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[158] Original: im Archiv der Gesellschaft

der Musikfreunde zu Wien.


Brief der Frau Sophie Haibel Geb. Weber in Diakovar (Ungarn), Mozarts Schwägerin, an Nikolaus von Nissen in Salzburg


D[iakovár], den 7. April 1825.


Herzensbruder und Schwester!


Das Erste ist, daß ich und mein Haibel dem Besten aller Schwäger zu seinem frohen Namensfeste unsre innigsten Wünsche bringen. Gott der Allmächtige schenke Euch ferner wie bishero seinen ewigen Segen; in diesem ist ja alles, was mir zu wünschen im Stande sind und wodurch wir auch glücklich werden. Wie hat die liebe Schwester ihren Namenstag gefeiert? Ist ihr dieses Mal nicht wieder eine besondre Freude widerfahren? Weißt Du wohl, daß es am 16. Februar, also an ihrem diesjährigen Feste, gerade sechzehn Jahre war, daß Dir Dein lieber König Deinen Orden überreichte? Ich glaubte immer, Dein jetziger König heiße Christian; nun fand ich im Kalender: Friedrich. Ich dachte auch an diesem Tage etwas Besondres erleben zu können; allein umsonst! Ich tröste mich gerne, wenn ich nur Euch gesund weiß. Dies ist doch immer mein größtes Glück!

Nun zur letzten Lebenszeit Mozarts!

Mozarten bekam unsre selige Mutter immer lieber, und selbige ihn auch; daher Mozart öfters auf die Wieden (wo unsre selige Mutter und ich im Goldnen Pflug logierten) in aller Eile gelaufen kam, ein Säckchen unterm Arme, worinnen Kaffee und Zucker war, es unsrer guten Mutter überreichte und sagte: Hier, liebe Mama, haben Sie eine kleine Jause! – Dies freute sie dann wie ein Kind. Dies geschah sehr oft. Kurz, Mozart kam nimmer leer zu uns.

Nun, als Mozart erkrankte, machten wir beide ihm die Nachtleibel [= Nachtjacken], die er vorwärts anziehen konnte, weil er sich vermöge Geschwulst nicht drehen konnte. Und weil wir nicht wußten, wie schwer krank er sei, machten wir ihm auch einen wattierten Schlafrock (wozu uns[159] das Zeug zu allem seine gute Frau, meine liebste Schwester, gab), daß, wenn er [wieder]aufstehe, er gut versorgt sein möchte. Und so besuchten wir ihn fleißig. Er zeigte auch eine herzliche Freude an dem Schlafrock zu haben.

Ich ging alle Tage in die Stadt, ihn zu besuchen; und als ich einmal an einem Sonnabend [den 3. Dezember 1791] hineinkam, sagte Mozart zu mir: Nun, liebe Sophie, sagen Sie der Mama, daß es mir sehr gut geht und daß ich zu ihr noch in der Oktave [d.h. noch im Laufe der Woche] zu ihrem Namensfeste kommen werde, ihr zu gratulieren. Wer hatte eine größere Freude als ich, meiner Mutter eine so frohe Nachricht bringen zu können, zumal selbige die Nachricht immer nicht erwarten konnte. Ich eilte dahero nach Hause, sie zu beruhigen, nachdem er mir wirklich auch selber sehr heiter und gut zu sein schien.

Den andern Tag war also Sonntag [den 4. Dezember]. Ich war noch jung [24 Jahre alt] und, ich gestehe es, auch eitel und pulzte mich gerne, mochte aber aufgeputzt nicht gerne zu Fuß aus der Vorstadt in die Stadt gehen, und zu fahren war es mir ums Geld zu tun. Ich sagte dahero zu unsrer guten Mutter: Liebe Mama, heute gehe ich nicht zu Mozart. Er war ja gestern so gut. So wird ihm wohl heute noch besser sein, und ein Tag auf oder ab, das wird wohl nichts machen. – Sie sagte darauf: Weißt Du was? Mache mir eine Schale Kaffee, und nachdem werde ich Dir schon sagen, was Du tun sollst! – Sie war ziemlich gestimmt, mich zu Hause zu lassen, denn die Schwester weiß, wie sehr ich immer bei ihr bleiben mußte.

Ich ging also in die Küche. Ich mußte ein Licht anzünden und Feuer machen. Mozart ging mir aber doch nicht aus dem Sinne. Mein Kaffee war fertig. Das Licht brannte noch hoch auf. Jetzt sah ich starr in mein Licht und dachte, ich möchte doch gerne wissen, was Mozart macht. Und wie ich dies dachte und ins Licht sehe, löschte das Licht aus, und so aus, als ob es nie gebrannt hätte! Kein Fünkchen blieb an dem großen Dochte. Keine Luft war nicht; dies kann ich beschwören! Ein Schauer überfiel mich. Ich lief zu unsrer Mutter und erzählte es ihr. Sie sagte: Genug. Zieh Dich geschwinde an und gehe hinein! Und bringe mir aber gleich Nachricht, wie es ihm geht! Halte Dich ja nicht lange auf!

Ich eilte, so geschwinde ich nur konnte. Ach Gott, wie erschrak ich, als mir meine halbverzweifelnde und doch sich moderieren wollende Schwester[160] entgegenkam und sagte: Gottlob, liebe Sophie, daß Du da bist! Heute Nacht ist er so schlecht gewesen, daß ich schon dachte, er erlebe diesen Tag nicht mehr. Bleibe doch heute bei mir; denn wenn er heute wieder so wird, so stirbt er diese Nacht. Gehe ein wenig zu ihm und sieh, was er macht!

Ich suchte mich zu fassen und ging an sein Bett, wo er mir gleich zurief: Ach, gut, liebe Sophie, daß Sie da sind! Sie müssen heute Nacht dableiben! Sie müssen mich sterben sehen!

Ich suchte mich stark zu machen und ihm es auszureden; allein er erwiderte mir auf alles: Ich habe ja schon den Todesgeschmack auf der Zunge, und wer wird meiner liebsten Konstanze beistehen, wenn Sie nicht hierbleiben?

Ja, lieber Mozart, ich muß nur noch zu meiner Mutter gehn und ihr sagen, daß Sie mich heute gerne bei sich hätten. Sonst denkt sie, es sei ein Unglück geschehen.

Ja, das tun Sie; aber kommen Sie ja bald wieder!

Gott, wie war mir da zu Mute! Die arme Schwester ging mir nach und bat mich um Gotteswillen, zu den Geistlichen von St. Peter zu gehen und einen zu bitten, er möge kommen so wie von Ungefähr. Das tat ich auch; allein (die Sankt Peters ... wollte ich schreiben) ... selbige weigerten sich lange, und ich hatte viele Mühe, einen solchen geistlichen Unmenschen dazu zu bewegen1.

Nun lief ich zu der mich angstvoll erwartenden Mutter. Es war schon finster. Wie erschrak die Arme! Ich beredete sie, zu der ältesten Tochter, der seligen Hofer, über Nacht zu gehen, was auch geschah. Und ich lief wieder, was ich konnte, zu meiner trostlosen Schwester. Da war der Süssmayer bei Mozart. Am Bette lag das bekannte Requiem, und Mozart explizierte ihm, wie seine Meinung sei, daß er es nach seinem Tode vollenden sollte. Ferner trug er seiner Frau auf, seinen Tod geheimzuhalten, bis sie, nicht vor Tag, Albrechtsbergern davon benachrichtigt hätte, denn diesem gehöre der Dienst vor Gott und der Welt. Closett der Doktor wurde lange[161] gesucht, auch im Theater gefunden; allein er musste das Ende der Pièce abwarten. Dann kam er und verordnete ihm noch kalte Umschläge über seinen glühenden Kopf, die ihn so erschütterten, daß er nicht mehr zu sich kam, bis er verschied. Sein Letztes war noch, daß er mit dem Munde die Pauken in seinem Requiem ausdrücken wollte. Das höre ich noch jetzt.

Nun kam gleich Müller2 aus dem Kunstkabinett und drückte sein bleiches erstorbenes Gesicht in Gips ab. Wie grenzenlos elend seine treue Gattin sich auf ihre Knie warf und den Allmächtigen um seinen Beistand anrief, ist mir, liebster Bruder, unmöglich zu beschreiben. Sie konnte sich nicht von ihm trennen, so sehr ich sie auch bat. Wenn ihr Schmerz noch zu vermehren gewesen wäre, so müsste er dadurch vermehrt worden sein, daß den Tag auf die schauervolle Nacht die Menschen schaarenweise vorbeigingen und laut um ihn weinten und schrien3.

Ich habe Mozart in meinem Leben nicht aufbrausend, viel weniger zornig gesehen.

Lieber, vergib mir, wenn ich zu weitläufig in meinem Brief gewesen! Allein ich weiß mich nicht zu erinnern, ob ich meiner Schwester die mir so auffallende Begebenheit mit dem Licht gesagt habe, indem ich immer sorgfältig vermied, ihre Wunde zu erneuern.

Fußnoten

1 Nissen hat hierzu bemerkt: »der aber nicht kam!« – An andrer Stelle notiert er: »Die Geistlichen weigerten sich zu kommen, da der Kranke sie nicht selbst rufen ließ.« – Eine dritte Notiz meldet: »Ward er [Mozart] nicht [mit dem kirchlichen Viatikum] versehen, so bekam er doch [als Toter] die letzte Ölung.«


2 Vgl. S. 27.


3 Dies ist unbedingt ein Irrtum der Erzählerin!


Quelle:
Mozart, Constanze: Briefe, Aufzeichnungen, Dokumente 1782 bis 1842. Dresden 1922, S. 162.
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