich dir; sie werden an den Dingen nichts ändern; wenn es dir aber wieder einfallen sollte, ihnen Ausdruck zu geben –

HERMANN. Etwas deutlicher, wenn ich bitten darf.

AUGUST. Damit du's also weißt: ich bin Herr im Haus und verbiete dir, meinen Arbeiterinnen zunahe zu treten.

HERMANN. Aha – ich wittre Morgenluft.

AUGUST. Such' dir in Berlin deine Frauenzimmer; meine Arbeiterinnen sind für deine Gelüste nicht da.

HERMANN. Schon wieder die geschwollenen Redensarten – wovon sprechen wir denn eigentlich?

AUGUST. Davon, daß ich eben mit eigenen Augen gesehen habe, wie du dem Mädchen Gewalt antun wolltest.

HERMANN. Da hört doch aber wirklich die Naturgeschichte auf – Gewalt antun – wenn man mit dem Mädchen einen Spaß macht.

AUGUST. Diese Art von Späßen aber will ich nicht haben![57]

HERMANN. Frag' doch gefällig erst mal das Mädchen, ob sie was dawider hat.

AUGUST. Und fühlst du denn nicht –

HERMANN. Es ist ihr viel lieber, wenn ich ein bißchen nett mit ihr tue, als deine ewige Ernstmeierei.

AUGUST. Das ist nicht wahr!

HERMANN. Lächerlich!

AUGUST. Wenn sie dich nicht abfertigt, wie du es verdienst, so geschieht's, weil sie es nicht wagt; fühlst du denn nicht, daß das nichtswürdiger Mißbrauch ist, den du mit deiner Stellung treibst? Fühlst du denn nicht, daß du dies Kind verdirbst?

HERMANN. Ach was, sie ist nicht von Marzipan und geht nicht gleich entzwei.

AUGUST. Und du verdirbst sie, sag' ich, wenn du deine wüste Gesinnung in ihre reine Seele überträgst!

HERMANN. »Dies Kind« – »reine Seele« – was das alles wieder für Redensarten sind! Wo laufen die Menschen denn eigentlich 'rum, von denen du sprichst? Ein festes, dralles Fabrikmädel ist es – und damit basta.

AUGUST fährt auf ihn los. Das dulde ich nicht!

HERMANN. Was?

AUGUST. Daß du von ihr in diesem frechen, gemeinen Ton sprichst![58]

JULIANE. August –

HERMANN. Lassen Sie doch, Cousine; Tugend und Grobheit sind bekanntlich Geschwister. Aber, weißt du, tugendsamer Bruder, wir gewöhnlichen Menschen von heutzutage sind Realisten, wir glauben nicht mehr so recht an tugendsame Entrüstung.

AUGUST. Was soll das?

HERMANN. Na ja – wir stehen ja, wie mir scheint, in der feierlichen Stunde gegenseitiger Ehrlichkeit; und deine Ehrlichkeit gegen mich kann man schon eine hochgradige nennen; also, weißt du, wo all der heilige Zorn herkommt, der dich erfüllt? Aus ganz simpler Eifersucht.

AUGUST starrt ihn wortlos mit großen Augen an.

HERMANN. Du bist in das Mädchen verschossen – oder wenn der Ausdruck dir nicht »edel« genug ist, bis über beide Ohren verliebt, und darum ist es eine »Frechheit«, eine »Gemeinheit« von mir, daß sie mir auch gefällt. Und siehst du – das ist der Unterschied zwischen uns: ich kneife sie hier und da, wenns Glück gut ist, in die Backen – und du getraust dich nicht an sie heran; und daher die Wut.


Dumpfe Pause. August sieht regungslos, die Augen in die Leere gerichtet, dann streicht er sich langsam über die Stirn.


AUGUST langsam, heiser. Ich – kann es dir nicht ausdrücken – wie tief ich dich in diesem Augenblick verachte. Er wendet sich schweren Schrittes und geht ins Haus.

HERMANN. Hahaha! Hahaha!

JULIANE die August angstvoll mit den Blicken gefolgt ist, wendet sich zu Hermann. Lachen Sie nicht, Hermann.[59]

HERMANN. Warum soll ich denn nicht lachen?

JULIANE. Weil Sie selbst nicht ahnen, wie häßlich Ihr Lachen klingt!


Der Vorhang fällt.


Ende des ersten Aktes.


Quelle:
Ernst von Wildenbruch: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1911–1918, S. 52-60.
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