Cantata

[130] Aria.


Ich bin frey von Amors Ketten

Und verlache dessen Pfeil:

Solt ich Freyheit und mein Leben

Hertz, Vernunfft, Geist, Seel, und Sinn,

Dem Tyrannen übergeben?

Dem ich so gehäßig bin;

Nein, er hat an mir kein Theil.

Da Capo.


Mit solchen Vorsatz schlieff, bey Lunens Silber-Schein,

Der trotzige Mirandor ein,

Jedoch er hatte kaum die Augen zugethan,

So gab sich Amor schon im Traum und Schlummer an,

Und legt im Bild ihm eine Schönheit dar,

Die sonder ihres gleichen war.

Kaum daß er dis Portrait erblickt,

So wurd er gantz entzückt,[131]

Und so, daß er nunmehr bey tieff gehohlten Ach!

Diß zu sich selber sprach:


Aria.


Welch angenehmes Götter-Bild

Bezaubert mir Hertz, Sinn und Geister:

Annehmlichste der gantzen Welt!

Dir sey mein Hertze zugestellt,

Ich bin von mir nunmehr nicht Meister.

Si replica.


Armseelger Mensch!

Die Röthe steigt dir im dein Angesicht,

Du weist wahrhaftig nicht, wie dir in Schlaf geschieht.

Wie groß hast du vorher gethan,

Und jetzo betst du gar ein blosses Bildniß an.

Kaum daß er diß gesagt, erwacht er wiederum

Und sahe sich verwirrt auf seinen Lager um,

Er merckte zwar, daß es ein Traum gewesen,

Doch weil ihm Morpheus Phantasey

An einen blossen Conterfey

Ließ gantz was Ungemeines lesen,[132]

So ward er würcklich so entzückt,

Daß er der Flüchtigen die Seuffzer nachgeschickt:


Aria.


Schönste! bist du nicht mehr hier?

Engels-Kind, ach sage mir,

Wilst du dich so früh verstecken,

Und mir Schmertz und Pein erwecken?

Deine Flucht betrübet mich,

Meine Seele sehnet sich.

Morpheus laß es bald geschehn,

Daß ich sie mag wieder sehn.


Ihr Götter, sagt mir, wo ich bin,

Wo ist mein Hertz und wo die Freyheit hin?

Ich bin im Schlaff darum gekommen,

Die Schöne hat von mir

Den gantzen Menschen mitgenommen.

Kan mich der stumme Riß von ihr

So gleich in Band und Fesseln schlagen,

Was würde da Mirandor vollend sagen,

Wenn Glück und Stern ihm günstig hieß,

Und das Original davon erblicken ließ.


[133] Aria.


Will gleich der Mund die Quaal verschweigen,

So spricht das Hertze: rede doch!

Wer kan dir, Schönste, widerstreben?

Mein Hertze bleibt an deinen kleben,

Ich fühle leider nun ein Centner schweres Joch.

Da Capo.


Wie wohl war mir zuvor,

Eh ich der Freyheit Gold verlohr,

Ich wuste nichts von Sehnsucht, Pein und Schmertzen,

Doch deiner Augen Allmacht-Strahl

Setzt meine Seel in Angst und Quaal.

Ach! reiß doch wiederum den Pfeil aus meinen Hertzen.


Aria.


Erbarmet euch, ihr holden Augen!

Und last euch mich im Leben sehn:

Wo nicht, so könt ihr leicht ermessen,[134]

Daß mich muß Quaal und Sehnsucht fressen,

Es ist gewiß um mich geschehn.

Si replica.


Entschliesse dich,

Mein andres Ich!

Doch nein! ich darff nicht dran gedencken,

Du bist mit meinen Traum zugleich auch weggeflogen,

Des Morpheus Schattenwerck hat leider mich betrogen.


Aria.


Stöhre mich im Schlaf nicht ferner,

Amor, durch diß schöne Bild.

Laß den abgematten Geist sich an Rast und Schlummer laben,

Den dein Frevel unterbricht.

Ich begehr es nicht zu sehn, was ich nicht soll wachend haben,

Mag ich auch im Schlafe nicht.

Da Capo.

Quelle:
Christiane Mariane von Ziegler: Versuch In Gebundener Schreib-Art, Leipzig 1728, S. 130-135.
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