Fünfter Auftritt

[164] Vorige. Ilefeld erscheint in der Tür rechts, bleibt an der Schwelle draußen stehn.


AUGUST ohne das Haupt zu erheben. Ich – kann nicht.

JULIANE. So werde ich mit ihr sprechen Sie setzt sich auf das Sofa zu Lene.[164]

LENE. Ach Fräulein – ach Fräulein – Sie küßt, vor Juliane kniend, ihr die rechte, dann die linke Hand, drückt dann ihr Haupt in Julianens Schoß.

JULIANE streicht ihr über das Haar. Werde ruhig, sprich zu mir, Lene, sage mir alles.

LENE vom Schluchzen unterbrochen. Ich habe – davonlaufen wollen –

JULIANE. Warum wolltest du davonlaufen?

LENE. Weil ich's ihm hätte sagen sollen – weil es nich recht war, daß ich es ihm nich gesagt habe, daß ich – einen anderen – lieb hatte.

AUGUST fährt mit dem Haupte auf. So geh ihm nach, deinem Liebsten! Er ist hinaus! Geh hinaus! Du auch!

LENE wendet das tränenüberströmte Gesicht zu ihm. Aber der doch nich? Der Herr Hermann is es doch nich?

AUGUST. Lüge nicht!

LENE drückt das Gesicht wieder in Julianens Schoß.

JULIANE. Sage mir, wer es ist, den du liebst.

LENE legt beide Arme um sie. Ich – schäme mich so –

JULIANE. Sprich – du mußt sprechen.

LENE flüsternd. Der Ilefeld.[165]

AUGUST wirft das Haupt, beinah freudig, überrascht herum. Ilefeld?

LENE wendet ihm wieder das Gesicht zu. Das wußten Sie doch aber, Herr Aujust? Sie haben ihn doch aus der Fabrik weggeschickt darum?

ILEFELD von der Schwelle her. Aber Jungfer Lene? Wie sind Sie denn auf so eine Idee gekommen?

LENE blickt starr auf Ilefeld. Das hat mir doch aber der Herr Hermann gesagt?

AUGUST winkt Ilefeld, dessen er jetzt erst gewahr geworden ist, herein. Ilefeld – Er steht auf, tritt zu Ilefeld heran, legt ihm die Hand auf die Schulter. warum haben Sie mir davon nichts gesagt?

ILEFELD senkt das Haupt. Jott – sehn Sie, Herr Aujust – wenn Sie sie nu mal heiraten wollten – denn wär's von mir doch nich recht jewesen, wenn ick ihr ins Glück getreten wäre.

AUGUST streicht ihm über den Kopf. So ein Kerl – so ein alter dummer Kerl – Wendet das Gesicht zu Lene. Helene, warum hast du das nich gesagt?

LENE. Herr Aujust –

AUGUST. Gib Antwort!

LENE. Ach, Herr Aujust – Sie – haben mich ja nie danach gefragt.

AUGUST richtet sich, von der Antwort getroffen, starr auf, setzt sich dann schwer auf den Sessel nieder, sagt halblaut vor sich hin. Das ist die Wahrheit. – Nach einer Pause wendet er sich wieder zu Lene. Und so – einen anderen Mann im Herzen – hast du meine Frau werden wollen?[166]

LENE. Weil Sie doch zu meiner Mutter gesagt haben, daß wenn ich Sie heirate, denn wollen Sie ihr Geld geben, daß sie ins Bad reisen könnte?

AUGUST. Wer hat dir das gesagt?

LENE. Haben Sie das – denn nich?

AUGUST. Wer hat dir das gesagt? Die Nichtswürdigkeit?

LENE. Onkel Ale – doch?

AUGUST springt auf. Das ist der Dank! Zehn Jahre lang hab' ich für diese Menschen gedacht, geschaffen, gesorgt! Und das ist der Dank, daß sie so etwas von mir denken!

LENE in erschrecktem Begreifen. Herr – Aujust –

AUGUST. Sprich nicht mehr zu mir! Deine Mutter soll heute noch ins Bad reisen, heute noch geb' ich ihr das Geld, und du kannst hingehn, wohin du willst; meine Frau brauchst du nicht zu werden! Ich gebe dich frei! Du bist frei! Geh!

LENE schleppt sich auf den Knien zu ihm heran, umfängt seine Knie. Herr Aujust – Herr Aujust –

AUGUST. Geh!

LENE. Nein bitte! Nein bitte! Nein bitte! Nich wegschicken, Herr Aujust! Nich wegschicken! Treten Sie mit Füßen auf mich, Herr Aujust, ich hab's nich anders verdient! Ich hab' schlecht an Ihnen jetan, Herr Aujust, ich habe nich jewußt, wie[167] Sie sind, Herr Aujust! Ich habe Ihnen weh getan am Herzen, Herr Aujust, und wer so einem Herzen weh tut, der verdient, daß man ihm den Strick um den Hals tut! Aber nich wegschicken! Nich wegschicken!

JULIANE tritt zu August heran, spricht flüsternd. In Qualen verkam sie an deiner Seite und du hast sie nicht gefragt – bist du frei von Schuld? Wessen Glück hast du gesucht, als du sie heiraten wolltest? Ihres oder deines? Bist du frei von Schuld?

AUGUST sieht ihr ins Gesicht, drückt ihre Hand, wendet sich dann zu Lene. Du Kind – Er streicht ihr über das Haar. du törichtes Kind.

LENE ergreift seine Hand und bedeckt sie mit Küssen. Herr Aujust – Herr Aujust –

AUGUST. Na Ilefeld – da ist eine –

ILEFELD. Ach Jott ja, Herr Aujust – da is eene –

AUGUST. Ob sie denn an der Bütte wird mithelfen können, Ilefeld?

ILEFELD. I nu – wenn Sie nischt dawider haben, Herr Aujust, probieren ließe es sich ja wol.

AUGUST. Dann begreife ich doch aber nicht, warum Sie so wenig Aufhebens von ihr machen?

ILEFELD.. Na – wenn's bloß auf das Aufheben ankommt – Er stürzt sich mit einem jubelnden Laute auf Lene; diese fliegt empor, ihm in die Arme, an die Brust.

LENE. Paul Ilefeld![168]

ILEFELD herzt und küßt sie. Och Lenchen – och Lenchen – och – och. Er tritt, den Arm um Lene geschlungen, vor August. Herr Aujust – was ick sagen wollte, Herr Aujust – so'n Papier, wie wir nu machen wollen – so 'nen Berg jeden Tag, Herr Aujust, und fein!

AUGUST. Ist recht, Ilefeld, ist recht. Geht jetzt und weckt die Mutter; nachher komme ich selbst.

ILEFELD. Is jut, Herr Aujust, is jut – Er wendet sich mit Lene zum Abgange. aber so 'nen Berg, Herr Aujust, und fein!

AUGUST ruft ihnen nach, da sie auf der Schwelle sind. Hör' doch mal – Lene – Ilefeld und Lene bleiben stehen. Ob du nun wieder singen kannst?

LENE blickt schamhaft glückselig zu Ilefeld empor. Ach Jott – Herr Aujust – mir is doch fast so. Lene und Ilefeld rechts ab, August und Juliane bleiben schweigend stehen.

LENES STIMME außerhalb der Szene.

»Reich bin ich nicht – Taschen sind leer!

Schön bin ich nicht – Manche ist's mehr!

Aber vergnügt – Weiß auch woher!«

AUGUST sinkt auf den Stuhl. Die Haubenlerche – da fliegt sie davon.

JULIANE. Nein, sie hat ihr Nest gefunden und dankt dem Manne, der es ihr gebaut bat! Sie tritt an das Fenster, schlägt die Gardine zurück, das helle Morgensonnenlicht flutet herein. August – es ist Tag, und die Sonne zeigt dir die Häuser der Menschen, die glücklich sind durch dich!

AUGUST wendet sein Haupt gegen das Fenster. Ja – es ist Tag geworden, und das neue Licht blendet.[169]

JULIANE. Aber wer gesunde Augen hat, der gewöhnt sich daran – und du hast gesunde Augen.

AUGUST sitzend, ergreift ihre beiden Hände, sieht ihr ins Gesicht. Dir glaube ich von jetzt an viel. Er steht kräftig auf. Darum komme hinaus mit mir in Gottes neuen heiligen Tag – dort wollen wir's erproben.


Indem sie sich nach rechts wenden, fällt der Vorhang.


Ende des Stückes.


Quelle:
Ernst von Wildenbruch: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1911–1918.
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